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Depression durch Fleischersatz? Was die Surrey-Studie wirklich zeigt – und was das für die Branche bedeutet

Eine aktuelle Studie der University of Surrey sorgt für Diskussionen: Vegetarier:innen, die regelmäßig stark verarbeitete Fleischalternativen konsumieren, haben laut den Daten ein um 42 Prozent erhöhtes Risiko, an Depressionen zu erkranken. Für die Fleischbranche eröffnet sich damit eine neue Debatte über Verarbeitung, Rezepturen und die Rolle von Qualität im Ernährungsdiskurs.

Immer mehr Konsument:innen greifen aus ethischen oder ökologischen Gründen zu pflanzlichen Fleischalternativen. Eine Untersuchung der University of Surrey hat dem Boom jedoch eine neue, unbequeme Facette hinzugefügt: In einer Auswertung von UK-Biobank-Daten war der regelmäßige Verzehr stark verarbeiteter pflanzlicher Fleischalternativen (Plant-Based Meat Alternatives, PBMAs) bei Vegetarier:innen mit einem deutlich erhöhten Depressionsrisiko assoziiert. Die Diskussion ist seither in vollem Gange – auch in der Fleischwirtschaft.

Was genau wurde untersucht?

Die Forschenden analysierten in der bislang ersten Studie dieser Art eine vegetarische Teilkohorte der UK Biobank (über 3.300 Personen) und verglichen Vegetarier:innen, die PBMAs konsumierten, mit jenen, die darauf verzichteten. Als Endpunkte dienten u. a. registrierte Diagnosen zu 45 chronischen und psychischen Erkrankungen sowie eine breite Palette an Biomarkern (Blutdruck, CRP, Lipid- und Proteinmarker). Publiziert wurde die Arbeit am 16. Dezember 2024 im Journal Food Frontiers.

Die Kernergebnisse

Vegetarier:innen, die PBMAs aßen, hatten im Vergleich zu vegetarischen Nicht-Konsument:innen ein um 42 % erhöhtes Risiko für Depressionen. Gleichzeitig zeigten sie höhere Blutdruckwerte, erhöhte CRP-Spiegel (Entzündungsmarker) und niedrigere Apolipoprotein-A-Werte, die mit „gutem“ HDL-Cholesterin assoziiert sind. Überraschend: Das Risiko für Reizdarmsyndrom (IBS) war bei PBMA-Konsument:innen um 40 % niedriger.

Wichtig für die Einordnung: Unterschiede beim Konsum von Natrium, Zucker oder gesättigten Fettsäuren fanden die Forschenden zwischen den Gruppen nicht. Das spricht dafür, dass die beobachteten Effekte nicht einfach auf „zu viel Salz/Zucker/Fett“ zurückzuführen sind, sondern auf andere, noch nicht vollständig verstandene Faktoren – etwa entzündliche Mechanismen.

Kausalität oder Korrelation?

Die Studie ist beobachtend und zeigt eine Assoziation, keine kausale Ursache-Wirkungs-Beziehung. Methodisch solide ist die breite Datenbasis (UK Biobank) und der lange Beobachtungszeitraum; dennoch betonen die Autor:innen selbst, dass weitere Forschung nötig ist – auch mit diverseren Populationen und wiederholten Ernährungserhebungen. Die Ernährungsdaten stammen überwiegend vom Studienbeginn; mögliche Veränderungen im Verlauf konnten daher nicht vollständig berücksichtigt werden.

Einordnung für die Praxis

Die Ergebnisse richten sich nicht gegen „pflanzlich“ per se, sondern fokussieren hochverarbeitete Ersatzprodukte. Die Surrey-Gruppe kommt ausdrücklich zu der Einschätzung, dass PBMAs im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung insgesamt „sicher“ sein könnten – der spezifische Zusammenhang zwischen PBMAs, Entzündung und Depression müsse jedoch weiter aufgeklärt werden. Für die öffentliche Debatte heißt das: Weniger Alarmismus, mehr Differenzierung.

Was bedeutet das für die Fleischbranche?

1) Kommunikationschance statt Kulturkampf

Die Studie bietet Handwerk und Industrie die Möglichkeit, Konsument:innen differenziert zu informieren: Nicht „pflanzlich = schlecht“, sondern Verarbeitungsgrad und Rezepturqualität entscheiden mit. Für Metzgereien und Marken ist das eine Einladung, die eigenen Stärken – kurze Zutatenlisten, nachvollziehbare Herkunft, handwerkliche Verarbeitung – sachlich herauszustellen.

2) Produkt- und Sortimentspolitik schärfen.

Wer selbst PBMAs produziert oder führt, sollte Rezepturen kritisch prüfen: Minimierung unnötiger Additive, klare Deklaration, technologische Prozesse mit Blick auf Clean Label. Denn der negative Befund betraf PBMAs als ultra-processed; je „natürlicher“ das Profil, desto geringer die Angriffsfläche. Parallel lassen sich klassische Fleischprodukte mit Fokus auf Qualität, Nährstoffdichte (z. B. bioverfügbares Eisen, B-Vitamine) und Transparenz positionieren – ohne Abwertung pflanzlicher Kost. (Die Surrey-Studie untersuchte Vegetarier:innen; Aussagen über Mischköstler:innen lassen sich daraus nicht direkt ableiten.)

3) Beratung am PoS:

Kund:innen fragen zunehmend nach „gesund vs. ungesund“. Hier hilft ein balancierter Dreiklang:

  • Vollwertige pflanzliche Proteine (Hülsenfrüchte, Tofu/Tempeh, Seitan) ohne starke Verarbeitung empfehlen, wenn fleischfrei gewünscht ist.
  • Bei PBMAs auf Gelegenheit statt Dauerkonsum hinweisen.
  • Für Fleischprodukte das eigene Qualitäts- und Herkunftsversprechen erklären – ohne die Keule „pflanzlich ist gefährlich“. Das schafft Vertrauen und vermeidet Shitstorms.

4) Marketing & Redaktion:

In Owned-Media-Kanälen (Website, Newsletter, Social) sollte die Branche die Studie korrekt zusammenfassen: 42 % höheres Depressionsrisiko bei vegetarischen PBMA-Konsument:innen; mögliche Verbindung über Entzündungsprozesse; gleichzeitig 40 % weniger IBS-Risiko; insgesamt weitere Forschung nötig. Ein solcher nüchterner Fact-Sheet-Stil wird von Medien und gesundheitsbewussten Zielgruppen eher akzeptiert als polarisierende Claims.

Verarbeitungsgrad und Rezeptur im Mittelpunkt der Kommuniktion

Für die Fleischbranche ist die Surrey-Studie weniger ein „Anti-Vegan-Argument“ als eine Einladung, Verarbeitungsgrad und Rezeptur in den Mittelpunkt der Kommunikation zu rücken – bei PBMAs ebenso wie bei Fleischprodukten. Wer faktenbasiert aufklärt, differenziert argumentiert und Qualität transparent macht, gewinnt Vertrauen – gerade in einem Markt, in dem Ernährungs- und Gesundheitsfragen Kaufentscheidungen immer stärker prägen.

Studiensteckbrief der Studie

Publikation: Food Frontiers, 16. Dezember 2024.
Autor:innen: Hana F. Navratilova, Anthony D. Whetton, Nophar Geifman (University of Surrey).
Design/Datengrundlage: UK-Biobank-Vegetarier:innen (> 3.300 Personen), Poisson-Regression für 45 Erkrankungen/psychische Bedingungen; umfangreiche Biomarker-Analyse (inkl. Proteomik/Metabolomik).
Zentrale Befunde: +42 % Depressionsrisiko; höhere CRP- und Blutdruckwerte; niedrigere Apolipoprotein-A-Werte; −40 % IBS-Risiko; keine Gruppenunterschiede bei Natrium, (freiem) Zucker, gesättigten Fettsäuren.
Limitationen: überwiegend weiße UK-Population; Ernährung primär zu Studienbeginn erhoben; Assoziation ≠ Kausalität.

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