In den letzten Jahren hat es in der Fleischbranche einen Wandel gegeben. Gegner des Fleischkonsums fanden in diesen Veränderungen neue Argumente für ihre Position. Lange haben sich die Befürworter des Fleischkonsums darauf verlassen, dass diese Entwicklungen nur temporär sind und es sich deshalb meist nicht lohnt, sich mit Kritik auseinanderzusetzen. Doch die Spezialisierung des Agrarsektors, die Entfremdung der Bevölkerung von Natur und Landwirtschaft sowie der immer deutlich werdender Klimawandel sind keine Trends, die kommen und gehen. Es sind Entwicklungen, die an den Grundfesten unserer Lebensweise rütteln – und Fragen aufwerfen: Wie können wir Fleisch künftig erfolgreich vermarkten? Wie halten wir es mit dem Tierwohl? Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf unser Leben, speziell auf die Fleischerzeugung in unseren Breitengraden? Fakt ist: Kaum ein Lebensmittel und dessen Produktion wird derzeit so intensiv diskutiert wie Fleisch. Beim AMA-Fleischforum in Perchtoldsdorf diskutierten 180 Gäste mit hochkarätigen Referenten über die Zukun der Fleischproduktion und Vermarktung.
Fleisch braucht digitales Update
Hendrik Haase, Publizist und Kommunikationsberater, eröffnete den Vortragsreigen. Der Berliner Food-Aktivist skizzierte das Fleischmarketing der Zukunft in einer klugen Nutzung analoger und digitaler Potenziale. Haase ist überzeugt, dass die Fleischwelt ein digitales Update braucht. Vor allem junge, urbane Käufer erwarten seiner Meinung nach, die Packung scannen zu können und direkte Infos zu Haltung, Rasse und Qualität zu erhalten. „Die Daten sind alle vorhanden, die Produzenten brauchen sie nur nutzen“, appelliert Haase. Transparenz würde helfen, die Glaubwürdigkeit dieses hochemotionalen Lebensmittels zu stärken.
In die Diskussion mit Kritikern gehen
Einen klaren Weg der Qualität geht auch Otto Gourmet, der erste Online-Shop für Fleisch in Deutschland. 2005 gegründet, bedient der Spezialvermarkter heute vier stationäre Geschäfte, 1.200 B2B-Kunden und mehr als hunderttausend Privatkunden. Geschäftsführer Stephan Otto möchte mittels Tastings, Partys oder mit Spitzenköchen als Testimonials Fleisch zum Erlebnis machen. Konsumenten, die vom Genussaspekt des Fleisches überzeugt sind, sind seiner erfahrung nach bereit, für gutes Fleisch entsprechend mehr zu zahlen. Otto plädiert auch dafür, mit kritischen Menschen mutig in offene Diskussion zu gehen.
Klimawandel und Landwirtschaft
Andreas Gobiet von der Uni Graz und Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, sprach über langfristige Wetter- und Klimadaten, die ein eindeutiges Indiz für die Erderwärmung seien. „Die Landwirtschaft ist von der Klimaänderung unmittelbar betroffen, beispielsweise durch zunehmende Extremwetterereignisse. Sie gehört nicht zu den größten Emittenten von Treibhausgasen, kann aber auch ihren Beitrag zur Reduktion leisten“, so der Wissenschaftler.
Horst Jauschnegg, Tierzuchtdirektor der Landwirtschaftskammer Steiermark, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Klimaveränderung und deren Auswirkungen vor allem auf die Tierhaltung. Jauschnegg unterstrich die Bedeutung des Grünlandes bei der Treibhausgasreduktion. „Österreich ist mit seinem hohen Grünlandanteil besonders klimaeffizient“, so der Experte. Jauschnegg veranschaulichte den Anteil landwirtschaftlicher Nutzfläche anhand eines Fußballfeldes: Nur die beiden Strafräume sind als Ackerland nutzbar, der Rest der Fläche ist weltweit gesehen Grünland. Möglichkeiten der Verminderung von Emission sieht Jauschnegg in der Wahl effizienter Rinderrassen, der Erhöhung der Grundfutterqualtiät und Reduktion von importierten Futtermitteln. Weiden und Wirtschaftsdünger zu nutzen, könne ebenfalls zur klimafitten Tierhaltung beitragen.
Tierwohl und Preis sind wichtig
Im Aftrag der AMA befragte das Marktforschungsinstitut Marketagent Konsumenten über ihre Einstellungen zu Tierwohl. Meinungsforscherin Judith Traxler präsentierte die brandaktuellen Zahlen. Grundsätzlich hätten die Konsumenten hohes Interesse an Tierwohl und wünschen sich Information, es ist aber nicht für alle leistbar. 22 % der Befragten gaben an, sich Lebensmittel aus besonderen Haltungsbedingungen derzeit nicht leisten zu können. Ein Drittel der Studienteilnehmer wären bereit, mehr für das Tierwohl zu zahlen. Für jeden Zweiten davon ist ein Preispremium von 25% vorstellbar.
ITW-Kennzeichnung in Deutschland
Fleischermeister Rüdiger Heppelmann, zuständig für den Vertrieb beim Lebensmittelhändler EDEKA Südwest, stellte das deut- sche System der Initiative Tierwohl vor. Sie wurde 2005 als Initiative zur Förderung der Landwirtscha bei Stallumbauten gegründet. Seit vorigem Jahr gibt es eine einheitliche Kennzeichnung der Tierhaltung auf den Pro- dukten mit vier Stufen. EDEKA Südwest zeichnet die Tierhaltung nicht nur auf verpackten Lebensmitteln im Selbstbedienungsregal, sondern auch in der Frischfleischtheke aus. Die ersten Erfahrungen stimmen positiv: Laut einer Umfrage im Dezember 2021 ist das vierstufige System für neun von zehn Befragten gut und verständlich. 78 % sind überzeugt, dass die Kennzeichnung langfristig zum bewussteren Einkauf und zur stärkeren Berücksichtigung des Tierwohls führen wird. Das ist ganz im Sinne des strategischen Zieles von Heppelmann. Auch er ist überzeugt, dass Transparenz und Kontrolle entlang der gesamten Produktionske e zu mehr Vertrauen bei den Konsumenten führt.
Haltungskennzeichnung
Die AMA arbeitet seit einigen Monaten an einer Tierhaltungskennzeichnung für den österreichischen Markt. AMA-Qualitätsmanager Martin Hubmann stellte die Überlegungen hinter dieser produktübergreifenden Branchenlösung vor. Statt vier sind fünf Stufen geplant, um die verschiedenen Ausprägungen der Tierwohl-Produktion gezielter abbilden zu können. Die freiwillige Kennzeichnung soll sowohl mit als auch ohne AMA-Gütesiegel-Teilnahme möglich sein und alle Formen der Tierhaltung – vom gesetzlichen Standard bis Bio – umfassen. Wichtig bei der Erarbeitung der Einstufungsmatrix ist die Gleichwertigkeit für alle Tierarten, soll die Kennzeichnung doch Fleisch, Fleischwaren, Milch und Milchprodukte umfassen. Neben der Auslobung auf den Produkten sollen weiterführende Platformen – via Website oder QR-Code – Informationen für besonders interessierte Konsumenten bieten.