Eine gesunde und nachhaltige Ernährung spielt eine wichtige Rolle für die Entwicklung und die Leistungsfähigkeit im Kindesalter. Trotzdem weisen österreichische Kinder und Jugendliche in Sachen Ernährung und Lebensmittelwissen große Bildungslücken auf. Um den Bezug zu unserer Nahrung nicht zu verlieren, braucht es deshalb zusätzlich zur schulischen Ausbildung eine Verbindung zur Lebensmittelherkunft und Lebensmittelqualität. Zahlreiche Initiativen bemühen sich bereits um eine bessere Ernährungsausbildung in den Schulen.
Direkt aus der Landwirtschaft
In Lehrplänen festverankerte Bildungsangebote gibt es wenige, das Engagement kommt meist von privater Seite – oder direkt aus der Landwirtschaft: „Schule am Bauernhof“ ist ein Projekt des Ländlichen Fortbildungsinstitutes (LFI) und der Landwirtschaftskammer und wird in ganz Österreich erfolgreich umgesetzt. Qualifizierte Bäuerinnen und Bauern vermitteln jungen Konsument:innen ein realistisches Bild vom Leben und Arbeiten auf dem Bauernhof aus erster Hand und sorgen für einen bewussteren Umgang mit bäuerlichen Produkten. Beteiligt sind Landwirt:innen aus allen Sparten, von der Fleisch- bis hin zu Milchproduktion und aus dem Agrarbetrieb. Besonders interessant: Das Projekt leistet nicht nur wichtige Auf klärungsarbeit, sondern stellt sogar eine zusätzliche Einnahmequelle für Bäuerinnen und Bauern dar.
Kinder haben den Bezug zur Landwirtschaft verloren
Früher befanden sich zahlreiche bäuerliche Betriebe direkt ums Eck, mittlerweile sind sie größtenteils aus der Nachbarschaft verschwunden: Seit Jahrzehnten schrumpft die Anzahl der österreichischen Betriebe rapide. So verfügen Konsument:innen über immer weniger Bezugspunkte zur Landwirtschaft . Das macht sich vor allem im Einkaufsverhalten und im Verständnis für Natur, Tierschutz und die Qualität von regionalen Lebensmitteln bemerkbar. Waltraud Ungersböck führt einen Milcherzeugungsbetrieb in Scheiblingkirchen-Thernberg mit Kälber- und Kalbinnenaufzucht, Acker- und Grünlandbewirtschaftung und eigener Forstwirtschaft. Im Jahr 2017 erweiterte Waltraud mit dem Programm „Schule am Bauernhof“ ihren Betrieb um ein soziales und wirtschaftliches Standbein und konstatiert: „Es wäre ein riesiger Schritt für die Wertschätzung der landwirtscha lichen Arbeit, wenn jedes Kind zumindest einmal in seiner Schulzeit einen Bauernhof besuchen würde. Niemand anderer hat diese Aufgabe so gut in der Hand wie die österreichischen Bäuerinnen und Bauern selbst.“ Waltraud sieht eine Chance zur Imageaufwertung der Landwirtschaft : „Gewährt man einen Einblick in seinen Alltag, bleibt weniger Spielraum für Spekulationen und unrealistische Vorstellungen.“
Was ändert sich, wenn jedes Kind einen Tag am Bauernhof verbringt?
Geht man davon aus, dass jedes Kind die Abläufe auf einem Bauernhof kennt, kann man noch einen Schritt weiterdenken und sich folgende Frage stellen: Was würde sich im Erwachsenenalter am Konsumverhalten ändern? „Das Bild der Bäuerinnen und Bauern bei der Arbeit wäre nachhaltig im Kopf verankert, was obendrein zu einem positiven Imagewandel der Landwirtschaft führen könnte. Der Umgang mit Lebensmitteln würde wahrscheinlich bewusster erfolgen, da sie selbst erleben, wie viel Aufwand und Verantwortung in der Produktion stecken“, so Waltraud. Der Anreiz für einen regionalen Einkauf wäre größer, weil aufgezeigt wird, wie gut die Qualität der Lebensmittel ist und weil die Bäuerinnen und Bauern hinter den Produkten gekannt und gesehen werden. „Schule am Bauernhof“ lehrt mit sinnlichen Erfahrungen und nachhaltigen Impulsen den Wert von bäuerlichen Produkten: Mit einer Sensibilisierung des Leitsatzes „Ansehen, riechen und kosten“ bei Produkten mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum kann somit sogar der Lebensmittelverschwendung entgegengewirkt werden.“
Einblick in den Alltag einer Bäuerin
Die Kinder werden bei ihrem Besuch mit allen Sinnen an die Landwirtschaft herangeführt: „Alles, was man einmal gesehen und gespürt hat, merkt man sich leichter“, erklärt Waltraud. Auf dem Hof der Seminarbäuerin wird den Kindern unter dem Motto „aus Gras wird Milch“ altersgerecht erklärt, wo bäuerliche Produkte herkommen. Besonders großen Wert wird dabei auf Ehrlichkeit und Transparenz gelegt. Bereits die Kleinsten sollen ein Verständnis dafür entwickeln, wie viel Arbeit hinter einem landwirtschaftlichen Betrieb steckt. Wer Kinder, Jugendliche und Pädagog:innen zu sich auf den Hof einlädt, wird auf unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen, wie die Landwirtschaft funktioniert, treffen. Waltraud hat es sich zum Ziel gemacht, idyllischen Werbegeschichten entgegenzuwirken und offen zu zeigen, wie der Alltag in der österreichischen Landwirtschaft abläuft .
Ein Tag am Bauernhof von Waltraud
Das Programm streckt sich über einen Vormittag. Maximal zwei Schulklassen können an einem Tag teilnehmen. Waltraud zeigt den Kindern ihren Stall und erklärt, dass auch die Kuh in einem Haus wohnt. Die Kinder lernen das Stroh als Einstreu kennen und können das Verhalten der Tiere beobachten. Bevor die Tiere gefüttert werden, wird das Futter gemeinsam vom Feld geholt. Dabei merken die Kinder schnell, wie anstrengend das ist und warum Waltraud dafür Maschinen benötigt. An dieser Stelle erklärt sie den Kindern, welche Maschinen Bäuerinnen und Bauern neben Traktoren brauchen. Einer der wichtigsten Grundsteine im Konzept von „Schule am Bauernhof“ ist das selbstständige Tun und direkte Erleben am Hof. Deshalb dürfen die Kinder bei ihrem Besuch bei Waltraud auch am Gummieuter melken. In einem Wettbewerb wird ermittelt, wer die größte Menge in einer Minute ermelken kann. Die „Melkprofis“ bekommen danach eine Urkunde.
Gemeinsame Verkostung
Um einen Bezug zum Lebensmittel herzustellen, wird aufgezeigt, welche Produkte aus der gewonnen Milch gemacht werden. Die Kinder machen gemeinsam Butter und bei einer Jause wird mit frischem Bauernbrot alles verkostet. Auf dem Hof von Waltraud Ungersböck finden sich neben den Rindern auch Mutterschafe mit Lämmern und Katzen. Das Streicheln der Tiere stellt für die Kinder ein besonderes Highlight dar, da meist einige von ihnen noch keinen direkten Kontakt zu Tieren, insbesondere zu Bauernhoftieren, hatten.
Neue Einkommensmöglichkeit
Das Programm „Schule am Bauernhof“ ermöglicht vor allem in der klein- und mit- telbetrieblich strukturierten Landwirtschaft eine zusätzliche Einkommensmöglichkeit. Jeder Betrieb ist individuell aufgebaut und kann in der Gestaltung seines Programmes kreativ werden. So kann Kindern und Jugendlichen ein Bild von der breit gefächerten österreichischen Landwirtschaft vermittelt werden. Außerdem kann aufgezeigt werden, welche volle Bandbreite an eigens produzierten Lebensmitteln Österreich zu bieten hat. Für teilnehmende Bäuerinnen und Bauern gibt es außerdem ein Feedback: Die „Schule am Bauernhof“-Programme werden beurteilt und evaluiert. Alle „Schule am Bauernhof“- Betriebe findet man unter www.schuleambauernhof.at.
Autorin: Katharina Bauer