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Lebensmittelpreise: Braucht Österreich staatliche Eingriffe? Zwischen Inflation, Marktmechanismen und sozialer Verantwortung – die Debatte spitzt sich zu.

Steigende Lebensmittelpreise bringen Haushalte unter Druck. In Österreich entbrennt eine hitzige Debatte über mögliche staatliche Eingriffe – mit klaren Fronten zwischen Politik, Wirtschaft und Sozialorganisationen.

Teuerung in Österreich: Wer trägt die Verantwortung?

Mit einer Inflationsrate von 3,5 % im Juli 2025 liegt Österreich weiterhin deutlich über dem EU-Schnitt. Besonders die Lebensmittelpreise gelten als treibender Faktor. Grundnahrungsmittel wie Butter, Fleisch oder Käse sind seit 2023 um bis zu 70 % teurer geworden. Während Handelskonzerne, Gewerkschaften und Politik nach Ursachen und Lösungen suchen, wächst in der Bevölkerung der Unmut – und die Sorge vor Ernährungsarmut.

PRO-GE und Volkshilfe: Preiskontrollen und Transparenz gefordert

Die Produktionsgewerkschaft PRO-GE unterstützt die Idee von Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ), Maßnahmen gegen die Teuerung zu setzen. Gewerkschaftschef Reinhold Binder spricht sich für eine Anti-Teuerungskommission aus, die Supermarktpreise genau überwachen und ungerechtfertigte Preisaufschläge sichtbar machen soll.

Auch die Volkshilfe schlägt Alarm: Eine neue Studie zeigt, dass sich 76,8 % der armutsbetroffenen Haushalte Fleisch, Fisch oder vegetarische Alternativen nicht in gewünschtem Umfang leisten können. „Lebensmittel dürfen kein Luxus sein“, mahnt Direktor Erich Fenninger. Gefordert werden Preisdeckel auf Grundnahrungsmittel, mehr Transparenz und armutsfeste Sozialleistungen.

Wirtschaftskammer: Eingriffe wären „Symbolpolitik“

Ganz anders sieht man das bei der Wirtschaftskammer Österreich. Christian Prauchner, Obmann des Bundesgremiums Lebensmittelhandel, warnt vor staatlichen Eingriffen in die Preisgestaltung. Die Ursachen der Preissteigerungen lägen nicht im Handel, sondern in der gesamten Wertschöpfungskette: von internationalen Rohstoffmärkten über gestiegene Produktions- und Energiekosten bis hin zu regulatorischen Belastungen wie CO₂-Abgaben oder der verpflichtenden E-Mobilitätsinfrastruktur.

Die Margen im österreichischen Lebensmittelhandel seien mit unter 1,5 % äußerst gering. Eine staatliche Preisregulierung würde laut WKÖ weder die Ursachen bekämpfen noch langfristig funktionieren – vielmehr drohe eine Verzerrung des Marktes.

Landwirtschaft unter Druck: Zwischen Rohstoffpreisen und Marktzwängen

Besonders die Fleischbranche steht zwischen den Fronten. Während Supermarktpreise hoch bleiben, sehen sich viele Fleischverarbeiter massivem Preisdruck durch Handelskonzerne ausgesetzt. Gleichzeitig steigen die Kosten für Futter, Energie und Personal. Ein Blick auf den Rindfleischmarkt zeigt: Laut AMA lag der durchschnittliche Schlachtpreis für Kühe zuletzt bei 6,23 €/kg – ein Plus von über 50 % im Vergleich zum Vorjahr. Auch bei Milch ist der Auszahlungspreis gegenüber 2020 um mehr als die Hälfte gestiegen.

Die Rolle des „Österreich-Aufschlags“

Ein weiterer Streitpunkt ist der sogenannte „Österreich-Aufschlag“ bei Markenprodukten. Diese sind hierzulande häufig deutlich teurer als in anderen EU-Staaten. Grund dafür sind territoriale Lieferbeschränkungen großer Lebensmittelkonzerne, die verhindern, dass heimische Händler günstiger im Ausland einkaufen. Für AK-Ökonomen und die EU-Kommission stellt dies eine Wettbewerbsverzerrung dar – und einen Ansatzpunkt für europäische Reformen.

Preisdeckel, Steuersenkungen oder Marktmechanismen?

Die möglichen Maßnahmen sind vielfältig – und umstritten. Während die SPÖ Preisdeckel und Steuersenkungen für Grundnahrungsmittel ins Spiel bringt, lehnt die ÖVP solche Eingriffe ab. Stattdessen setzt man auf mehr Transparenz, die Bekämpfung von Shrinkflation und eine europaweite Lösung gegen unfaire Lieferpraktiken.

Auch viele Ökonom:innen äußern sich skeptisch gegenüber Preisdeckeln. Sie warnen vor leeren Regalen, sinkender Produktqualität und Marktverzerrungen – Erfahrungen aus Ländern wie Ungarn hätten dies bestätigt. Stattdessen wird eine strategischere, strukturpolitische Herangehensweise gefordert: mehr Wettbewerb, geringere Abhängigkeit von Importen und gezielte soziale Maßnahmen.

Zwischen Sozialpolitik und Marktlogik: Die Diskussion bleibt offen

Die Debatte zeigt: Es gibt keine einfache Lösung. Zwischen sozialpolitischen Forderungen, wirtschaftlicher Machbarkeit und europäischem Wettbewerbsrecht liegt ein komplexes Spannungsfeld. Fest steht: Wer langfristig stabile Lebensmittelpreise sichern will, muss sowohl internationale Entwicklungen als auch nationale Rahmenbedingungen im Blick behalten – und dabei auch den Produktionsstandort Österreich stärken.

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