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Wievele Würstchen brauchen wir fürs Wochenende?

Entwickler-Know-how, das Branchenwissen der Kunden und die Sicht der Forschenden kommen bei dem neuesten Projekt des Softwarehauses Winweb zusammen: Gemeinsam wurde eine Methodik auf Grundlage Künstlicher Intelligenz (KI) erarbeitet, die die Ursachen für bestimmte Verkaufszahlen versteht und für zukünftige Vorhersagen nutzt.

Wie viele Würstchen brauchen wir fürs Wochenende?“ – Diese Frage stellt sich sicher jedes Unternehmen in der Fleischwirtschaft. Wird zu viel produziert, muss ein Teil entsorgt werden, wird zu wenig hergestellt, entgehen dem Betrieb die Gewinne. Derzeit verlassen sich viele Firmen bei der Produktionsplanung auf das Fachwissen und das Bauchgefühl erfahrener Mitarbeiter. „Doch diese Abhängigkeit birgt erhebliche Risiken“, sagt Jan Schummers, Senior Software Engineer bei Winweb: „Der Verlust eines erfahrenen Produktionsleiters kann die finanzielle Stabilität des gesamten Unternehmens gefährden.“ Aus diesem Grund werden Vorhersagesysteme in der Branche immer wichtiger, und es wächst der Bedarf an automatisierten und präzisen Prognosemethoden.

Metzgerei Kleiber in Schwaben

Das betont auch Andreas Mayer, der bei der Michael Kleiber GmbH, einer Metzgerei in Schwaben mit eigenen Filialen, die IT verantwortet: „Es gibt vielfältige Einflussfaktoren auf die Absatzmengen.“ Dazu gehören etwa saisonale Schwankungen – Wiener Würstchen etwa sind im Winter gefragter als in den Sommermonaten. Auch aktuelle Angebote wirken sich auf den Absatz aus: Werden Würstchen beworben, wird mehr verkauft und es muss vorab mehr produziert werden. Natürlich bestimmen auch das Wetter sowie Wochenoder Feiertage den Absatz. „Dabei ist es für uns aus heutiger Sicht nicht möglich, die Abhängigkeiten zwischen ähnlichen Produkten, die entweder positiv oder negativ miteinander korrelieren, das Konsumverhalten der Kunden und viele weitere Einflussfaktoren für eine Absatzprognose heranzuziehen“, so Mayer. Außerdem könne man manuell nur kleinere Datenmengen analysieren.

Wöchentliche Saisonalität des Produkts Wiener Würstchen: Die Verkäufe steigen die ganze Woche über an, erreichen am Freitag ihren Höhepunkt und fallen dann am Samstag leicht ab.

Präzise Kalkulation

Ein ERP-System, das Verkaufs- und Betriebsdaten verarbeitet und mit Winweb-food auch bei Kleiber zum Einsatz kommt, ist als Grundlage für Vorhersagen schon sehr wichtig. Es ermöglicht präzise Preiskalkulationen, strategische Verkaufs- und Betriebsplanungen und bietet spezielle Analysen für Kunden, um den Absatz in ihren Filialen zu steuern. Doch konventionelle Zeitreihenanalysen für die Absatzprognose zeigen Schwächen bei der Vorhersage. Sie sind zwar für die Planung nützlich, reichen aber nicht aus, um die zugrunde liegenden Ursachen für Verkaufsspitzen oder -einbrüche und saisonale Trends zu erklären. Besonders relevante Absatztage für Produktionsplanung und Filialen lassen sich damit nur
unzureichend prognostizieren.

Jan Schummers,
Senior Software Engineer bei Winweb. © Beigestellt

Sonnenbrand und Grillfleisch

Auch moderne Machine-Learning-Ansätze liefern noch keine zufriedenstellenden Ergebnisse. „Dies liegt nicht an der Datenqualität oder an fehlenden historischen Daten“, sagt Schummers. „Machine-Learning unterscheidet einfach nicht zwischen Korrelation und Kausalität.“ So stehen beispielsweise der Verkauf von Grillfleisch mit der Häufung von Sonnenbrand miteinander in Beziehung. „Dies liegt jedoch nur an der gemeinsamen Einflussgröße – der Sonne – und hat keinen anderen Zusammenhang.“ Mögliche Verbindungen zu verstehen und richtig zu modellieren ist jedoch essenziell, um verlässliche Absatzprognosen für die Zukunft erstellen zu können.

Einflussfaktoren identifizieren

Daher hat Schummers gemeinsam mit der Universität Maastricht und der Michael Kleiber GmbH ein neues Verfahren untersucht. Es soll Verkaufszahlen erklären und damit die Vorhersagen besser machen. In einer Studie hat der Softwareingenieur dafür kausale Künstliche Intelligenz, kurz Causal AI, zusammen mit Large Language Models (LLMs) genutzt, um Einflussfaktoren auf den Absatz zu identifizieren und dann das KI-Modell darauf zu trainieren. „Winweb verfügt als ERP-Anbieter für den gesamten Warenfluss über die entscheidenden Daten, die es uns ermöglichen, detaillierte Prognosen für einzelne Produkte zu erstellen und diese Vorhersagen mit realen Verkaufszahlen zu vergleichen“, erklärt Schummers. Bei Kleiber hat er sein neues Verfahren in einem realistischen Umfeld implementiert und getestet. Dabei ging es konkret um die Frage, ob Causal AI und LLMs in der Praxis effektiv eingesetzt werden können, um Entscheidungsprozesse zu unterstützen und zu verbessern. „Wir wollen die Lücke zwischen Theorie und praktischer Anwendung schließen und unseren Kunden datengestützte Entscheidungsfindungsmöglichkeiten an die Hand geben“, sagt Schummers. Als Basis wurden Baumdiagramme genutzt, die zusammen mit Kleiber entwickelt wurden und die kausalen Zusammenhänge der Einflussfaktoren für die KI darstellen. Ganz praktisch soll Causal AI die Filialen bei Kleiber in diesem Jahr beim Abschätzen der Verkaufsmengen unterstützen und die Faktoren vorab benennen, die auf den Absatz Einfluss nehmen.

Jährliche Saisonalität der Wiener Würstchen mit deutlichen Schwankungen: Verkaufshöhepunkt um den Jahreswechsel und Tiefpunkt im Hochsommer.

Vielversprechende Ergebnisse

Der praktische Einsatz der Causal AI zur Vorhersage von Lebensmittel-Absatzzahlen wurde bislang noch nicht getestet und sei in diesem Zusammenhang einzigartig, heißt es vonseiten der Universität. „Die ersten Ergebnisse sind sehr vielversprechend und übertreffen alle bisherigen Versuche zur Absatzprognose“, erklärt Schummers. Durch die Kombination von LLMs und Fachwissen können genauere und operationell relevante Prognosen erstellt werden. „Das hat den Weg für ein Regelwerk geebnet, das eine Blaupause für die Umsetzung von Prognosen bei unseren Kunden sein kann“, betont Schummers.

Autorin: Isabel Melahn

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