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60 Jahre Wurstkultur bei Radatz

Radatz ist ein Stück Kultur aus Wien und schreibt mit Geschmack Geschichte – und das mittlerweile seit 60 Jahren.

Mit 14 jahren ging der junge Franz Radatz aus dem Burgenland in die Lehre bei seinem Onkel Matthias, einem Fleischer im niederösterreichischen Wampersdorf. Schon ein Jahr später wechselte er nach Wien zu Wilhelm Löw, dem damals besten Wurstmeister in Wien. Das Ziel von Franz Radatz war es, ebenfalls Wurstmeister zu werden, das Höchste, was man damals in diesem Beruf erreichen konnte. Mit 17 Jahren wurde Franz schließlich Wurstmeister … Sein nächstes Ziel war die Selbstständigkeit und das gelang ihm bereits 1962 im zarten Alter von 25 Jahren.

Das Team in der Karolinengasse: Elisabeth Radatz, Christine Palfrader, Hilde Götzl, Franz Radatz, Pepi Palfrader und Helmut Brandl
(v. l. n. r.) © Beigestellt

Pioniere bei der Arbeit

1962 wurde die erste kleine Radatz-Fleischerei in der Karolinengasse im vierten Wiener Gemeindebezirk eröffnet. Die Selchkammer war direkt im Haus und Tag und Nacht in Betrieb. Das Sortiment war überschaubar, das Geschäft winzig. Die kleine Familie wohnte in einer Gemeindewohnung in Atzgersdorf, Franz hat Tag und Nacht Würste gemacht, seine Frau Elisabeth die frische Ware verkauft. Irgendwann wurde der Kamin kaputt, das Selchen vom Gewerbeinspektor verboten –, dann konnte Franz nur noch heimlich in der Nacht selchen. „Wir  mussten beste Ware liefern”, erzählte Franz radatz später, „denn allein in Wien gab es damals 3.000 Fleischhauer. Wenn du nicht gut warst, warst du weg.“ Neben ihm war Josef Palfrader – „der Palf“ oder „Pepi“ genannt – von Beginn an bis zu seinem Tod 1999 eine wichtige Stütze. Seine Frau Christi, die Schwester von Elisabeth Radatz, die erste Verkäuferin.

Es gab aber immer wieder auch die wilderen Typen: den Poldi Hartl, den Nachtselcher, oder den Jean, der irgendwann ein Stück Bauchfleisch so zurechtschnitt, dass es in ein Pfandl und damit in einen Gasherd passte, oder den Sigi Lesiak, der übereinstimmend „der Ärgste“ war. Sie alle waren Stammgäste beim Benesch, dem benachbarten Gasthaus, das übrigens pleiteging, als bei Radatz im Betrieb strenges Alkoholverbot eingeführt wurde.

Doch der „normale“ Verkauf allein war der Familie Radatz zu wenig, daher wurden schließlich Verkaufsfahrten zu Greißlern gestartet. Sieht man sich die Bilder von einst an, dann kommt pure Nostalgie auf. Die grauen VW-Busse, die als erste Firmenautos durch Wien fuhren. „Für die Würste gab es im VW- Bus keine Kühlung, in der Früh um fünf habe ich die Ware eingewogen und zu Mittag war sie ausverkauft“, erinnert sich Helmut Brandl, Radatz’ erster Verkaufsleiter. Eine weitere gute Idee, die zum Verkaufshit wurde, kam von Onkel Hans: Die mageren Teile des Bauchfleischs wurden in Stücke geschnitten, gebraten und als Kümmelbraten den Greißlern verkauft.

Franz Radatz 1987 in der damals hochmodernen Produktionshalle.
© Beigestellt

 

Großer Betrieb in Erlaa

1966, also bereits vier Jahre später, hat Franz Radatz einen alten Betrieb mit 900 Quadratmetern in der Erlaaer Straße 187 angekauft . „Mein Vater dachte damals, dass dieser Platz für das ganze Leben mehr als ausreichend ist“, kann sich Dr. Franz Radatz heute erinnern und erzählt weiter: „Die alte Fleischhauerei Ott , in der alles begann, war ein Vierkanthof. Es gab einen Wurstraum, eine einzige Selchkammer, der Vorbesitzer hat hier noch geschlachtet. Wir hatten damals gerade sieben Mitarbeiter.“ Doch das Areal wurde dennoch immer wieder erweitert und erweitert … „Immer, wenn ein Nachbar hier in der Gegend zu kaufen war, habe ich mich bemüht, unser Areal dorthin zu erweitern. Alles, was wir verdient haben, ist sofort in Expansion geflossen!“, verriet Franz Radatz sen. einst in einem Interview. All diese Erweiterungen wurde übrigens mit einem betriebseigenen Handwerkerteam (von Maurer bis Schlosser) umgesetzt.

Franz Radatz sen. setzte immer schon auf Expansion.
© Lisi Specht

Eine Wiener Erfolgsgeschichte

Zug um Zug wurden auch neue Filialen gekauft, in der Quellenstraße etwa oder auch drei Geschäfte von Bertl Buschek. In den kommenden Jahren entwickelte sich Radatz zu einer fixen Größe in der österreichischen Einzelhandelslandschaft – insbesondere dank der engen Partnerschaft mit der aufstrebenden BML-Gruppe, d.h. Billa, Merkur und damals Mondo. In diese Zeit fällt auch der rasante Aufstieg der Feinkost-Theken bei Merkur und Billa – natürlich mit bester Ware aus Erlaa. 1998 hat Radatz schließlich den Salami-Meister Stastnik übernommen und damit kamen auch Rohwürste und Putenprodukte ins Sortiment. Heute ist Radatz ein hochtechnisiertes Unternehmen mit fast 900 Mitarbeitern, das Betriebsgelände ist 20.000 Quadratmeter groß, und es werden 6,5 Millionen Würste in der Woche produziert, die in den 23 Radatz Fleischereien und 13 Wurstgroßmärkten sowie in Supermärkten in ganz Österreich verkauft werden. „Es gab in 60 Jahren keinen einzigen Tag, an dem wir nicht liefern konnten“, ist Franz Radatz stolz auf das erfolgreiche Familienunternehmen.

Wer heute in die Hallen will, muss Netzhaube, Mantel und Überschuhe tragen. In einer Halle wird Fleisch noch mit der Hand zerlegt, in Edelstahlwägelchen geladen, mit Gewürzen vermengt und in riesigen Kuttern zu Wurstbrät zerkleinert. Die Masse wird dann in Därme abgefüllt, die Wurst – je nach Rezept – gebrüht, geselcht, gekühlt, verpackt und ausgeliefert. Koordiniert wird das alles vom „Oval Office“, der Steuerungszentrale des Unternehmens. Hier laufen alle Fäden zusammen, und morgens um 7 Uhr treffen sich dort alle Abteilungsleiter des Unternehmens zur Tagesbesprechung. „Unsere Produkte sind allesamt hochsensibel und deshalb arbeiten wir seit Jahren mit Qualitätsmanagment-Beratern und der Lebensmittelbehörde zusammen. Alles ist nach ISO- und IFS-zertifizierten Hygienerichtlinien aufgebaut. Für den Hochrisikobereich der Slicerei, wo die Aufschnitte produziert werden, beschäftigten wir eine Mikrobiologin im Unternehmen. Anders wäre ein Unternehmen in dieser Größe heute auch gar nicht mehr möglich“, sagt Dr. Franz Radatz.

1988 übernimmt der ebenfalls gelernte Fleischermeister Dr. Franz Radatz
die Firma.© Harald Eisenberger

Die Knacker und ihre Kollegen

Auch wenn die Produkte allesamt magerer geworden sind, die Geschmacksvorlieben der Kundschaft haben sich im Laufe der Zeit kaum verändert. Die Knacker und die Extrawurst, der Kümmelbraten und natürlich die Frankfurter sind nach wie vor der Hit bei den Kunden. Dass sich die gesamte Branche und infolgedessen Radatz dennoch wandeln musste, davon kann das Familienunternehmen ein Lied singen. „Früher benötigte Wurst keine Kühlung. Sie wurde in der Nacht gemacht, in der Früh ausgeliefert. Durch den Vertrieb über den Supermarkt muss die Ware länger haltbar und natürlich auch verpackt sein. Darauf mussten wir uns einstellen“, weiß Franz Radatz. Dazu kommt die massive Digitalisierung der Branche, die in den letzten Jahrzehnten für einige Herausforderungen sorgte. Radatz: „Heute wird jede Abteilung, eigentlich jede einzelne Maschine im Betrieb über ein vernetztes System abgerechnet. Es geht zum einen um die Rückverfolgbarkeit der Zutaten – wir können heute auf Knopfdruck alles, aber wirklich alles über ein Produkt aus unserem Betrieb dokumentieren –, aber auch um Kostenkontrolle und Einhaltung der Rezepturen.“

Hier ist der Fleischer auch Gastronom: Radatz-Filale in 1130 Wien. © Beigestellt

Fleischer als Gastronomen

Mittlerweile haben sich auch die Verkaufsgeschäfte verändert. So sind nicht nur etliche Großmärkte hinzugekommen, sondern es hat sich auch das Angebot gewandelt. Längst gibt es nicht mehr nur Wurst- und Fleischwaren, sondern auch viele regionale Spezialitäten, die es in den Supermärkten eben nicht zu kaufen gibt. „Wenn die Leute abends aus dem Büro kommen und noch schnell fürs Abendessen einkaufen wollen, gibt es bei uns alles, was das Herz begehrt“, mit diesem Konzept führt heute Thomas Zedrosser die Geschäfte. „Im alten herkömmlichen Sinn sind wir heute keine Fleischhauer mehr, sondern gehören mehr und mehr zur Gastronomie“, erzählt Franz Radatz, „wir verkaufen täglich an die 3.000 Mittagessen. Früher gab es bei den Fleischhauern immer das Mittagsloch, meine Mutter kam Ende der 80er-Jahre auf die Idee, Mittagessen zum Mitnehmen zu machen. Über die Jahre haben wir uns darauf eingestellt. Wir bieten Speisen zum Mitnehmen, die man nur noch heißmachen muss.“

Die Zukunft des Familienbetriebs

Nach 60 erfolgreichen Jahren hat sich das Unternehmen Radatz zu einem österreichischen Vorzeigebetrieb entwickelt, der auf festen Beinen steht. Und so sind auch die Pläne für die nächsten Jahre. Radatz gibt sich gewohnt um- und vorsichtig: „Meine Strategie ist, das Unternehmen gut aufzustellen, gewappnet zu sein für Veränderungen und die Möglichkeit zu haben, zu reagieren, wenn sich eine Gelegenheit ergibt. Konkreter geht es nicht.“ Dabei spielt die Qualitätssicherung der Produkte eine zentrale Rolle (Radatz: „Hier optimieren wir fast täglich!“) und wie auch die letzten 60 Jahre, die Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen. „Für meinen Vater und mich waren zufriedene Mitarbeiter immer schon ein großes Anliegen. Wir bieten heute eine ganze Reihe von Weiterbildungsprogrammen an. Jeder kann sich entwickeln, hier versuchen wir, jeden zu unterstützen.“

Aber natürlich machen die derzeitigen Entwicklungen den Unternehmer Radatz auch nicht froh, dennoch gibt er uns zum Abschluss wieder eine Portion „Radatzsche Zuversicht auf den Weg: „Wir sehen uns als große Familie. Und eine gute Familie übersteht alle Krisen –, auch wenn die momentane Phase mit explodierenden Energiekosten einen immensen Brocken zu stemmen bedeutet, trotzdem in den vergangenen Jahren hohe Summen in Energieffizienz (Wärmerückgewinnung, Solarenergie, Planungsoptimierung, …) investiert wurden. Zuversichtlich macht der Blick auf das Team aus jungen Nachwuchsführungskraften, deren Fokus nur der Zukunft gilt.“ Wir wünschen der großen Radatz-Familie Happy Birthday – auf weitere 60 erfolgreiche Jahre, mindestens!

Autorin: Tanja Braune

 

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