Die Formulierung von neuen Zielen für das jeweils folgende Geschäftsjahr hatte zwangsläufig eine ständige Weiterentwicklung der einzelnen Geschäftsfelder zur Folge.
Im Zuge von dutzenden Standortbewertungen habe ich mir immer wieder Einblick in die örtliche Angebotsstruktur verschafft und natürlich auch die Fleischerfachgeschäfte unter die Lupe genommen. Das Ergebnis war für die Fleischerbranche in den meisten Fällen wenig erfreulich. In manchen Fällen unangebrachte Überheblichkeit, in den meisten Fällen aber die sprichwörtliche Lähmung, wie das Kaninchen vor der Schlange, waren die mir entgegen gebrachten Reaktionen. Beides war zu der Zeit denkbar schlecht.
Eine der durchgängigen Verhaltensweisen, die ich innerhalb der Fleischerbranche landauf/landab erlebt habe, war die mangelnde Bereitschaft, sich mit sich selbst und seinem Geschäft kritisch auseinander zu setzen. Geschweige denn Maßnahmen einzuleiten, die zu einer Veränderung der aktuellen Situation geführt hätten. Die Flächenexpansion des Handels und sein werbliches Trommelfeuer wurden als vorgegeben zur Kenntnis genommen, ohne eigene wirksame Gegenstrategien zu entwickeln. Einer meiner Kollegen aus dem Feinkostbereich meinte einmal: „Solange es uns der Konsum und die Fleischer so leicht machen, ist unser Feinkostwachstum geradezu vorprogrammiert“. Diese Aussage wurde in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre gemacht und sollte noch einige Jahre Gültigkeit haben.
Es gab aber auch damals schon Lichtblicke innerhalb der Branche. Nach meiner Erfahrung waren dies Firmen, die von Unternehmerpersönlichkeiten mit entsprechendem Weitblick und Gespür für Kundenbedürfnisse geführt wurden. Oft waren eine eindeutige Qualitätspolitik und eine offensive Sortimentsstrategie die warenbezogenen Eckpfeiler des Erfolges. Im Marketingbereich zeichneten sich diese Firmen meist durch eine ansatzweise gute Firmen-Corporate-Identity aus, die schon damals die in letzter Zeit so modernen Grundsätze der Regionalität beinhaltet haben. Darüber hinaus gab es eine durchgehende und grundsätzliche Bereitschaft, Input von außen in Form von Schulungen und Beratung zuzulassen. Diese Fleischer stehen vielfach auch heute noch als bestens verwurzelte Fachgeschäfte da, oder sie sind in einem mehr oder weniger ausgeprägten Filialwesen zu finden. Andere haben den Sprung in die Liga der großen Handwerksbetriebe geschafft, die sich auf die Vermarktung von Nischenprodukten über den Handel spezialisiert haben. Manchen ist auch beides gelungen.
Sie sehen: damals – wie übrigens auch heute – war und ist nach wie vor alles möglich. Man muss nur die Vorstellungskraft und den Mut zur Umsetzung von neuen Strategien und Wegen aufbringen. Vorher darf ich allerdings im nächsten Brief auf die häufigsten Versäumnisse der letzten 20 Jahre eingehen.
Mit kollegialen Grüßen, Karl Wegschaider