Es ist noch früh am Dienstag und im Hof warten Matthias und Michael Tschürtz auf die Rückkehr ihres Vaters vom Schlachthof Fröch. Die Schweinehälften aus dem nahen Zemendorf werden an diesem Tag immer frisch angeliefert, gemeinsam zerlegt und zugeputzt. Jeder Handgriff sitzt an diesem Novembervormittag.
Doch es schwebt noch etwas anderes in der kalten Loipersbacher Luft: Abschiedsschmerz. Denn es werden nur noch ein paar Fahrten sein, die Otmar Tschürtz durchführt. „Mit 30. Dezember ist Schluss“, legt sich der 65-Jährige fest.
Köstliches für die ganze Ost-Region
Der 30. wird der letzte Markt-Samstag für den Familienbetrieb sein, der 31.12. fällt heuer auf einen Sonntag. In dieser Akkuratesse schwingt noch etwas von der Ausbildung Otmar Tschürtz’ durch. „Ich bin gelernter Hochbautechniker.“ Erst die Überlegung, sich doch selbstständig zu machen, ließ ihn in den elterlichen Betrieb einsteigen. 1961 hatte Vater Matthias im kleinen Loipersbach mit der Fleischerei begonnen, nach Lehrjahren in Wien wurde der Senior in seiner Heimat Burgenland sesshaft. Seine Frau kannte er seit Schultagen, sie wurde die Seele des Ladengeschäfts.
„Mit der Mutter haben wir genau kalkuliert, was wir brauchen und darauf hinproduziert“, erinnert sich Otmar Tschürtz an seinen Einstieg daheim im Jahre 1992. Das Ladengeschäft ist schon seit vier Jahren Geschichte, die Produktion neben dem Wohnhaus florierte aber bis zuletzt. Spezialitäten wie das Loipersbacher Hammerfleisch, Käsekrainer mit kleinem Kaliber, dafür aber echtem Emmentaler, aber auch unkonventionelle Wurstwaren wie Bresaola und Merguez waren gefragt. Und das in drei Bundesländern! Denn als Marktfahrer besuchen die Burgenländer wöchentlich Bad Vöslau, Eisen- stadt und vor allem den „Slow Food“-Teil des Karmelitermarkts in Wien.
Moderne Ansätze statt „Jammerei“
Dabei stand der Anfang der Expansion unter keinem guten Stern. 1994 eröffnete Tschürtz in Wiener Neustadt als Teil des Gastro-Zentrums „A jour“ der Bäckerfamilie Radits eine nachgerade revolutionäre Fleischerei. Die Präsentation der Lebensmittel war ebenso wie das Angebot ihrer Zeit voraus. „Unter der Woche gingen aber zu 80 % Imbisse wie der Leberkäse, lediglich am Wochenende stellten sich die Leute ums Frischfleisch an“, berichtet Tschürtz von jener Phase, die er als „teuren Lernprozess“ bezeichnet.
Denn der Ausgleich hätte den Höhenflug beinahe wieder beendet. Es musste radikal umstrukturiert werden. Die Märkte kamen hier als neues Standbein zur rechten Zeit. Begonnen hatte alles mit einem Catering für den Steuerberater, das eigene Tschürtz-Schinkenmobil sollte dann aber schnell folgen. Es ist bis heute ein buntes Fahrzeug, das erzählt, wie sehr sich der kleine Dorffleischhauer ab der Jahrtausendwende abhob.
„Es ging immer um die Entwicklung einer Marke“, war schnell klar. Bis heute steht selbst am Wegweiser zur Fleischerei schlicht „der tschürtz“ – diese Typografie war damals so modern wie das Produktangebot der Fleischerei. „Jeder Urlaub wurde für uns eine kulinarische Bildungsreise“, lautete das Credo, das sich ursprünglich aus einem Besuch des Schinkenfests in San Daniele entwickelt hatte.
Prosciutto, made in Burgenland
Mit der Entwicklung eigener Produkte wie dem Prosciutto aus Loipersbach, Hauswürsteln mit pannonischem Safran (von Hannes Pinterits) oder seiner frühen Leidenschaft fürs „Dry Agen“ machte sich Tschürtz ab diesem italienischen Erweckungserlebnis anno 1998 schnell einen Namen.
Wollte jemand eine Porchetta, den italienischen Kräuter-Rollbraten, dann galt auch da Loipersbach als fast so authentische Adresse wie Greve oder Siena. Der hauseigene Prosciutto wird sogar das „Aus“ für den Betrieb überleben, wie Sohn Michael beim Rundgang durch die Reifekammer erzählt: „Schau, der muss noch zwei Jahre reifen, der bleibt also noch hängen.“
Warum die nächste Generation in Loipersbach nicht weitermacht, erklärt dann Matthias Tschürtz: „Hohes Risiko und niedriger Gewinn – warum sollte ich das tun?“ Immer höheren Investitionen stünden nur minimale Erträge gegenüber. Vater Otmar liefert die Kalkulation dazu nach: Trotz deutlich erhöhter Preise, die man heuer verlangen musste, sei der Umsatz mit Wiederverkäufern heuer um 25 % zurückgegangen. „Wenn du viel arbeitest und es schaut dann auch viel heraus, gibt es vielleicht Verständnis bei einem Partner. Aber nie Zeit zu haben und nichts zu verdienen …“, lässt Matthias den Satz unvollendet.
Nach 62 Jahren erfolgte das „Aus“ für die Fleischerei Tschürtz
Er selbst hat bereits die Konsequenzen gezogen und ist nach NÖ gezogen, wo er in einem neuen Metier seinen Lebensunterhalt verdient. Alleine weiterzumachen war aber keine Option für seinen Bruder. Zumal in diesem Falle auch Investitionen in die Ausstattung fällig geworden wären. „Ein Teil der Maschinen stammt sogar noch von unserem Großvater“, so Michael Tschürtz, während er die letzten Hauswürstel mit dem betagten Vakuumiergerät verpackt. Denn auch das Weihnachtsgeschäft läuft gut in Loipersbach, wie die Bestell-Liste verrät, die der junge Fleischer abarbeitet. „Vor allem viele junge Männer kochen heute und schauen auch über den Tellerrand dabei“, hat man bestes Feedback am Karmelitermarkt, wenn es um Weidegans-Paté oder Rillettes vom Mangalitza-Schwein geht.
Die Innovationen kamen bestens an, selbst die „New York Times“ widmete dem Tschürtz- Fleisch einst einen Artikel. Die große Fotografin Elfie Semotan kam damals nach Loipersbach, um den Dorff leischhauer abzulichten. Es war der Lohn für einen unkonventionell denkenden Handwerker und seine Ideen: „Produktentwicklung hat mich immer interessiert und tut es noch. Aber produzieren sollen dann andere.“
Negative Aussagen gibt es nicht einmal angesichts des Endes der 62-jährigen Firmengeschichte in der burgenländischen „Schinken- und Fleischmanufaktur“.
Otmar Tschürtz gehört nicht zu den „Matschkerern“. Bewusst engagierte er sich in der Innung und beteiligte sich auch hier an allen Initiativen, die das Lebensmittelhandwerk zeitgemäß vermarkteten. So steht auch die Werbetafel mit seiner Anti-Inflationsaktion („-10% auf Frischfleisch-Kauf“) neben dem Marktmobil bereit, um es auf die letzten Fahrten im Dezember zu begleiten.
Kundenwünsche köstlich umsetzen
Der Fleischer hadert auch nicht mit den Kunden – er sieht sie allerdings in Zukunft nur noch in den Ballungsräumen in ausreichender Zahl: „Dort ist eine Klientel herangewachsen, die wie in den mediterranen Ländern Qualität schätzt und ein Bewusstsein dafür hat, dass diese auch mehr kostet.“ Als Marktforscher in eigener Sache hat er sich bewusst immer lange mit den Kunden unterhalten, speziell den Rotwein-Fans auf hochwertigen Messen, bei denen man jahrelang Tschürtz als Fixstarter mit guter „Unterlage“ antreffen konnte: „Ich wollte wissen, was Genussmenschen wichtig ist.“
So gewann man sie wieder zurück, als der erste Supermarkt in Loipersbach dem Fleischer zusetzte. Die Anschaffung der Aufschnittmaschine war in der Familie nicht unumstritten. „Doch dass wir grammgenau und frisch aufgeschnitten haben, brachte die Kunden schnell wieder zu uns zurück.“ Auf den Märkten in Ostösterreich wiederholte sich diese Wertschätzung. Eine der ersten Fragen, als das Tschürtz-Mobil am Wiener Karmelitermarkt Station machte, kam von der ansässigen Apothekerin: „Kommen Sie jetzt eh immer, Herr Tschürtz?“ Und natürlich lieferte der Loipersbacher Samstag für Samstag seine Ribeyes, Rillettes und natürlich den legendären Schinken.
Auch die Partnerschaft mit Andrzej Koch alias „Der Schweizer“ ergab sich unter der „Slow Food“-Markise in Wien-Leopoldstadt. Vom Käsehändler stammt der originale Schweizer Emmentaler für die delikaten Käsekrainer des Burgenländers. „Auf den Märkten sind sie jetzt schon traurig“, gibt die Fleischerfamilie ein abschließendes Stimmungsbild der langjährigen Kundschaft in Vöslau, Eisenstadt und Wien.
Typisch Tschürtz: Selbst beim Schließen denkt man noch mehr an die Kunden als an sich selbst!
Autor: Roland Graf