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Thomas Macho im Interview: „Tierwohl ist auch Menschenwohl”

Wie kam der Mensch als prähistorischer Aasfresser dazu, Tiere zu schlachten? Thomas Machos Kulturgeschichte „Warum wir Tiere essen“ bringt eine Fülle von Aspekten dieser Entwicklung ein. Der Philosoph wagt aber auch einen Ausblick auf die Zukunft tierischer Lebensmittel.

In der langen Publikationsliste des Kulturhistorikers Thomas Macho ragt der Band „Schweine“ heraus. Doch Ernährung, vor allem der Umgang mit Nutztieren, ist dem gebürtigen Wiener ein Anliegen. Das zeigt sich auch im Gespräch zu seinem neuen Band „Warum wir Tiere essen“. Der 70-jährige Autor predigt darin keinen Totalverzicht, sondern sieht es als Verlust, dass der moderne Konsument den Kreislauf des Lebens und Sterbens verdrängt. Die tierischen Wurzeln der Menschheit beleuchtet Macho im Gespräch mit Roland Graf, in dem er unter anderem einen Fleischkonsum „wie früher“ empfiehlt.

Thomas Macho: „Diese Entwicklung beginnt mit den ,Schoßtieren‘ der Aristokratie im 15. oder 16. Jahrhundert, wo Fürsten und Könige ihre Menagerien mit exotischen Tieren zu füllen begannen, während die Porträts ihrer Frauen Möpse und kleine Hunde als Begleittiere zeigen. Im späten 19. Jh. erfand man dann die Kuscheltiere, was anfangs auch zu einem Aufschrei führte und zu überaus skurrilen Diskussionen. Da fragte man etwa in den USA des frühen 20. Jahrhunderts, ob zu viel Zuneigung der Mädchen für die ,Teddybären‘ dann nicht später das Kinderkriegen erschweren würde.“

Fleisch & Co: Sie beschreiben auch das Sühneritual sibirischer Jäger, die sich beim getöteten Tier entschuldigten. Auch davon will der Konsument heute so wenig wie möglich wissen, oder?

Thomas Macho: „Man sollte zumindest beide Seiten sehen: Den Genuss und was wir dafür in Kauf nehmen. Ich zeigte meinen Studierenden gelegentlich eine Dokumentation von Georges Franju aus dem Jahr 1949 über ,La Villette‘, den alten Schlachthof von Paris. Obwohl das ein historischer Film war, verließen sie reihenweise den Hörsaal bei den expliziten Schlachtungen. Früher aber war es wichtig, dass man rituell auch als Mensch eingebunden war in den Kreislauf des Lebens und der Schuld des Tötens.“

Fleisch & Co: Bemerkenswert ist Ihre Feststellung, dass der Verzicht als Gegenbewegung zum Fleischessen selbst einer Konsumlogik folgt. Überspitzt gefragt: Je freudloser und weniger ich esse, desto besser?

Thomas Macho: „Zumindest ist es sehr seltsam, dass es immer mehr Dinge gibt, die sich dadurch aus- zeichnen, was sie nicht haben: Getreide, Zucker, Fett und so weiter. Das kann man schon als ,Genuss mit Minus-Effekt‘ bezeichnen. Ich fand aber eher das ,animalistische Manifest‘ von Corine Pelluchon lesenswert, weil sie da auch die Schritte politischer Machbarkeit analysiert. Das wären konkrete Maßnahmen zum Tierwohl als Teil des Gemeinwohls, für die sie u. a. Vergleiche mit der Abschaffung der Sklaverei zieht.“

Fleisch & Co: Ein harter Vergleich, wobei es ja im Detail meist um rechtliche Definitionen und die Kontrollmöglichkeiten des Tierwohls geht …

Thomas Macho: „Es ist wichtig, dass wir da so weit als möglich Lösungen finden, die ethisch umsetzbar sind. Denn es gibt keinen unüberbrückbaren Graben zwischen Mensch und Tier! Damit meine ich, dass die Bedingungen der industriellen Fleischerzeugung für die Tiere genauso negativ sind wie für die Menschen, die daran mitarbeiten. Denken Sie an schlechte Löhne und permanentes Arbeiten in Kühlräumen. In diesem Zusammenhang ist Tierwohl in der Tat auch als Menschenwohl zu sehen.“

Fleisch & Co: Damit würde sich die Frage, schmeckt mir etwas gut oder schlecht, dahin verlagern zu: Ist es richtig oder falsch, was ich esse?

Thomas Macho: „So könnte man das sagen. Zumal ja das ,Imaginarium‘, also der Zoo in unserer Fantasie, völlig abgekoppelt ist von den realen Umständen, unter denen Nutztiere leben. Wir befinden uns im sechsten Stadium des Artensterbens, das erste stellte das Aussterben der Dinosaurier dar. Heute ist unklar, ob wir nicht selbst als Spezies vom Planeten verschwinden, wenn wir so weiter machen! Ich habe aber die Erwartung und Hoffnung, dass wir Strategien finden, den weltweiten Fleischkonsum zu reduzieren.“

Fleisch & Co: Die Antwort darauf muss aber nicht der gänzliche Verzicht auf Fleisch sein?

Thomas Macho: „Viele Leute essen gerne Fleisch, das ist die eine Seite. Wir wissen aber auch, dass Verzicht möglich ist. Nur sollte man das nicht mit moralischen Polarisierungen durchsetzen. Unter den jungen Leuten neigen viele zum Veganismus und das hat auch einen wichtigen Effekt. Und dann gibt es ja auch noch die Fleischersatzprodukte – von ,Beyond Burger‘ und Ähnlichem bis zu im Labor gezüchtetem Fleisch. Wichtig wäre eben, strengere Auflagen für die Fleischindustrie zu erstellen. Damit würde das Produkt Fleisch auch automatisch teurer. Aber ich stamme noch aus einer Familie, wo es selbstverständlich war, dass es nur selten Fleisch gab. Das wurde als Genuss verstanden, den wir uns nicht jeden Tag leisten können, sondern z.B. nur zu den wichtigen Festen oder zu einem Geburtstag.“

Der Buchtipp

Vom Schlacht-Ritus zu 60-kg-Jahreskonsum: Ursprünge, Widersprüche und immer wieder kulturelle Anspielungen auf Fleisch-Konsum: In geraffter Form schildert das Buch, wie der Mensch auf den Geschmack von Fleisch kam – und warum er ihn doch einschränken sollte.

Thomas Macho, „Warum wir Tiere essen“, 128 Seiten, 22,– €, Molden Verlag

Autor: Roland Graf

 

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