Der Stein des Anstoßes war für Senior-Chef Hermann Neuburger ein kritischer Blick auf den rasanten Anstieg des weltweiten Fleischkonsums. Aber auch die Erkenntnis, dass jedem Fleischesser eine fleischlose Alternative geboten werden könnte, um den mittlerweile fast täglichen Fleischkonsum reduzieren zu können. Und so entstand vor fünf Jahren das Label „Hermann“, ehe aber die ersten Schmankerln den heimischen Markt erobern konnten, brauchte es viel Zeit.
„Zwischendurch“, so erinnert sich Neuburger, „hab’ ich auch für ein paar Monate hingeschmissen, eine Auszeit genommen, weil nichts weitergegangen ist.“ Zuvor gab es Recherche in Taiwan, China und Japan, um herauszufinden, welche Rohstoffe prinzipiell geeignet sind. „Wir haben Seitan, der aus Weizen besteht, probiert, der eine sehr grasige Note hat.“ Auch Experimente mit Sojamilch, aus der eine Art Haut gewonnen wurde, in Japan eine Delikatesse, sind ob der teuren Herstellungskosten verworfen worden.
Der heimliche Star: Kräuterseitling
„Schlussendlich sind wir auf die Pilze gekommen und haben erst mit allen verfügbaren Schwammerln herumprobiert“, erzählt Neuburger. Schließlich traf dann Thomas Neuburger im deutschen Hessen Pilzzüchter, die helfen konnten, und es stand bald fest, dass der empfindliche Kräuterseitling, auch Königsausternpilz genannt, der Star der neuen Produktpalette werden könnte … und sollte.
Ursprünglich stammt der Pilz aus Norditalien. Seine Konsistenz ist sein Herz-Ass im Vergleich zu anderen Schwämmen, denn er wächst eigentlich wie ein Baum in die Höhe, hat lange Fasern und ist mit etwa 4,6 Prozent sehr ballaststoffreich. Ein weiterer Vorteil des Kräuterseitlings sind seine leicht nussigen und zitronigen Noten, die für einen natürlichen, feinen Geschmack sorgen. Doch bis aus den Kräuterseitlingen schließlich schmackhafte Taler, Schnitzel, Faschiertes, Käsebratwurst, Rostbratwürste und Bratstreifen wurden, waren dann noch über 5.000 Versuche notwendig …
Hermann fleischlos: 50 Millionen und der König
Damit die Produktion gelingt, wurde ordentlich Geld in die Hand genommen, nämlich 50 Millionen Euro, um der hauseigenen Königsausternpilz-Manufaktur genügend Raum zu geben. Gleich neben dem „Neuburger“-Werk, der mit dem Slogan „Sag niemals Leberkäse zu ihm“ zum internationalen Verkaufshit mutierte, wurde ein dreigeschoßiges Gebäude mit 15.000 m2 für Vertical-Farming mit über 7.000 Etagen gebaut, samt Option für die Zukunft, da ganz leicht zwei weitere Gebäude angebaut werden können.
„Damit der Pilz wachsen kann“, so Thomas Neuburger, „mischen wir Holz, Getreidepellets und Wasser, kochen das 12 Stunden lang in einer Mischmaschine. Ist der Nähr- boden abgekühlt, wird das Pilzmyzel unter- gehoben. Eine Mischung sind zehn Tonnen, aus denen zwei Tonnen Fruchtkörper entstehen.“ Welch unglaubliche Menge das ist, zeigt sich erst, wenn man weiß, dass ein Pilz durchschnittlich nur 90 g hat. Danach wird alles in Säckchen gefüllt, die einen Luftaustausch zulassen, zwei unterschiedliche Klimabedingungen ermöglichen es, dass die Pilze in sechs Wochen sprießen.
Der empfindliche Pilz wird im Reinraum hergestellt und verarbeitet, Schutzkleidung, Desinfektionsschleusen und ständige Kon- trolle sind ein Muss. Auch hier sind die Herren Neuburger ihren eigenen Weg gegangen, haben Maschinen aus der Fleischverarbeitung für ihre Zwecke umgemodelt bzw. neu konstruiert. Die gesamte Produktion ist übrigens patentrechtlich geschützt. Zudem ist der Manufakturcharakter erkennbar, da alles noch per Hand gemacht wird. „Das ist wichtig, da wir alles ,just-in-time‘ herstellen, und wir so dafür sorgen, dass die Qualität passt“, erklärt Thomas Neuburger. In der Fabrik wird der Pilz zerkleinert, mit den restlichen Zutaten vermengt und gebacken. Zu Hause sind die Produkte im Nu fertig, denn diese müssen nur noch für ein paar Minuten in der Pfanne oder dem Rohr gebräunt wer- den, ehe man sie genießen kann.
Seit der Einführung von Hermann wurden mehr als 600 Tonnen Kräuterseitlinge in Ulrichsberg geerntet. Erst vor Kurzem ging die fünfmillionste Packung Hermann über die Kassen.
Alles bio, oder was?
Neben dem Grundprodukt Kräuterseitling werden hier noch weitere Zutaten wie Reis, Eier, Rapsöl, Salz und Pfeffer verwendet. Bei allen Zutaten ist der biologische Aspekt für die Familie Neuburger entscheidender Faktor – vor allem, um sich von der (internationalen) Konkurrenz abheben zu können, die nicht nur unterschiedlichste Ausgangsprodukte, sondern vor allem viele Zusatzstoffen für die Fleischersatzprodukte verwendet. „Dass wir vegetarisch und nicht vegan erzeugen, ist dem Rezept geschuldet, denn ohne Ei gibt es keine Bindung, sonst müsste man auf chemische Zusatzstoffe zurückgreifen –, das würde dann aber nicht unserer Philosophie entsprechen“, so der Senior-Chef, „aber bei uns ist wirklich alles bio und auch klimaneutral.“
Hermann’sche Zukunftsmusik
Für das Frühjahr 2022 wird fleißig am Rezept für Burger-Patties gefeilt, ebenso wie an dem für Herbst 2022 geplanten Fischfilet. „Wichtig ist“, so sind sich Vater und Sohn einig, „dass wir mit Hermann unseren Beitrag für fleischlose Tage leisten und eine schmackhafte, biologische Alter- native anbieten, die noch dazu biologisch und heimisch ist.”
Autorin: Andrea Pascher