Wie viele heutige Global Player in der Industrie fängt auch die Firma Handtmann bescheiden als Hand- werksbetrieb an: 1873 gründet Christoph Albert Handtmann (1845–1918), Rufname Albert, in Biberach eine Mechanische Werkstatt und Messinggießerei. Vorangegangen war die Lehre in einer Waffenschmiede und einer zehnjährigen Wanderschaft, die ihn zunächst nach Kempten führte, wo er das Handwerk des Glockengießers erlernte.
Neben dem aufwendigen Bronzeguss sammelte er dabei auch Erfahrungen im günstigeren Messingguss, damals auch „Gelbguss“ genannt, was von entscheidender Bedeutung für das spätere Unternehmen Handtmann sein sollte. Mit diesem Know-how kehrte Albert Handtmann in seine Heimatstadt zurück und macht sich 1873 selbstständig.
Neben handwerklichem Fachwissen bringt er neue Ideen mit. So lässt er einen ölbefeuerten Schmelzofen installieren, mit dem sich die erforderlichen 1000 °C für das Schmelzen von Metall schneller erreichen lassen als mit den damals üblichen Kohleöfen. Anfangs gießt Handtmann noch Bronze und liefert Gleitlager für die Eisenbahn. Schnell entwickelt er sich jedoch zum Spezialisten für Messingguss und dies in großer Vielfalt.
Schwierige Zwischenkriegszeit – Adolf Karl Handtmann übernimmt
Nach dem Tod des Unternehmensgründers geht seine Werkstatt an seinen ältesten Sohn Karl Albert (1874–1951), wie der Vater kurz Albert genannt. Es ist jedoch der jüngere Bruder Adolf Karl Handtmann (1884–1953), der die Geschicke der Firma nachhaltig prägen wird. Er erweitert die Geschäftstätigkeit, dennoch nehmen die Inflation 1923 und die Weltwirtschaftskrise 1929 das Unternehmen schwer mit. Teilweise sinkt die Belegschaft auf fünf Mitarbeiter.
Erst ab 1932 geht es mit der Firma wieder bergauf. Im zweiten Weltkrieg wird Messing als kriegswichtig eingestuft und Handtmann produziert Stahlteile für die Rüstungsindustrie. Bei Kriegsende ist die Betriebseinrichtung heruntergewirtschaftet, die einzigen beiden Drehmaschinen werden von der französischen Besatzungsmacht demontiert, Handtmann steht vor dem Aus.
Das Wirtschaftswunder: Handtmann setzt auf Leichtmetall
Der Neuanfang für Handtmann nach dem Krieg ist schwer. Damit das Unternehmen weiterbestehen kann, baut Karl Handtmann, seit 1944 alleiniger Eigentümer, seinen Sohn Arthur nach dessen Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1946 systematisch als Nachfolger auf. Dieser schließt 1950 sein Studium als Maschinenbau-Ingenieur ab und setzt auf Leichtmetall, denn es ist besser zu verarbeiten, hat einen niedrigeren Schmelzpunkt und verursacht weniger gesundheitsschädliche Abgase.
1952 übernimmt er für die Firma Weishaupt den Aluminiumguss von Brennerteilen und Lüftergehäusen. Für Handtmann ist dies der Durchbruch, 1952 übertrifft der Umsatz erstmals die Millionen-D-Mark-Schwelle – und Handtmann ist im Wirtschaftswunder angekommen. Auch mit den Mitarbeiterzahlen geht es bergauf. Bereits 1949 sind 51 Personen bei Handtmann beschäftigt, 1950 bereits 56 und ein Jahr später 65, der Beginn einer kontinuierlichen Aufwärtsentwicklung.
Der Start in der Lebensmittelverarbeitung
1953 stirbt Karl Handtmann mit 63 Jahren, alleiniger Inhaber ist nun Arthur. Parallel zur Neuausrichtung auf den Leichtmetallguss entscheidet sich der Maschinenbau-Ingenieur dafür, einen eigenen Maschinenbau zu etablieren, um die Firma stabiler aufzustellen. Ausschlaggebend hierfür ist Anfang 1953 die Frage eines alten Schulfreundes, ob er eine handbetriebene Wurstfüll- und Portioniermaschine bauen könne. Mit Begeisterung konstruiert Handtmann daraufhin die erste manuelle Portionier- und Abdrehmaschine R 12.
Bald schon stellt er fest, dass nur ein motorbetriebenes Gerät die schwere Arbeit der Wurstportionierung erleichtern und einen wirklichen Fortschritt bringen kann. Handtmann wirbt daher einen Studienkollegen ab, der die R 12 mit einem Elektromotor ausstattet. Mit dem Erlös aus dem Verkauf dieser R 25 getauften Maschine nach England baut er 1954 in einer Baracke auf dem Firmengelände die Maschinenfabrik auf. Als Personal stehen ihm neben seinem Konstrukteur, ein Dreher und drei Schlosserlehrlinge zur Verfügung. Von 1959 bis 1961 entstehen nach diversen Fehlversuchen die Portionier- und Abdrehmaschinen FA 40 und FA 70 sowie die Kolbenfüller F 20 bis F 70.
Sie bringen den Durchbruch: Auf der Internationalen Fleischwirtschaftlichen Fachausstellung IFFA 1962 in München überrascht Handtmann die Fachwelt und verkauft auf einen Schlag 152 seiner neuen Füllautomaten an Kunden in ganz Europa.
Mit seinen Portioniermaschinen hat Handtmann das richtige System zur richtigen Zeit parat: Im Zuge der „Fresswelle“ steht reichhaltige Ernährung und hoher Fleischkonsum in den Wirtschaftswunderjahren hoch im Kurs. Und damit boomt die Maschinenfabrik von Handtmann. Schon 1964 arbeiten dort 80 Personen und der Exportanteil beträgt 60 Prozent. Insbesondere die Portioniermaschinen FA 40 und 70 erweisen sich als echte Verkaufsschlager in der Fleischwirtschaft, 1968 verkauft Handtmann die tausendste FA 70.
Handtmann wird Nummer eins mit Vakuumfüller
Auch das Produktportfolio wächst: 1967 bringt die Maschinenfabrik den ersten Vakuumfüller auf den Markt. Besonderheit ist das Flügelzellenförderwerk für exakte Portionierung. In der Folgezeit avancieren die in verschiedenen Leistungsstufen angebotenen Vakuumfüller zum Hauptumsatzträger. Mit ihnen wird Handtmann 1980 Weltmarktführer in der Füll- und Portioniertechnik – und ist es bis heute. 1979 erreicht die Maschinenfabrik mit 300 Mitarbeitenden einen Umsatz von 38 Millionen D-Mark, 2022 sind es 1373 Beschäftigte und rund 340 Mio. Euro Umsatz. Damit ist die Füll- und Portioniertechnik der zweitgrößte Geschäftsbereich bei Handtmann. 1986 sorgt Handtmann erneut für Aufsehen und präsentiert den weltweit ersten mikroprozessorgesteuerten Vakuumfüller VF 80.
Millennium-Neubau der Fabrik in Biberach-Aspach
In der Folgezeit digitalisiert Handtmann sowohl seine Maschinen als auch deren Fertigung umfassend. Zusätzlich ergänzen automatische Abdreh-, Schneide- und Aufhängelinien das Angebot. Als Antwort auf Ernährungsgewohnheiten im Wandel liefert Handtmann inzwischen auch Varianten seiner Maschinen, die sich auch für Fisch, Teig-, Milch- oder Käseprodukte, Salate, vegetarische und Convenience-Produkte eignen. Seit den 1990er-Jahren sind in der Maschinenfabrik CNC-gesteuerte Bearbeitungszentren Standard.
Die Innovationsfreude erfährt nochmals Impulse, als Handtmann 1998 den kompletten Neubau der boomenden Maschinenfabrik im neuen Industriegebiet Biberach-Aspach beschließt, 2000 folgte die Einweihung. Die neuen Anlagen ermöglichen die Neustrukturierung und Perfektionierung der Fertigungsabläufe. Heute das Drehen, Bohren, Fräsen und Schleifen in der Metallverarbeitung simultan mit Multifunktionsbearbeitungszentren. Bauteile aus hochlegiertem Edelstahl werden hier mit einer Genauigkeit von bis zu einem Tausendstelmillimeter bearbeitet. 2003 führt Handtmann in der Maschinenfabrik außerdem die Gruppenarbeit ein, die eine Produktivitätssteigerungen von bis zu 50 Prozent brachte.
Nächster Schritt ist 2004 die Einweihung eines vollautomatisierten Hochregallagers für die zentrale Ersatzteillogistik des weltweiten Handtmann-Services. 2017 geht ein zweites, noch größeres Hochregallager mit 30 Metern Höhe, 7500 Paletten und einem vollautomatischen Kleinteilelager mit 65.000 Lagerbehältern in Betrieb. Auch die erst 2000 eingeweihte Fabrik wird bereits 2009 um über 50 Prozent auf 30.000 Quadratmeter erweitert. Ähnlich die Entwicklung beim 2010 eröffneten Handtmann Forum zur Kundenschulung, dem schon 2016 ein neues Forum folgt.
Um sich noch breiter aufzustellen und ganzheitliche Prozesslösungen für die Lebensmittelverarbeitung anzubieten, erwirbt Handtmann 2020 die Inotec GmbH mit den vier Standorten. Der in Reutte (Tirol) geborene Maschinenbautechniker Harald Suchanka, er verantwortet als CEO den Unternehmensbereich Füll- und Portioniersysteme (F&P) bei Handtmann, fasst zusammen: „Handtmann hat sich in der Vergangenheit sehr stark auf die Serienproduktion von Füllmaschinen konzentriert. Wir wollen Handtmann nun stärker in Richtung eines Linienanbieters entwickeln, auch mit kundenspezifischen Anlagen sowie Gesamtlösungen und damit echten Mehrwert für unsere Kunden bieten. Aus dieser Situation resultierte die Akquisition von Inotec. Dadurch sind Peripheriegeräte wie Feinstzerkleinerer, Mischer, Abbinde- und Wursttrennmaschinen, zum Portfolio dazugekommen.“
Erfolgreiche Unternehmensgruppe mit 4.300 Mitarbeiter:innen
2021 schließlich übernimmt Handtmann den niederländischen Anbieter von Maschinen, Apparaten und Komponenten für die Lebensmittelindustrie Verbufa. Heute ist die Unternehmensgruppe ist ein weltweit tätiges Technologieunternehmen aus dem Bereich der verarbeitenden Industrie mit 4300 Mitarbeitenden, davon 2700 am Stammsitz in Biberach an der Riß – und wird nach wie vor von der Gründerfamilie geleitet. Dezentral organisiert ist Handtmann in sechs Geschäftsbereiche mit autonomen Managementstrukturen gegliedert: Leichtmetallguss und Systemtechnik für die Automobilindustrie, Füll- und Portioniersysteme sowie Anlagentechnik für die Lebensmittelindustrie, Kunststofftechnik und E-Solutions. Harald Suchanka: „Wir wollen das Wachstum unseres Geschäftsbereiches vorantreiben, indem wir Marktanteile ausbauen, neue Geschäftsfelder erschließen und uns als agilen Lösungsanbieter für gesamthaftes Food Processing noch stärker positionieren. Die Strategie, die wir verfolgen: Das Produktportfolio erweitern, mehr Dynamik in den Märkten erzeugen sowie grundlegend neue Märkte schaffen.“
Markus Handtmann und Valentin Ulrich übernehmen
Handtmann erwirtschaftete 2022 einen Umsatz von 1,1 Milliarden Euro. Durch konsequente Thesaurierungspolitik ermöglichen die Unternehmenseigner hohe Investitionen in Forschung, Entwicklung und Produktionsanlagen. Auf diese Weise unterstützen sie nachhaltig ein qualitatives Wachstum. Die Gruppe ist aktuell in über 100 Ländern mit eigenen Produktionsstätten, Niederlassungen und Werksvertretungen präsent. Das 150. Fi menjubiläum 2023 ist mit einem Generationswechsel an der Spitze des Familienunternehmens verbunden: Thomas Handtmann, seit 1998 Geschäftsführer der Handtmann Unternehmensgruppe, übergibt die Leitung an seinen Sohn Markus Handtmann und seinen Neffen Valentin Ulrich.
Autorin: Tanja Braune
Das Interview mit Laska zum zum Jubiläum:
„Handtmann hat Großartiges geleistet, das bis heute Bestand hat“
Auch Catherine und Reinhard Burg von Johann Laska u. Söhne sind als langjährige Handelspartner am großen Erfolg von Handtmann beteiligt. Das Interview zum Jubiläum
Fleisch & Co: 150 Jahre Handtmann – eine grandiose Erfolgsgeschichte. Seit wann ist Laska daran beteiligt?
Reinhard Burg: „Seit Anfang der Sechzigerjahre des vorigen Jahrhunderts gibt es eine enge, sehr freundschaftliche Partnerschaft mit Handtmann. Mit Arthur Handtmann, dem leider schon verstorbenen Seniorchef, war damals dieses Abkommen vereinbart worden. Ich erinnere mich, dass wir auf den Fleischermessen immer Spaß hatten, denn er war sehr humorvoll. Zu Beginn, als es schon den ersten Vakuumfüller gab, waren die Hits dennoch die Kolbenfüllautomaten in den Größen 40 und 70 Liter. Mit ihnen konnte man erstmals grammgenau portionieren und abdrehen, denn bis dahin gab es ja nur Geradeausfüller. Sie passten auch genau in die kleinteilige Struktur des damaligen österreichischen Fleischergewerbes.“
Fleisch & Co: Und die Vakuumfüller?
Reinhard Burg: „Einen Vakuumfüller gab es zunächst aufgrund seiner Größe nur für die Industrie. Mit der Entwicklung des Flügelzellenförderwerks hat Handtmann aber Großartiges geleistet, das bis heute Bestand hat. Es gibt kein anderes Förderwerk, das einen exakteren Vorschub und vor allem eine schonendere Behandlung des Füllgutes aufweisen kann. Mittlerweile oft kopiert – kein Vergleich!“
Fleisch & Co: Wohin geht die Entwicklung in der Fülltechnik?
Catherine Burg: „In den letzten Jahren und Jahrzehnten ist das maschinelle Angebot enorm gewachsen. Vakuumfüller mit den hervorragendsten Ausstattungen gibt es von Handtmann heute natürlich für Klein- und Mittelgewerbe, ebenso wie für die verschiedensten industriellen Anwendungen. Die zunehmende Automatisierung in der Produktion führte aber auch zur Erzeugung von vollautomatischen Schneide- und Hängelinien, Dosiersystemen, Multi-Formlinien, Hochvakuum-Technologie für verschiedene Anwendungen, Con-Pro-Systeme zum Auftrag einer feinen pflanzlichen Wursthülle anstelle eines Darms u. v. m. Der Automatisierung ist jedenfalls Tür und Tor geöffnet. Mittlerweile sind einzelne Systeme auch in anderen Lebensmittelbereichen, etwa in der Backwarenindustrie und dergleichen im Einsatz.“
Fleisch & Co: Wie kommt Laska als Handelspartner damit zurecht?
Catherine Burg: „Die enge Zusammenarbeit mit Handtmann führte dazu, dass wir dabei mitgewachsen sind. Ganz wichtig ist die ständige Information für unser Verkaufspersonal und die laufende Schulung unserer Techniker, denn sonst könnte man mit der rasanten technischen Entwicklung nicht Schritt halten. Wir sind diesbezüglich auf einem sehr guten Weg, das zeigen uns zumindest die Verkaufszahlen.“
Reinhard Burg: „Johann Laska u. Söhne dankt dem Jubilar für die jahrzehntelange Partnerschaft und wünscht sich noch eine lange gemeinsame Zukunft!“