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Landwirtschaft & UmweltMedizin

Neue Studie belegt: Tierwohl ist nicht nur eine Frage der Haltung

Schwanzbeißen in der Schweinehaltung ist ein weltweit beobachtetes, häufig stressbedingtes Phänomen. Eine neue Studie zeigt nun: Die Optimierung von Haltung und die Beschäftigung der Schweine sind nicht die einzigen Hebel, um das Problem zu lösen.

Die BOKU und Veterinärmedizinische Universität Wien haben in Zusammenarbeit mit dem Schwanstädter Fleischverarbeiter Hütthaler und dem Biotechnologieunternehmen Multikraft herausgefunden, dass die Futterung von fermentiertem Kräuterextrakt (kurz „FKE“) das Schwanzbeißen bei Schweinen von 71 % auf 5 % reduzieren kann. Erste Ergebnisse wurden bereits Anfang des Jahres kommuniziert, doch jetzt ist klar, welcher Faktor der entscheidende ist: „Die Studie konnte belegen, dass intakte Ringelschwänze mit der Zufütterung von FKE einhergehen können. Konkret sehen wir, dass FKE positiven Einfluss auf die Artenvielfalt des Darmmikrobioms hat – vor allem bei jüngeren Schweinen. Eine höhere Vielfalt an Laktobazillen, also Milchsäurebakterien, könnte die positiven Auswirkungen auf Schwanzbeißen und Schwanzverletzungen erklären“, so Mag. med. vet. Dominik Eckl, der Tierarzt und Hofkultur-Projektleiter der Hütthaler KG, der die Ergebnisse nicht nur bestätigt, sondern auch als überraschend in ihrer Dimension beschreibt. Ein weiteres, positives Ergebnis der Studie waren verringerte Atemwegssymptome der Mastschweine.

Dominik Eckl, Tierarzt und Hofkultur-Projektleiter. © Huetthaler KG

Erste Studie auf mehreren Praxisbetrieben

Wissenschaftlich wurde die Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse bisher vor allem experimentell erforscht. Die Übertragbarkeit auf Praxisbetriebe war fraglich. Die aktuelle Studie ist die erste (!), die gleich auf mehreren Praxisbetrieben, über einen längeren Zeitraum und zudem verblindet stattfand. Vorgelegt wird die Studie vom Kooperationsprojekt „SauWohl“ im Lebensmittel-Cluster der oberösterreichischen Standortagentur Business Upper Austria. Projektpartner sind der Schwanenstädter Fleischverarbeiter Hütthaler und das heimische Biotechnologieunternehmen Multikraft sowie die Universitäten für Bodenkultur und Veterinärmedizin in Wien. Letztere publizieren die Ergebnisse auch wissenschaftlich.

Seit 2011 ist Lukas Hader Geschäftsführer von Multikraft, der Vertrieb der Produkte erfolgt mittlerweile in mehr als 25 Länder weltweit. © Werner Dedl

Verbindung zwischen Darmmikrobiom und dem Verhalten belegt

„Was wissenschaftlich noch nicht belegt ist, wird häufig als ‚Hokuspokus‘ abgetan. Umso mutiger war es von allen Beteiligten, die Auswirkungen der FKE auf das Darmmikrobiom und das Verhalten des Tieres zu untersuchen. Die Ergebnisse machen uns neugierig, dieses Feld ausführlicher zu erforschen. Und sie beweisen, wie wichtig es ist unermüdlich Lösungen zu suchen, anstatt Probleme zu wälzen”, so Assoc. Prof. Dr. Christine Leeb, Universität für Bodenkultur Wien, Institut für Nutztierwissenschaften. „Viele Bäuerinnen und Bauern setzen seit Jahren den Fermentierten Kräuterextrakt (FKE) in der Schweinehaltung ein. Sie berichten von positiven Auswirkungen auf die Tiergesundheit und deren ruhigeres Verhalten. Diese Praxisberichte konnten wir nun wissenschaftlich belegen“, so Lukas Hader, Geschäftsführer der Firma Multikraft, zum Studienziel.

Stabiles Darmmikrobiom verringert Stress und hält Krankheitserreger in Schach

Das Darmmikrobiom ist die Gemeinschaft von Bakterien und anderen Mikroorganismen, die im Darm leben. Ist dieses Darmmikrobiom aus dem Gleichgewicht geraten, verschlechtert sich das Immunsystem des gesamten Körpers. Die Anfälligkeit für Stress steigt. Eine gesunde Ernährung kann das Darmmikrobiom unterstützen – das gilt für Mensch und Tier. Eine positive Wirkung schreibt die Wissenschaft vor allem fermentierten Lebensmitteln und Probiotika zu. Das sind Zubereitungen, die lebensfähige Mikroorganismen wie Milchsäurebakterien und Hefen enthalten: erwünschte Bewohner des Darms, die die Barrierefunktion stärken und Krankheitserreger in Schach halten. In der Studie eingesetzt wurde Fermentierter Kräuterextrakt (FKE) der Firma Multikraft: „Wir stellen den FKE in einem schonenden Fermentationsprozess aus sorgfältig ausgewählten Bio-Kräutern, natürlichen Multimikroben-Präparaten und Bio-Zuckerrohrmelasse her. Die Aufnahme erfolgt über die Beigabe zum Futter. Er ist sowohl für die Ferkel-, die Zuchtsauals auch die Mastschweinhaltung geeignet“, so Lukas Hader. Bei Schweinen und Geflügel sind 7–10 Liter FKE pro Tonne Trockenfutter direkt einzumischen. Hinweis zur Einmischung ins Futter: Bei kleinem Schweinebestand funktioniert die Beigabe mit der Gießkanne ins Futter, mit etwas Wasser aufgemischt. Bei großem Schweinebestand empfiehlt sich die pure Einmischung über das automatisierte Fütterungssystem. Eine frühere Untersuchung von Multikraft zeigt außerdem: Sogar in der Gülle wirkt FKE nach und reduziert nachweislich Treibhausgase und Ammoniak.

Mutikraft-Erfolg: Nur noch 5 % statt 71 % der Schweine zeigen verkürzte Schwänze. © Huetthaler KG

Mutikraft-Erfolg: Nur noch 5 % statt 71 % der Schweine zeigen verkürzte Schwänze

Die Schweine wurden auf drei Praxisbetrieben in FKE- und Kontrollgruppen ohne FKE-Einsatz eingeteilt. Beobachtet und untersucht wurden sie über drei Durchgänge hinweg, vom Absetzen bis zum Schlachthof. In der Aufzucht waren erst keine signifikanten Unterschiede bei klinischen Indikatoren (z. B. Verletzungen, Lahmheit) erkennbar, doch fiel bei der Auswertung ein Unterschied zwischen den Schwanzlängen auf. Nur 4,8 Prozent der FKE- Aufzuchtferkel wiesen verkürzte Schwänze auf, in der Kontrollgruppe bereits 15,8 Prozent. Dieser Unterschied zwischen den Gruppen verstärkte sich in der Mastperiode und wurde damit signifikant: Hatten in der FKE-Gruppe nur 5,1 Prozent der Tiere verkürzte Schwänze, so waren es in der Kontrollgruppe 71,1 Prozent der
Tiere. Außerdem gab es einen bedeutsamen Unterschied bezüglich des Auftretens von Husten und Niesen in der Mast: 100 Tiere der FKE-Gruppe niesten innerhalb von zehn Minuten nur vier Mal, während jene ohne FKE-Einsatz auf beinahe 12 Mal kamen. „Bei den Beobachtungen vor Ort fielen weder das verminderte Husten und Niesen auf noch die Unterschiede bezüglich Schwanzbeißen und -länge. Die verkürzten Schwanzlängen waren in dieser Deutlichkeit tatsächlich erst bei den statistischen Auswertungen bemerkbar“, so Natalia Nöllenburg, Institut für Nutztierwissenschaften, die das Projekt im Rahmen ihrer Doktorarbeit durchführte.

Fütterung: Tierwohl ist nicht nur eine Frage der Haltungsform

„Die Länge des Ringelschwanzes ist ein Indikator für das Wohlbefinden eines Schweines über sein gesamtes Leben hinweg“, so Nöllenburg. Tierarzt Dominik Eckl hebt außerdem hervor, dass die drei beim „Sauwohl-Projekt“ mitwirkenden Betriebe allesamt Vertragsbauern der „hütthalers Hofkultur“ sind. Hierbei handelt es sich um ein Tierwohlprogramm, das den Schweinen unter anderem doppelt so viel Platz wie gesetzlich vorgeschrieben bietet. Die Liegefläche ist eingestreut, das Stallsystem bietet jederzeit Auslauf an die frische Luft. Die Schweine können so ihrem natürlichen Verhalten besser nachgehen und sind zudem weniger anfällig für Krankheiten. Und dennoch: „Selbst in Haltungsformen, die Vorreiter in Sachen Tierwohl sind, stellte man wertvolle Verbesserungen durch den Einsatz von FKE fest. Das zeigt, dass Tierwohl nicht nur eine Frage der Haltung, sondern auch gezielter Fütterung sein kann. Es lohnt sich, unermüdlich nach Lösungen zu suchen und neues Verbesserungspotenzial zu finden“, betont Dominik Eckl. Lukas Hader ergänzt: „Landwirt:innen, denen die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere am Herzen liegt, haben mit dieser Studie und dem FKE-Futtermittelzusatz weitere Bausteine für eine bessere Zukunft für ihre Tiere.“

Aufwärtstrend: Tierwohl verkauft sich gut

„Der Großteil der Schweinehalter:innen kennt seine Tiere genau und kann leichte Veränderungen wie Stress oder Unwohlsein schnell erkennen. In der Gesellschaft mag ein anderes Bild herrschen, doch aus meiner Erfahrung sage ich: Das Wohl der Tiere, inklusive einer hochwertigen ausgewogenen Fütterung, steht für viele Landwirt:innen an oberster Stelle“, so Tierarzt Dominik Eckl.Dass die Bäuerinnen und Bauern nicht alleinverantwortlich für das Tierwohl sind, betonen die Studieninitiator:innen unisono: Am anderen Ende der Wertschöpfungskette stehen die Konsument:innen, die entscheiden, ob sie zu mehr oder weniger Tierwohl greifen. Billigeres Fleisch bedeutet weniger finanzielle Möglichkeiten für landwirtschaftliche Betriebe. Dass alle Tierwohl wollen, aber keiner dafür bezahlen will, widerlegt Eckl jedoch: Am Beispiel des Labels „hütthalers Hofkultur“ sehe man genau, dass immer mehr Konsument:innen zum hochwertigen Tierwohlprodukt greifen. Die AMA erhob dazu kürzlich, dass 2023 rund fünf Prozent aller in Österreich gehaltenen Schweine in den Segmenten Tierwohl und Bio gehalten werden: Das sei ein Drittel mehr als noch im Jahr 2021. Auch Hannes Royer, Obmann von Land schafft Leben, bekräftigt die Entwicklung hin zu mehr Tierwohl: „Die Entwicklung geht langfristig nur in eine Richtung – und die lautet Tierwohl. Der Handel stellt sein Sortiment bereits sukzessive auf Tierwohlf leisch um und die allermeisten Handelsketten haben sich sogar zum Ziel gesetzt, in einigen Jahren nur noch Tierwohlfleisch zu listen. Das bedeutet: Überall dort, wo Herkunft und Haltung des Tieres sichtbar sind, wird Tierwohlfleisch auf lange Sicht der neue Standard sein. Deshalb braucht es für diese Entwicklung aber unbedingt auch eine verpflichtende Haltungskennzeichnung. Denn nur dann kann Qualität von den Konsumentinnen und Konsumenten auch erkannt werden. Anonymes Billigfleisch wird es nur noch dort geben, wo man nicht weiß, wo es herkommt – zum Beispiel in der Gastronomie. Wenn sich die Konsumentinnen und Konsumenten aber erst einmal an den neuen Standard gewöhnt haben, wird das auch hier nicht mehr lange akzeptiert werden.“

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