
Ein Wettbewerb ist auch eine Bühne für das Handwerk. Wenn sich im September wieder Fleischer und Fleischerinnen aus dem In- und Ausland beim Internationalen Fachwettbewerb für Fleisch- und Wurstwaren (IFFW) in Klagenfurt messen, geht es um mehr als Medaillen. Um vieles mehr! Es geht um Sichtbarkeit für ein traditionsreiches Handwerk, das Tag für Tag Qualität produziert – oft unter schwierigen Bedingungen. Einer, der diesen Wettbewerb seit Jahrzehnten mit Fachwissen und Begeisterung begleitet, ist KommR. Wolfgang Seidl. Der mehrfach ausgezeichnete Fleischermeister aus dem niederösterreichischen Neunkirchen hat seinen Familienbetrieb mit Weitblick und Innovationsgeist zu einem Vorzeigebetrieb gemacht – und engagiert sich heute unermüdlich für die Anliegen der Branche.
Im Interview spricht Seidl über die Bedeutung des IFFW, den Wert regionaler Produkte, die Initiative „Fleisch-Könner“ – und über politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die kleinen Betrieben zunehmend das Leben erschweren. Seine zentrale Botschaft: „Wir brauchen Mut, Zusammenhalt – und endlich eine ehrliche Diskussion über die Realität des Handwerks.”
Fleisch & Co: Warum sollte man am IFFW teilnehmen?
Wolfgang Seidl: Eine Teilnahme am Internationalen Fachwettbewerb ist für jeden Betrieb spannend, der sich weiterentwickeln möchte und wissen will: Wo stehe ich mit der Qualität meiner Produkte? Der IFFW bietet eine fundierte Standortbestimmung. Man kann sowohl einzelne Exponate als auch ganze Serien einreichen. Üblich sind Serien mit je zwölf Produkten – das ist quasi Standard. Es geht aber nicht darum, wie viel man einreicht – wichtig ist, überhaupt mitzumachen. Gerade für kleinere Betriebe empfehle ich: Nehmt das Produkt, das ihr am häufigsten herstellt und das in eurer Region besonders gut ankommt. Damit seid ihr am authentischsten unterwegs. 25. Internationaler Fachwettbewerb für Fleisch- und Wurstwaren
Fleisch & Co: Der Wettbewerb wird zum 25. Mal ausgetragen. Auf welche Neuerungen dürfen wir gespannt sein?
Wolfgang Seidl: Neu ist, dass wir den Wettbewerb nun um spezielle Serien erweitert haben: Es gibt eine Wild-Serie, eine Bio-Serie und eine regionale Serie. Bei der Bio-Serie ist es wichtig, dass zu jedem Produkt eine entsprechende Bio-Zertifizierung oder zumindest die Betriebszertifizierung beigelegt wird.
Fleisch & Co: Wann ist ein Produkt für die regionale Serie regional?
Wolfgang Seidl: Das haben wir klar definiert. Ein Produkt ist nicht automatisch regional, nur weil man den Ortsnamen davorstellt – etwa eine Leberkäse-Standardrezeptur mit dem Namen „XY-Leberkäse“, das reicht nicht. Regional ist ein Produkt nur dann, wenn es entweder mit einer exklusiven Rezeptur hergestellt wird, nachweislich Rohstoffe aus der Region oder dem Bundesland verwendet oder eine geschützte Wortbildmarke hat, die auf die Herkunft hinweist. Es geht also wirklich um die Originalität und den Bezug zur Region. Und: Man sollte der Jury klar mitteilen, was das Besondere an dem Produkt ist – nur dann kann sie es richtig einordnen. Wir hatten letztes Jahr zum Beispiel einen Rauchbratenschinken, der historisch begründet war – das kam aber ohne Erklärung bei der Jury nicht wirklich rüber.
Fleisch & Co: Was sollten Betriebe beim Einsenden der Produkte beachten?
Wolfgang Seidl: Zwei Dinge sind ganz wichtig: Erstens, die Produkte dürfen keine Därme oder Verpackungen mit Firmenlogos enthalten – sonst müssen wir sie disqualifizieren. Das ist sehr schade, weil es dann oft großartige Produkte sind, die wir so nicht bewerten dürfen. Zweitens, es darf keine bereits angeschnittene Ware eingeschickt werden – auch die können wir nicht jurieren. Außerdem spielt die äußere Beschaffenheit eine Rolle – wie sauber das Produkt abgeclipst ist, wie es präsentiert wird. Das ist zwar nicht alles, was bewertet wird, aber eben auch ein Teil davon, ein Wettbewerb eben!
Fleisch & Co: Ist es sinnvoll, ein Produkt einzuschicken, das ich noch weiterentwickeln will?
Wolfgang Seidl: Es ist ja ein Wettbewerb, und klar, viele nehmen teil, um sich mit anderen zu messen. Aber gerade wenn jemand ein Produkt noch weiterentwickeln will, ist das eine kluge Entscheidung, dieses auch einzureichen. Denn durch die Teilnahme bekommt man eine objektive Rückmeldung von Profis – und das zu einem sehr fairen Preis. Die Beanstandungen werden ja genau textiert – und aus dieser Expertise kann man wirklich viel mitnehmen und gezielt an der Qualität weiterarbeiten. Hier können Sie direkt Ihre Produkte einreichen
Fleisch & Co: Sie sind heuer wieder Vorsitzender der Jury. Was genau bedeutet das, und welche Verantwortung tragen Sie?
Wolfgang Seidl: Das hat für mich große Bedeutung. Als Vorsitzender der Jury ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich alle Jurymitglieder auf die wesentlichen Bewertungskriterien verständigen. Es geht um eine unabhängige, faire Beurteilung der eingesandten Produkte – damit die Betriebe auch wirklich einen Nutzen daraus ziehen können. Das ist für mich oberste Priorität. Deshalb gibt es im Vorfeld auch Jurorenschulungen. – Als Juryvorsitzen- der trage ich eine hohe Verantwortung: Ich bin letztlich dafür zuständig, bei schwierigen Entscheidungen einzugreifen – also etwa ob ein Produkt Gold bekommt oder disqualifiziert wird. Natürlich wird alles gemeinsam diskutiert, aber in sensiblen Fällen bringe ich meine Expertise ein und treffe die finale Entscheidung – immer abgestimmt mit den Kolleginnen und Kollegen in der Jury.
Fleisch & Co: Wie setzt sich die Jury bei dem internationalen Fachwettbewerb zusammen?
Wolfgang Seidl: Die Jury besteht ausschließlich aus ehrenamtlichen Fachleuten aus der Branche – vor allem aus erfahrenen Fleischermeistern und -meisterinnen. Auch Fachberaterinnen und Fachberater sowie Vertreter von Gewürzfirmen sind dabei, also Menschen, die täglich mit Fleisch- und Wurstwaren arbeiten. Uns ist es wichtig, dass keine reinen Theoretiker dabei sind, sondern Praktiker mit echtem Bezug zum Produkt. Genau diese Nähe zur täglichen Arbeit bringt die notwendige Fachkompetenz in die Bewertung ein.
Fleisch & Co: Wie stellen Sie sicher, dass die Jury neutral urteilt und keine Hinweise auf die Herkunft der Produkte hat?
Wolfgang Seidl: Das ist bei uns seit vielen Jahren technisch abgesichert. Schon bei der Übernahme der Produkte wird jedes Exponat mit einem neutralen Code versehen – ganz ohne Hinweis auf den Betrieb. Dieser Code besteht nur aus Zahlen und Ziffern und wird auf das Produkt geklebt. Wir in der Jury sehen ausschließlich diesen Code auf unseren Tablets – keine Namen, keine Logos, keine Hinweise auf die Herkunft. Die Bewertung erfolgt dann über das EDV-System, das die Ergebnisse anonymisiert sammelt und erst später wieder zuordnet. Alles andere wäre Betrug, und das hat in unserem Wettbewerb keinen Platz.
Fleisch & Co: Was sollten Betriebe bei der Anmeldung besonders beachten – und gibt es Unterstützung bei offenen Fragen?
Wolfgang Seidl: Unbedingt die Unterlagen genau lesen – da steht alles drin, was wichtig ist. Und wenn trotzdem etwas unklar ist: Einfach anrufen! Die Lebensmittelakademie und auch ich selbst stehen gerne für Fragen zur Verfügung. Lieber einmal mehr fragen, als später ein gutes Produkt ausschließen müssen.
Fleisch & Co: Warum ist die Teilnahme am Wettbewerb für das Handwerk so wichtig?
Wolfgang Seidl: Wir machen seit über 100 Jahren das, worüber heute in Sachen Nachhaltigkeit und Regionalität so viel gesprochen wird – nur wird das leider viel zu selten wahrgenommen. Die Wertschätzung von offizieller Seite ist oft nicht da, obwohl wir mit unseren Produkten einen wesentlichen Beitrag zur gesunden Versorgung in Österreich leisten – und das mit echter Vielfalt. Genau deshalb ist es so wichtig, dass wir sichtbar bleiben. Eine Auszeichnung beim Wettbewerb ist auch ein Signal an die Konsumentinnen und Konsumenten: Schaut her, das ist ein regionales, handwerklich gemachtes Spitzenprodukt!
Fleisch & Co: Kann ein Wettbewerb dabei helfen, neue Kunden zu gewinnen?
Wolfgang Seidl: Ja, auf jeden Fall! Selbst wenn durch eine Auszeichnung nur zehn neue Kundinnen oder Kunden dazukommen, hat sich die Teilnahme schon gelohnt. Und es ist auch eine Form der Öffentlichkeitsarbeit: Viele Betriebe nutzen die Auszeichnung aktiv in der Kommunikation – etwa über regionale Zeitungen oder Social Media. Wir im Handwerk haben nicht die Werbebudgets großer Konzerne. Aber wir können durch Qualität und besondere Leistungen Aufmerksamkeit erzeugen – und genau dafür ist dieser Wettbewerb eine großartige Gelegenheit.
Fleisch & Co: Und es geht auch um das Image der gesamten Branche?
Wolfgang Seidl: Weil solche Wettbewerbe auch das Selbstvertrauen in der Branche stärken. Viele Betriebe leisten großartige Arbeit, trauen sich aber oft nicht,damit sichtbar zu werden. Der IFFW bietet eine Bühne, um Betriebe vor den Vorhang zu holen, ihnen ein Gesicht zu geben – für die Branche selbst und auch gegenüber den Konsumentinnen und Konsumenten. Es geht um eine positive Selbstdarstellung, die Qualität zu zeigen, die täglich erreicht wird.
Fleisch & Co: Sie sprechen sich in allen Ihren Vorträgen und Interviews immer für mehr Wertschätzung gegenüber Fleisch- und Wurstwaren aus?
Wolfgang Seidl: Ja, weil wir über hochwertige Grundnahrungsmittel sprechen. Fleisch und Wurst sind ernährungsphysiologisch wertvoll, aber sie werden in der öffentlichen Debatte oft völlig verzerrt dargestellt. Statt echter Information dominieren Halbwahrheiten – Aussagen wie „könnte krebserregend sein“ sind ohne konkrete Belege. Ich finde es bedenklich, wenn gesunde Lebensmittel ideologisch missbraucht werden. Wir brauchen wieder mehr Klarheit und ehrliche Kommunikation – auch das ist ein Ziel, für das der Wettbewerb steht.
Fleisch & Co: Sie sind mit den Fleisch-Könnern NÖ sehr aktiv, um die Wertschätzung für das Handwerk zu verbessern. Wie ist diese Initiative entstanden?
Wolfgang Seidl: Aus einem echten Frustmoment. In der Corona-Zeit haben wir gemerkt, dass das Fleischerhandwerk völlig unterging – in den Medien wurde nur von den Konzernen und Direktvermarktern gesprochen, aber unsere Betriebe kamen gar nicht vor. Zu Ostern wurden schließlich sogar Bestellungen storniert, weil die Kunden dachten, wir hätten geschlossen – denn so stand es ja in den Medien. Das war für uns der Punkt, an dem wir gesagt haben: Jetzt reicht’s! Gemeinsam mit Doris Steiner und Jakob Ellinger haben wir beschlossen, etwas zu verändern – so ist die Idee zu den Fleisch-Könnern entstanden.
Fleisch & Co: Wie ist die Initiative aufgebaut?
Wolfgang Seidl: Die Fleisch-Könner arbeiten auf drei Ebenen – mit einem Ziel: mehr Wertschätzung und Sichtbarkeit fürs Handwerk zu erlangen. Die erste Ebene sind die Fleisch-Könner selbst – also das Selbstvertrauen der Fleischerinnen und Fleischer zu stärken! Mit unseren Plakataktionen und Medienkooperationen holen wir sie und ihre fachliche Kompetenz vor den Vorhang, zeigen Gesicht und sagen: Das ist unser Betrieb, das sind wir.
Die zweite Ebene sind die Fleisch-Kenner – Menschen in Politik, Medien und Gesellschaft, die verstehen sollen, dass das Fleischerhandwerk ein Kulturgut ist, das viel zu oft übersehen wird. Und die dritte Ebene sind die Fleisch-Gönner – das sind unsere Kundinnen und Kunden, die sich bewusst für Qualität entscheiden und sagen: Ich gönne mir was Gutes – aus der Region, vom Lebensmittelhandwerker meines Vertrauens.
Fleisch & Co: Und der Einsatz der Fleisch-Könner trägt auch schon Früchte!
Wolfgang Seidl: Ja, wir sehen erste Veränderungen – vor allem durch unsere Initiative und viele Gespräche, auch in der Politik. Wir haben mit Werbeaktivitäten begonnen, etwa mit Spots auf Kronehit Radio oder unserem Auftritt bei „Silvia kocht“, wo wir die Fleisch-Könner und unsere Expertise vorstellen durften. Das war wirklich eine tolle Sache. Und ich möchte auch nochmals die Professionalität von Silvia Schneider besonders hervorheben – mit welchem Sachverstand und Feingefühl sie an die Sache herangegangen ist, das war wirklich beeindruckend. Für uns war das ein echtes Erlebnis. Richtig gut angekommen sind natürlich auch die großen Plakate der Fleischermeister, diese fallen sehr positiv auf und bringen die Fleischkompetenz der Betriebe wieder zurück in den Fokus der Konsumenten.
Fleisch & Co: Das langfristige Ziel ist?
Wolfgang Seidl: Die Initiative in den nächsten Jahren weiter auszubauen und medial noch sichtbarer zu machen. Langfristig wollen wir eine Marke etablieren, bei der die Konsumentinnen und Konsumenten sagen: „Fleisch-Könner? Da geh ich gern hin – das steht für Qualität.“
Fleisch & Co: Wie kann man bei den Fleisch-Könnern mitmachen – und was erwartet die teilnehmenden Betriebe?
Wolfgang Seidl: Mitmachen kann jeder niederösterreichische Handwerksbetrieb – ganz unkompliziert und kostenlos. Wichtig ist dabei: Die Individualität jedes Betriebs bleibt absolut erhalten. Niemand muss sich verbiegen oder ein bestimmtes Konzept übernehmen, um dabei zu sein. Wir geben nur das Werkzeug in die Hand – was die Betriebe daraus machen, entscheiden sie selbst. Manche schließen sich zusammen, kaufen gemeinsam ein oder entwickeln eigene Ideen. Und wir unterstützen mit Net werk und Fachwissen: Zum Beispiel mit Veranstaltungen wie im März in St. Pölten, wo viele Interessierte dabei waren und sich mit Expertinnen und Experten austauschen konnten. Es geht darum, eine gemeinsame Plattform zu bieten – ohne Vorgaben, aber mit viel Rückhalt.
Fleisch & Co: Was berührt Sie persönlich an der Initiative der Fleisch-Könner?
Wolfgang Seidl: Mich berührt, wie offen, dankbar und solidarisch die Kolleginnen und Kollegen bei unseren Treffen sind. Man spürt: Wir sitzen alle im selben Boot. Viele sind Einzelkämpfer – ohne große Budgets, ohne Zeitressourcen. Gegen die Großbetriebe können wir oft nicht mithalten.
Fleisch & Co: Eine großartige Initiative – warum nicht „Fleisch-Könner Österreich“?
Wolfgang Seidl: Dafür sind wir offen – aber wir sind mittendrin in einem laufenden Prozess. Die Initiative entwickelt sich Schritt für Schritt weiter, und wir haben jetzt in Niederösterreich eine Linie aufgebaut, die wir weiterentwickeln, aber nicht mehr grundlegend verändern wollen. Wenn sich andere Bundesländer anschließen möchten, freut uns das sehr – dann könnte es heißen: Fleisch-Könner Burgenland, Fleisch-Könner Wien, Oberösterreich und so weiter. Die Basis dafür haben wir gelegt, aber das klare Ja muss dann jeweils aus der Landesinnung kommen. Die Türen stehen offen.
Fleisch & Co: Wie sehen Sie den Stellenwert von Lebensmitteln in unserer Gesellschaft?
Wolfgang Seidl: Ich finde, wir müssen uns ehrlich fragen: Was ist uns wichtiger? Das neueste iPhone oder ein gutes Stück Fleisch aus der Region? Wir reden viel über Nachhaltigkeit und grüne Politik, kaufen dann aber Lebensmittel aus Übersee. Dabei sollte es nicht nur um den CO2-Ausstoß unseres Autos gehen, sondern auch um den ökologischen Fußabdruck der Produkte, die in den Großflächen angeboten werden. Nach Ablauf des MHDs werden viele Tonnen wertvoller Nahrungsmittel entsorgt! Und in der Nachhaltigkeit im Umgang mit Rohstoffen, da ist das regionale Handwerk unschlagbar. Was mich wirklich immer wieder nachdenklich macht: In Gesprächen höre ich oft Sätze wie „Bei uns gibt’s ja keinen Fleischer mehr“. Meine Gegenfrage ist dann immer: „Und wie oft hast du bei ihm eingekauft?“ – Schweigen. Genau da liegt das Problem. Wenn wir wollen, dass regionale Betriebe überleben, müssen wir auch bewusst bei ihnen einkaufen.
Fleisch & Co: Wie beurteilen Sie den Umgang mit Lebensmitteln im Handel – insbesondere im Vergleich zum Handwerk?
Wolfgang Seidl: Im Handwerk wird nichts weggeschmissen – bei uns zählt jeder Rohstoff, jedes Produkt. In großen Handelsketten landet laut Studien rund ein Fünftel der Lebensmittel im Müll. Und dann haben wir noch absurde gesetzliche Vorgaben: Wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, darf man die Ware nicht einmal verschenken, obwohl sie noch gut ist. Das ist für mich nicht nur unvernünftig, sondern eine echte Sünde. Lebensmittel sind zu wertvoll, um sie zu vernichten.
Fleisch & Co: Würden Sie sagen, dass Genuss schon beim Einkauf beginnt?
Wolfgang Seidl: Genau da beginnt’s – oder sollte es beginnen. Heute wird Essen oft nur als notwendiges Übel gesehen. Früher haben die Leute im Geschäft miteinander gesprochen: Was koch ich heute? Worauf hab’ ich Lust? Es ging ums Gustieren, um die Vorfreude. Heute wird schnell eingekauft, schnell gegessen – ohne Bezug, ohne Wertschätzung. Ein gutes Essen aber hält Leib und Seele zusammen, das wussten schon unsere Großeltern.
Fleisch & Co: Sie haben einen Familienbetrieb mit fünf Filialen. Ihre Söhne Matthias und Clemens haben bereits die Nachfolge angetreten.
Wolfgang Seidl: Meine Söhne haben 2017 die Geschäftsführung übernommen – damit führen wir den Betrieb jetzt in dritter Generation. Ich bin sehr froh, dass beide bereit waren, diese große Herausforderung anzunehmen. Es ist nicht leicht, aber die Basis ist da, und sie bewegen sich mit Fleiß und Bedacht in die richtige Richtung. Für mich war es nie ein Grund zur Sorge, den Betrieb zu übergeben – im Gegenteil: Ich sehe meine Aufgabe als erfüllt. Ich habe den Staffelstab weitergegeben, und jetzt liegt die Verantwortung bei der nächsten Generation.
Fleisch & Co: Was sehen Sie im Moment als die größte Herausforderung für das Fleischerhandwerk?
Wolfgang Seidl: Aus meiner Sicht ist das im Moment ganz klar der Green Deal der EU. Es heißt zwar, die Vorgaben gelten nur für Betriebe ab 250 Mitarbeitenden – aber das stimmt so nicht. Auch wir als kleine Handwerksbetrieb hängen als Zulieferer in der gesamten Lieferkette mit drin und sind daher betroffen. Die Bürokratie dahinter ist gewaltig. Ich habe manchmal den Eindruck, es geht auch darum, kleine Betriebe loszuwerden. Das sage ich offen – auch in der Politik. Wenn es hier keine klaren Regeln und Ausnahmen für Zulieferer gibt, dann werden noch viele zusperren müssen.
Fleisch & Co: Mehr Verständnis für die Realität kleiner Handwerksbetriebe?
Wolfgang Seidl: In der Bürokratie fehlt oft der Blick für das Ganze – und vor allem für die Zusammenhänge. Es wird eine Vorgabe nach der anderen gemacht, ohne zu hinterfragen, was das in der Praxis bedeutet. Die Querverbindung fehlt völlig: Was macht das mit kleinen Betrieben, was mit den großen? Was passiert entlang der gesamten Wertschöpfungskette? Diese Vorgaben werden oft von Menschen beschlossen, die nie in einem Betrieb gearbeitet und von der täglichen Praxis keine Ahnung haben. Ich finde, jeder Handwerksbetrieb, der sich da jeden Tag durchkämpft, hätte einen Oscar verdient. Und genau das wird durch übermäßigen Bürokratismus zerstört – langsam, aber systematisch.
Fleisch & Co: Was wäre aus Ihrer Sicht eine praktikable Lösung?
Wolfgang Seidl: Das Lebensmittelhandwerk lebt Regionalität und Nachhaltigkeit seit über 100 Jahren – das ist bei uns keine Marketingfloskel, sondern tägliche Praxis. Wir produzieren im kleinen Kreislauf, kaufen regional ein, verwerten alles. Genau das fordern viele jetzt als Zukunftsmodell – wir machen es längst. Deshalb verstehe ich nicht, warum man gerade uns noch zusätzliche Berichtspflichten aufbürden will. Die Grenzen müssen klar definiert werden: Ab wann gilt was für wen? Und es muss gesetzlich festgelegt sein, dass kleine Handwerksbetriebe keine solche Berichtspflicht haben – und dass diese auch nicht durch die Hintertür, etwa über den Handel, eingefordert werden darf. Denn sobald ein kleiner Betrieb für ein, zwei Filialen im Lebensmitteleinzelhandel liefert und dann Berichte wie ein Konzern abgeben soll, ist er draußen. Das kann niemand leisten – und das darf man nicht zulassen.
Fleisch & Co: Sie vergleichen Fleisch gern mit Wein – wie meinen Sie das?
Wolfgang Seidl: Wein wird zelebriert. Obwohl Alkohol ein Nervengift ist, wird er in höchsten Tönen gelobt, es gibt Verkostungen, Herkunftsangaben, eigene Gläser, Rituale. Und Fleisch? Das wird oft nebenbei konsumiert, ohne Wertschätzung, und es soll möglichst billig sein. Dabei ist Fleisch ein wertvolles Lebensmittel, das unser Überleben sichert, unseren Körper stärkt und zur Gesundheit beiträgt – wenn es verantwortungsvoll erzeugt und konsumiert wird. Aber genau dieses Lebensmittel wird heute häufig ignoriert oder sogar pauschal abgewertet. Das halte ich für ein fatales Zeichen unserer Zeit.
Fleisch & Co: In der Gastronomie ist beim Wein die Herkunftsbezeichnung längst selbstverständlich. Wäre so eine Kennzeichnung auch für Fleisch machbar – oder nur zusätzlicher bürokratischer Aufwand?
Wolfgang Seidl: Ich bin überzeugt: Jeder gute Gastronom sollte Interesse daran haben, seine Lieferanten transparent zu machen – vor allem, wenn sie aus der Region kommen. Das schafft Vertrauen, hebt die Qualität und ist ein klares Bekenntnis zu Regionalität. Aber solange es keine Verpflichtung zur Kennzeichnung gibt, bleibt es leider eine Entscheidung der Betriebe. Und das führt zu Wettbewerbsnachteilen: Wer ehrlich mit österreichischem Fleisch arbeitet, investiert mehr – wer internationale Ware verwendet und das nicht ausweisen muss, kann günstiger anbieten. Wir als Fleischer müssen die Herkunft längst dokumentieren, etwa auf dem Lieferschein – das wurde mit großem Aufwand umgesetzt und funktioniert heute gut. Warum dieser Standard in der Gastronomie nicht weitergezogen wird, ist für mich unverständlich. Transparenz darf nicht nur beim Produzenten enden.
Fleisch & Co: Ein weiteres großes Thema der Branche ist die Teuerung. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?
Wolfgang Seidl: Das Thema wird leider oft ideologisch geführt – dabei braucht es dringend eine sachliche Auseinandersetzung. In den letzten Jahren hatten wir in Summe 20 bis 25 Prozent Lohnanpassung. Gleichzeitig sind viele Lebensmittelprodukte wieder günstiger geworden. Natürlich sollen Mitarbeitende gut verdienen, das steht außer Frage – viele Betriebe bieten längst sehr gute Bedingungen. Aber dann muss man auch ehrlich sagen: Diese Kosten schlagen sich im Preis nieder. Und wenn man einerseits höhere Löhne fordert und andererseits die Teuerung beklagt, passt das einfach nicht zusammen. Auch das Konsumargument stimmt so nicht mehr – es wird nicht mehr ausgegeben, sondern gespart, das zeigen Studien und Bankdaten. Die Betriebe aber müssen zahlen. Es braucht dringend einen ideologiefreien Diskurs: Wie schaffen wir faire Bedingungen für Betriebe und Mitarbeitende – ohne das System zu überfordern?
Fleisch & Co: Was bedeutet diese wirtschaftliche Schieflage konkret?
Wolfgang Seidl: Es ist eine einfache Rechnung: Wenn die Löhne steigen und die Produktpreise gleichzeitig gedeckelt oder gedrückt werden, dann geht sich das irgendwann nicht mehr aus – das lernt man schon in der Volksschule. Und es trifft, wie so oft, die Kleinen. Denn wir haben keine Kapitaldecke wie große Konzerne, keine Rücklagen und keine internationalen Strukturen zur Absicherung. Wir stehen allein da – regional, familiär und oft sehr spezialisiert.
Fleisch & Co: Ihre Lösung wäre?
Wolfgang Seidl: Es braucht endlich eine sachliche, wertschätzende Diskussion – mit klaren Zahlen, nicht mit Schlagwörtern. Wir müssen gemeinsam überlegen, was wirtschaftlich tragbar ist, für Betriebe und Mitarbeitende. Ich bin überzeugt: Wenn man fünf Jahre lang ruhig, konsequent und gemeinsam Lösungen entwickelt und umsetzt, kommt man wieder auf eine stabile Spur. Familienbetriebe haben kein Interesse daran, Mitarbeitende auszunützen – im Gegenteil. Wir halten unsere Leute oft über Jahrzehnte. Während in Großbetrieben bei schlechter Quartalsbilanz tausende Menschen ihren Job verlieren, halten wir zusammen. Aber diese soziale Verantwortung wird zu wenig gesehen – und noch weniger unterstützt.
Fleisch & Co: Und dennoch leidet die Branche unter Personalmangel …
Wolfgang Seidl: Wir haben derzeit das Glück, wieder Lehrlinge zu haben – und die sind wirklich tüchtig. Darüber freuen wir uns sehr. Aber das ändert nichts daran, dass der Arbeitskräftemangel ein riesiges gesellschaftliches Problem ist. Jahrzehntelang hieß es: „Mein Kind soll es besser haben als ich.“ Und das wurde oft so verstanden, dass körperliche Arbeit keine Rolle mehr spielen soll. Dabei ist das ein völliger Irrweg. Handwerk ist nichts Rückständiges – im Gegenteil: Es ist kreativ, produktiv und schafft echten Wert. Eine gute Wurst, ein schönes Stück Fleisch, ein kunstvolles Gebäck – das ist alles Arbeit mit Stolz. Diese Wertschätzung muss wieder zurückkommen.
Fleisch & Co: Warum bilden viele Betriebe trotz des Bedarfs keine Lehrlinge mehr aus?
Wolfgang Seidl: Weil es schlicht wirtschaftlich kaum tragbar ist. Ein Lehrling ist fast so teuer wie ein Facharbeiter. Er ist zehn Wochen in der Berufsschule, hat fünf Wochen Urlaub, dazu kommen Feiertage und eventuell Krankenstände. Am Ende bleibt eine deutlich reduzierte produktive Zeit – und die muss der Betrieb tragen. Viele vergessen: Lehrlingsentschädigungen wurden in den letzten Jahren stark erhöht – teilweise um bis zu 30 Prozent – und das deutlich über dem Niveau mancher Facharbeiterlöhne. Wir bilden aus, weil wir überzeugt davon sind. Aber dass man das ohne Unterstützung stemmen soll, ist für viele schlicht nicht machbar.
Fleisch & Co: Welche Chancen sehen Sie für das Fleischerhandwerk?
Wolfgang Seidl: Die Menschen beginnen wieder, über Regionalität und Nachhaltigkeit zu sprechen – es braucht aber Zeit, bis aus Worten Taten werden. Wenn wir es schaffen, den Betrieben Mut zu machen und sie in dem zu bestärken, was sie tun, dann haben wir eine echte Chance auf eine Renaissance des Fleischerhandwerks. Wir sind auf den letzten Kilometern eines Marathons, und die sind die härtesten. Aber ich bin überzeugt: Viele werden es schaffen – vor allem jene, die schon Nachfolgerinnen oder Nachfolger gefunden haben. Das gibt Hoffnung.
Seidl Fleischerhandwerk – Qualität aus dem Schneeberg-Land
Tradition, Regionalität und Genuss – seit 1950 mit Liebe gemacht.
Produktionsstätte Neunkirchen:
Rohrbacherstr. 54, 2620 Neunkirchen, +43 (0) 2635/62 636
www.seidl-fleischerhandwerk.at
Autorin: Tanja Braune