Wir schreiben den 15. September. Nein, keine Angst, das wird kein Tagebucheintrag. Roman Thum sagte: „Sei bitte um 11 bei mir.“ Bei ihm, das ist in der Triester Straße 201, wo Thum Schinken seit 2018 ein zweistöckiges, modernes Haus mit seinen Qualitätsprodukten bespielt. Auch die gesamte Produktion wird am Standort abgewickelt, elf Leute sind hier beschäftigt. Ebenerdig liegt der Verkaufsraum, in den hinteren Räumen die Produktion. Das helle, freundliche Geschäft mit seinen vielen Weinkisten in der Auslage plus reichlich Wein in den Regalen könnte locker als coole Weinbar durchgehen – was auch passend erscheint, denn Roman ist ein geselliger Mensch. „Ich mag einfach die Gastlichkeit, ich will den Menschen etwas bieten“, sagt er, als wir die Treppe in einen hellen großen Raum emporsteigen. Küche, Eisschränke, Weinschränke, hier finden Veranstaltungen sowie Kochkurse statt .
Beliebt sei der Wurstkurs, wobei: „Der ist leider für einige Monate ausgebucht. Wir hätten nie mit so einem großen Interesse gerechnet.“ Zur Produktion kommen wir etwas später, erst wollen wir uns Roman Thum näher widmen. Zum Gespräch an der langen Tafel serviert er Schinkenbrot mit Kren, dazu gibt’s ein wohltemperiertes Glaserl Grünen Veltliner für mich. Thum bleibt erstmal bei Kaffee.
Ich schieß’ nicht einfach den Hansi!
Heute klingelt sein Handy noch öfter als sonst. Lieferanten, Kunden, Mitarbeiter rufen durch, aber auch Freunde, Familie und Bekannte, denn es ist des Schinkenflüsterers 52. Geburtstag. Ein Alter, welches man ihm übrigens gar nicht ansieht. „Ich beweg’ mich einfach gern“, meint er dazu lapidar, was seinem Understatement, welches eine seiner Wesenseigenschaften zu sein scheint, geschuldet ist. Squash und Mountainbiken halten fit. Am Sonntag zieht’s ihn wieder einmal für einige Tage in die Karpaten. „Dort renn’ ich fünf Tage herum. Ich will die Natur, ich will mir das Wild erarbeiten. Ich fahr’ nicht nach Ungarn, lass’ mir Wild zutreiben und schieß’ den Hansi. Mein Vater war Jäger und Fleischer, ich bin Jäger und Fleischer.“ Apropos Familie. Vor 21 Jahren lernte Roman seine heutige Frau Jarmila kennen, die er zärtlich nur mit Kosenamen bedenkt, die hier aber nicht verraten werden. Auch Jarmila kommt aus der Gastronomie. Die beiden haben vier Kinder. Heute ist sie u. a. für den Verkauf zuständig. Sohn Raphael ist die sechste Thum-Generation, tags zuvor hat er seine Gesellenprüfung bestanden. Für die Zukunft ist also gesorgt.
Die Geschichte der Thum Schinken Manufaktur
Die Vergangenheit freilich ist glorreich. Thum galt einst als größter Schinkenproduzent der Region. Die erste Thum-Generation nämlich, der Urgroßvater, stammte aus der böhmischen Region. „Wir machen ja einen Schinken nach Prager Art. Nur etwas feiner, denn in der k.u.k. Zeit musste ja alles etwas feiner sein.“ Mit knapp 35 Jahren übernahm Roman dann den elterlichen Betrieb. Einst war auch sein Bruder im Unternehmen tätig, aber „wir haben unterschiedliche Auffassungen vom Geschäft “. Roman jedenfalls baute den Betrieb konsequent auf Qualität um. Eine Qualität, die nicht nur in bekannten österreichischen und deutschen Betrieben geschätzt wird, sondern auch in Prag und Paris.
Mangalitza und Strohschwein aus dem Weinviertel
Vom Verkostungsraum gehen wir zurück ins Erdgeschoss, wo man hinter der Vitrine mit den penibel sorgsam verpackten Päckchen Schinken, Speck, Würsten, Pasteten und einigem mehr in die Produktionsräume gelangt. Was auffällt, ist, dass die Schinkenproduktion olfaktorisch nicht auffällt. Heißt: Es riecht hier einfach gut, ja fast clean. Würste und Salami übrigens werden hier nicht gemacht, sie würden zusätzliche Reiferäume benötigen, weshalb Thum sie von Partnerbetrieben produzieren lässt. Im Jahr 2000 hat er mit Bio begonnen, heute liegt der Anteil bei rund 60 Prozent – Tendenz steigend. Die konventionelle Ware kommt dabei aus dem Weinviertel, fast ausschließlich von Strohschweinen. Alles, was mit Mangalitza zu tun hat, ist seit 2005 ausschließlich Freiland und Bio. Weiters bezieht er Keulen vom Schwein vom Mühlviertler Vorzeige-Biobetrieb Sonnberg. Nun aber zu den wichtigsten Produktionsschritten.
Die Schinken-Produktion
Warenprüfung
Es wird kontrolliert, ob alles wirklich passt, also zum Beispiel, ob Temperatur und Gewicht, aber auch Herkunft in Ordnung sind. Thum: „Wir prüfen penibel gleich bei Anlieferung die Qualität der Ware. Optik, Frische und Geruch.“
Zuschnitt
Die Ware wird sofort nach der Lieferung fachgerecht zugeschnitten.
Salzen
„Unsere Art des Salzen ist gut 150 Jahre alt“, erzählt Thum, „wir verwenden aber so wenig wie möglich und wir machen jede Salzlake selbst!“ Das Prozedere beim Kochschinken: Alle Kochschinken werden über das Arteriensystem gepökelt. Gespritzt wird in die Beinarterie, über Druck verteilt sich die Lösung in die feinsten Äderchen und, was entscheidend ist, in Rückenmark und Knochen, die auch mit Blut versorgt werden.
Würzen
„Wir kaufen alle Gewürze selbst ein und machen jede Gewürzmischung selbst. Dadurch können wir auf jedes Produkt eingehen.“ Physiologische Vorgänge laufen im Fleisch weiter, gelangen erst nach längerer Zeit zum Stillstand. Diese Vorgänge stehen in enger Beziehung zu den chemischen Umsetzungen bei der Muskelkontraktion und der Erhaltung des Ruhezustandes. In der Schinkenproduktion setzt man Phosphate, die bewirken, dass die Muskeleiweiße im Fleisch bei der Produktion noch aneinander haften bleiben. „Das tun wir in manchen Bereichen auch – allerdings nicht beim Beinschinken. Es komme auf die Menge an, Phosphat und Nitrit seien ja per se nicht schlecht. Von Letzterem verwendet Thum nur so viel, respektive so wenig, dass am Ende im Produkt nichts mehr nachweisbar ist.
Räuchern
„Früher haben wir die Späne einfach über Gasflammen erhitzt. Jetzt machen wir das temperaturgesteuert über Elektroheizplatten, was eine gleichmäßigere Räucherung erlaubt. Aber wir arbeiten immer noch mit Buchenspänen. In Wien wird generell weniger geräuchert im Unterschied zu Prag. Der Prager Schinken ist ein dunkel geräucherter, rustikaler Schinken. Unser Schinken ist doucement (langsam), weniger, zarter geräuchert.
Kochen bzw. dämpfen
Nach dem Räuchern wird der zarte Schinken nicht gekocht sondern, um sein feines Aroma zu erhalten, gedämpft. „Wir wollen den feinen Geschmack nicht auswaschen.“ Abschließend wird abgekühlt und vakuumiert.
Der Beinschinken aus der Schinkenmanufaktur Thum
Das wichtigste Produkt ist nach wie vor der Beinschinken – vom Ausgelösten setzen die Thums am meisten ab. Es ist, wie alle Produkte, die Roman Thum erzeugt, kein Supermarktprodukt. „Wir erhalten die Struktur des Fleisches. Wie es am Knochen natürlich gewachsen ist. Das ist natürlich nicht immer gleich, auch der Fettgehalt variiert. Unsere Kunden akzeptieren beim Geschmack eine gewisse Schwankungsbreite. Das ist wie bei einem gut gemachten Wein. Gewürzt wird nur mit Salz und einer Prise Zucker.“ Beliebt ist auch der Beinschinken an der Keule, der je nach Kundenwunsch handgeschnitten wird. Die Oster- und Weihnachtszeit beschert dem Schinkenmacher jeweils den doppelten Umsatz.
Tierwohl-Standards erhöhen
Beim Thema Tierwohl sieht Thum den Gesetzgeber in der Pflicht. Der Kunde kauft bewusster, ist Thum überzeugt, einerseits ist bio, andererseits Tierwohl ein großes Thema, dass überhaupt noch mehr Beachtung finden sollte. „Wir haben es als Gesellschaft zu verantworten. Es kann nicht sein, dass Tiere unter teilweise katastrophalsten Bedingungen gehalten werden. Ich fordere vom Gesetzgeber strengere Maßnahmen, um die Standards allgemein zu erhöhen. Dann wird es halt teurer.“
Vernünftig wirtschaften – und wie es mit der Teuerung steht
Teurer wird es derzeit auch in der Produktion. „Ehrlicherweise: Die Teuerung müssen wir an unsere Kunden auch weitergeben. Das weiß jeder ordentliche Geschäftsmann. Wir müssen ja vernünftig wirtschaften. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen sind wir wirklich gut durch diese nicht einfachen Zeiten gekommen. Viele Gastronomen, aber auch Kunden kaufen bewusster ein als früher. Das wiederum kommt uns als Qualitätsbetrieb zugute.“ Thum ist – ein Erfolgsfaktor – auch extrabreit aufgestellt. Beliefert Caterer und Gastronomen, Heurigen und Feinkostläden, ist auf Märkten vertreten und betreibt Online-Handel.
Das Geheimnis des Schinkens
Das Geheimnis des Schinkens ist: Es gibt kein Geheimnis. Vielmehr ergibt hier die Summe aller Teile ein großes Ganzes oder wie Roman Thum sagt: „Es sind viele Bausteine und Schritte. Es ist das Streben nach Qualität im Allgemeinen.“ Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg liegt in Romans Person selbst, die in seiner Familie jenen Rückhalt findet, den er braucht. Er ist ein geselliger Netzwerker, der auf sehr unterschiedliche Menschen eingehen kann. Diese Sensibilität lässt er auch seinen Produkten angedeihen. O.k., dann gibt es schon noch die Markenpflege, die Strahlkraft der Marke Thum. Und somit sei ein kurzes Namedropping am Schluss noch gestattet: Steirereck, Charles Schuhmann, Willi Schlögl (Bar Freundschaft in Berlin), Taubenkobel, Landhaus Bacher, Urbanek, Marco Simonis, Joseph Brot, Motto und ein Sterne-Restaurant in Paris sind nur einige Big Names in des Schinkenflüsterers Portfolio. Inzwischen ist nach 14 Uhr geworden. Wir könnten ja noch länger über Schinken und die Welt überhaupt sprechen, aber heute ist ja Romans 52. Geburtstag. Jarmila, vorher noch im Verkauf, hat sich bereits in ein hübsches Kleid geworfen. Das Handy klingelt nun noch öfter, Freunde und Familie warten bereits im Schweizerhaus und mit einem weiteren Schinkensemmerl im Gepäck trete ich den Heimweg an.
Autor: Marko Locatin