Ohne Schwein kein Schinken. Wie reagiert Österreichs größter Kochschinken-Produzent – 60 Sorten sind im Portfolio – auf neue Tierwohl-Vorstöße?
Das große Interview mit Rudolf Berger
Eigentümer Rudolf Berger sprach mit Roland Graf über sinnvollere Kontrollen und die im Lockdown gestiegene Lust des Konsumenten auf „Traditionelles“.
Fleisch & Co: Herr Magister Berger, das Parlament beabsichtigt im Gefolge des Tierschutzvolksbegehrens, Vollspaltenbuchten in der Schweinehaltung bei Neu- und Umbauten der Ställe zu verbieten. Was halten Sie als größter Schinken-Produzent davon?
Rudolf Berger: „Das kann nur sehr langfristig erfolgen, macht bei Neubauten aber sicher Sinn. Wichtig ist nur, dass die Bauern Gewissheit haben, dass sie auch wirtschaftlich weiterarbeiten können. Und das geht nur mit langfristiger Anpassung der Tierwohl-Standards. Das gilt auch z. B. für das Basislevel der AMA-Standards, da geht sicher noch mehr. Das Problem ist aber ein anderes.“
Fleisch & Co: Nämlich welches …?
Rudolf Berger: „Wir haben bereits vor Jahren begonnen, in der Begleitung durch ,Vier Pfoten‘ ein Projekt umzusetzen, wo deren ‚Silber-Standard‘, der im Wesentlichen ‚T W 100‘-Kriterien entspricht, verpflichtend ist. Mit den Kollegen von Hütthaler waren und sind wir da die Einzigen. Das nützt aber nicht viel, wenn es unseren Berger-Tierwohl-Standard gibt, den von Hütthaler und jeder Marktteilnehmer im Lebensmittelhandel setzt noch was Eigenes drauf. Für den Konsumenten muss das übersichtlicher werden!
Zudem darf man nicht vergessen, dass die Lebensmittel-Branche und speziell Fleisch auch sehr stark Export-orientierte Gewerbe sind. Da ist dann auch zu beachten, was macht zum Beispiel Deutschland. Und sind unsere Tierwohl-Standards kompatibel?“
Fleisch & Co: Sie selbst haben im Vorjahr viel Kritik einstecken müssen, nachdem es bei einem Lieferbetrieb zu untragbaren Zuständen auf Vollspalten-Böden kam.
Rudolf Berger: „Da muss ich ein wenig ausholen, denn angefangen haben die Überlegungen zu dem Programm ,Regional-Optimal‘ bei uns vor zehn Jahren. Das kam eigentlich aus der Entwicklungszusammenarbeit. Weil wir überzeugt sind, dass das Getreide armer Länder nicht bei uns verfüttert werden sollte. Erst später kam da auch der Aspekt Klimaschutz stärker durch. Heute wird mit regionalem Futter, das gentechnikfrei ist, gefüttert. Das muss nicht Soja sein, wichtig ist, dass es möglichst aus der Region stammt.
Der Klimaschutz-Aspekt hat zum Start des Programmes kaum jemanden interessiert, heute können wir das mit CO -Einsparungen genau darlegen – und planen aktuell auch eine Studie zu den Effekten. Damit man auch sieht, wie gut das viel gescholtene Schwein gefüttert wird. Das alles aber hat nichts mit der Haltung der Tiere zu tun. Das haben wir selbst vielleicht in der Kommunikation nicht immer klar differenziert: Die Fütterung ist regional, die Haltung aber konventionell. Und ja, da gibt es bei Betrieben auch Vollspaltenböden.“
Fleisch & Co: Die eigentliche Schwierigkeit lässt sich in einer Frage zusammenfassen: Wie können Sie als Verarbeiter sicherstellen, dass es bei Ihren Mastbetrieben keine „schwarzen Schafe“ gibt?
Rudolf Berger: „Schwierig. Zunächst muss ich mich wie jeder Kaufmann auf Treu und Glauben verlassen können, dass das Erzählte stimmt. Das bedeutet aber auch, ich muss vorab schauen, welches Kontrollsystem stellt welche Zertifikate aus. Aus unserer eigenen Erfahrung müssen wir feststellen, dass die Frequenz der gegenwärtigen gesetzlichen Kontrollen nicht immer gepasst hat. In der Regel haben wird im Jahr bei einem Mastbetrieb drei Durchläufe von Schweinen. Wenn einmal alle zwei Jahre kontrolliert wird, sehen sie nie alle Tiere. Das kann der penibelste Kontrollor der Welt sein, der alles genau festhält, aber wenn erst zwei Jahre später geschaut wird, ob alle Beanstandungen behoben wurden …
Dazu kommt auch ein faktisches Problem, von dem mir Landwirte immer erzählen. Der Bauer geht wie jeden Abend in den Stall und alles ist picobello. In der Nacht verstirbt ein Tier. Wenn genau dann ein Foto erscheint, heißt es sofort, der Betrieb war nachlässig.
Was wir unseren Wirtschaftspartnern anbieten, ist der Besuch eines Musterbetriebs, bei dem alle Parameter ,grün‘ sind. Das Voneinander-Lernen ist ein ganz wichtiger Aspekt beim Tierwohl. Dazu kommt die Beratung der Landwirte, die wir teilweise finanzieren. Auch ich persönlich mache Besuche bei Landwirten, um mich mit ihnen auszutauschen. Unsere Fachkollegen geben praktische Tipps, messen aber beispielsweise auch den Ammoniakgehalt. Wir müssen am Ende für die Lieferbetriebe einstehen und da ist es essenziell, guten Gewissens zu sagen: Wir haben uns nach Möglichkeit bemüht.
Aber wenn Sie wissen wollen, ob wieder irgendwo ein Foto geschossen werden kann, dann muss man sagen: Ja. Umgekehrt haben wir auch bereits ein, zwei Mäster ausgeschlossen, die nicht zu unseren Werten gepasst haben. Auch das ist schon vorgekommen.“
Fleisch & Co: Das lässt sich als Plädoyer für strengere und nachvollziehbare Tierwohl- Standards und ihre Kontrolle interpretieren.
Rudolf Berger: „Auf alle Fälle. Es hat sich im Vergleich zu früher viel von der Kontrolle aufseiten des Verarbeiters verändert. Früher lag viel beim Tierarzt und der Lebensmittelkontrolle, heute erfolgt auch vieles in Eigenkontrolle. Aber alle Aspekte und Kontrollorgane gehören vernetzt. Der Konsument hat – auch durch unrealistische Werbungen – das Bild einer heilen Welt bei der Tierhaltung. Die können wir ihm nicht geben. Aber die bestmögliche Kontrolle dessen, was wir ihm versprechen.“
Fleisch & Co: Apropos: Wie groß ist in Ihrem Unternehmen aktuell der Österreich-Anteil beim verarbeiteten Fleisch – wir reden ja von 25.500 Tonnen jährlich?
Rudolf Berger: „Insgesamt werden das 97 % sein, wobei es in manchen Monaten auch nahezu 100 % waren. Mit ,Autarkie‘ machen wir da vielleicht ein zu großes Fass auf, aber was mir sehr wichtig ist: Die Wertschöpfung sollte möglichst im Lande bleiben, denn hier werden ja auch Leistungen bis zu den Spitälern finanziert. Das sieht man jetzt deutlich, wie wichtig das ist. Daher muss Wertschöpfung in der Region bleiben. Was aber nicht heißt, dass es nicht vielleicht bei uns auch einmal einen Schinken aus deutschem Schweinefleisch geben kann. Der ist dann aber klar deklariert als solcher!
Ärgerlich werden wir nur, wenn Marktbegleiter beim Austro-Fleisch einen Anteil von nur 50 bis 60 % haben, es in der Auslobung der Ware aber aussieht, als wäre alles aus Österreich. Um ein fiktives Beispiel zu nehmen: Wenn der Kunde den Großglockner auf der Packung sieht, denkt er automatisch an inländische Herkunft. Sie ist bei diesem Symbol aber nur zu deklarieren – und dann steht auf der Rückseite ‚Rohstoff aus der EU‘. So weit kommt der Konsument aber nicht, für ihn ist die Hochalpenstraße gleichbedeutend mit heimischer Ware. Und das ist – auch bei den momentanen Preisunterschieden – eine Benachteiligung der Mitbewerber.“
Fleisch & Co: Ich nehme an, Sie sind ein Befürworter der Herkunftskennzeichnung für die gesamte Verarbeitung, nicht nur dem Frischfleisch – auch in der Gastro?
Rudolf Berger: „Definitiv! Wir wünschen uns in der gesamten Gastronomie, der traditionellen Wirtshausküche, aber auch der Systemgastronomie eine Auszeichnung. Auch wenn es aktuell sicher andere und berechtigte Sorgen bei unseren Partnern in der Gastronomie gibt, glaube ich, dass das technisch zu lösen sein muss. Aus meiner Sicht fürchtet man sich in dieser Frage zu sehr. Das Thema ist bekannt und sollte daher auch relativ ein- fach bei den Fleischanbietern zu lösen sein.“
Fleisch & Co: Reden wir über die Produkte: Die 60 Varianten Schinken – von Preiselbeere über Bärlauch bis Trüffel – sind Bergers bekannteste Range. Gibt es für Berger Grenzen bei der Kreativität mit Fleisch?
Rudolf Berger: „Naja, einen Kokos- oder Schoko-Schinken werden Sie bei uns nie finden. Was wir momentan sehen, ist ein Trend, den man als ,Essen mit Tradition‘ bezeichnen könnte. Der Konsument mag wieder gerne die vertrauten Standard-Produkte. Da waren die Österreicher schon einmal experimentierfreudiger.“
Fleisch & Co: Die Lockdowns haben das Einkaufsverhalten verändert. Wie sieht das beim Schinken aus, etwa im Verhältnis verpackter Ware zur Fleischtheke?
Rudolf Berger: „Man kann die beiden Varianten nicht als kommunizierende Gefäße sehen, also, dass der Selbstbedienungsverkauf rauf- und die Frischware runtergeht. Generell aber geht die Entwicklung sehr in Richtung Selbstbedienung. Das sehen wir bei unseren klassischen 100-Gramm-Schinken-Packungen. Die wir übrigens auch erneuert haben – dank der neuen Monofolie sind sie komplett recyclebar, wenn sie ordnungsgemäß beim Kunststoff entsorgt werden. Wir ersetzen damit die bisher verwendeten Verbundfolien für unsere SB-Schinken-Palette.“
Fleisch & Co: Wie sieht es bei Fleisch-Ersatz und den Hybrid-Produkten aus?
Rudolf Berger: „In diesem Bereich muss man sagen, ist der Konsument gar nicht so konservativ wie zuerst erwähnt: Vegane und fleischreduzierte Produkte sind gefragt. Generell sind im weitesten Sinne gesundheitsrelevante Angaben gefragt. Wir sehen das bei den glutenfreien und Salz-reduzierten Schinken. Auch die Zucker-Reduzierung in der Fleischverarbeitung wird ein Thema. Von uns werden 2022 jedenfalls einige neue hybride Wurstprodukte und auch Faschiertes kommen. Definitiv mehr gekauft wurden während der Pandemie Bioprodukte. Ganz nach dem Motto: Weniger, aber hochwertiger.“
Autor: Roland Graf