Viel wienerischer kann ein Event nicht werden: Kommerzialrätinnen und Designer, Schauspieler und Architekten, dazwischen Gratis-Blitzer mit Presseausweisen aus dem Jahr 1983. Hanno Pöschl, Lili Hollein und Gregor Eichinger kamen zur Buchpräsentation, „El Gaucho“-Macher Michael Grossauer ebenso. Sie trafen beim Radatz am Karmelitermarkt auf Käse-Guru Christian Pöhl, Würstel-Platzhirsch Josef Bitzinger und Innungsmeister Horst Stierschneider sowie (Noch-)Tourismus-Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler. Die vereinigende Kraft dahinter war der Würstelstand. Ihm widmete sich Stefan Oláh in seinem Bildband „Fünfundneunzig Wiener Würstelstände“. Und das zog auch Bürgermeister Michael Ludwig in den zweiten Bezirk, denn „der Würstelstand gehört zu Wien wie der Heurige und das Kaffeehaus“. Als Orte der Begegnung werde bei Würsteln und Gebäck „geredet, gelacht und das Leben geteilt“, sah Ludwig die Standln als soziale Knotenpunkte, die die Gemeinschaft stärken und das Miteinander fördern“.
Eine „infraordinäre“ Galerie
Diese Rolle, die weit über das rein Kulinarische hinausgeht, bekräftigte auch Hausherr Franz Radatz: „Wurst ist für die Wienerinnen und Wiener einfach ein Stück Kultur. Der Würstelstand ist eine Oase, wo der Schmäh rennt und der Geschmack der Stadt genossen werden kann.“ Gemeinsam mit Co-Geschäftsführer Thomas Zedrosser unterstützte er daher auch die Neuauflage des Würstelstand-Buchs. Das hatte Fotograf Stefan Oláh erstmals 2013 zusammengestellt. Kulturhistorische Texte steuerte Sebastian Hackenschmidt vom Wiener Museum für Angewandte Kunst (MAK) bei. Ein besonderes Schmankerl ist auch der Beitrag des kürzlich verstorbenen „Eat Art“-Künstlers Daniel Spoerri. Sein Fazit angesichts des Wegs von mit gewürztem Fleisch gefüllten Darm durch den menschlichen Darm: „Es geht um das Wiederkauen von Leben und Tod.“ Kunsthistoriker Hackenschmidt erinnert sich auch an die ursprünglich nur 42 geplanten Würstelstand-Porträts Oláhs. Geworden sind es dann jene 95 – in allen Wiener Bezirken angesiedelten – Stände. Sie sind das Gegenteil des Außergewöhnlichen, „infraordinär“ nennt sie der Kulturwissenschaftler. Und meint damit: Man kann sie leicht übersehen, so sehr sind sie Alltag geworden. Umso mehr fokussieren die Bilder auf die städtischen Strukturen – Kabelführungen der Straßenbahnen werden ebenso wie Pflanzen um die Standln festgehalten. Ein Highlight stellt dabei der Würstelstand „Am Nordpol“ im zweiten Bezirk dar, den Oláh in seiner Rede extra anführte.
Anerkennung für den Kult-Imbiss
Mit dem Hervorheben der „Stadtmöbel“ hat der Fotograf aber auch einen kleinen Bestseller gelandet. „Das Buch ist vergriffen und wird zu mittlerweile utopischen Preisen gehandelt“, ließ Oláh bei der Präsentation durchklingen. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass der gesamte Band zweisprachig (Deutsch, Englisch) gehalten ist, erschließt sich das Wiener Phänomen Würstelstand auch Gästen aus dem Ausland. Damit war man vor elf Jahren offenbar der Zeit voraus. „Der Würstelstand wird immer mehr zum anerkannten urbanen Kulturgut“, sieht der Dokumentarist auch „eine thematisch sehr konsequent gestaltete Galerie Wiens“ in dem Band. Und die liegt aktuell sehr im Trend. Ein Verein rund um drei Würstelstand-Betreiber kämpft darum, die Wiener Würstelstände zum immateriellen Unesco-Kulturerbe zu machen. Es geht um die Anerkennung, „die Street Food in anderen Ländern hat, wo dies viel höher geschätzt wird“, so Patricia Pölzl („eh scho wuascht“), René Kachlir („Zum scharfen René“) und Josef Bitzinger („Bitzinger an der Oper“). Für Bitzinger, der auch an der Buchpräsentation teilnahm, geht es aber nicht nur um die Aufschrift „Wiener Würstelstand“; denn der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, „eine ordentliche kulinarische Qualität für unsere Gäste anzubieten“.
Wurst-Geschichte aus edler Feder
Das geschmackliche Fundament dafür liefern die gewerblichen Fleischer wie das Familienunternehmen Radatz. „Von der heißen Klobasse bis zur knusprig gebratenen Käsekrainer mit fein karamellisiertem Käsefußerl findet man den guten Geschmack von Radatz dort, wo man in Wien ‚habert‘ und der Schmäh rennt“, so Franz Radatz jun. Womit parallel mit dem Buch Stefan Oláhs auch eine deutliche kleinere Publikation vorgestellt wurde. „Die großen sechs Wiener Würstelstand Würstel“ ist eine Broschüre, für die man Edelfeder Christian Seiler gewinnen konnte. Er hat die beliebtesten Wurstwaren der „klassenlosen Wiener Institution“ (© Franz Radatz über den Würstelstand) jeweils auf zwei Seiten porträtiert. So finden sich Loblieder unter folgenden Titeln im lesenswerten Heft:
Debreziner: Die Wurst mit Wumms
Burenwurst: Die Haaße von Wien
Waldviertler: Würzige Wärme des Nordens
Bratwurst: Die Verwandlungskünstlerin
Frankfurter: Mit dem Essen spielt man nicht
Käsekrainer: Eine Wurst wie die Stadt Wien
Die Stars vom Standl für daheim
Letztere stand natürlich auch bei der Buchpräsentation bei Radatz im Zweiten als Snack im Mittelpunkt. Gilt doch der 2022 verstorbene Franz Radatz sen. als Erfinder dieser Wurst. Als Überraschung hatte man für die Buch-Präsentation auch „Die Fünf vom Würstelstand“ als einmalige Sonder-Packung wieder aufgelegt. 550 Gramm Wurst, natürlich mit der Käsekrainer in „normal“ und „scharf“, sowie Waldviertler, Burenwurst und Bratwurst ermöglichten es den Gästen, auch daheim „ihren Senf dazugeben zu können“, wie es eben beim Würstelstand so üblich ist.
Autor: Roland Graf