Am 24. Juni 2019 hat für den Tiroler Speck und seine Produzenten eine neue Zeitrechnung begonnen. Am Abend dieses denkwürdigen Sommertages wurde im Amtsblatt der Europäischen Union, in dem – ähnlich dem österreichischen Bundesgesetzblatt – alle neuen Rechtsvorschriften, Mitteilungen oder Bekanntmachungen der Union offiziell veröffentlicht werden, eine Genehmigung mitgeteilt, die den Tiroler Speck auf ganz spezielle Weise adelt, seinen Konsumenten ein Höchstmaß an Qualität garantiert und seinen Produzenten neben Sicherheit auch zahlreiche Möglichkeiten eröffnet.
„Unser Tiroler Speck bleibt unser Tiroler Speck“, fasst Sonja Weber, Fachgruppengeschäftsführerin des Lebensmittelgewerbes der Tiroler Wirtschaftskammer, die Wirkung knackig in Worte. Auch wenn sie von „Königsklasse“ spricht oder von einer vergleichsweise „olympischen Auszeichnung“ trifft die Expertin ins Schwarze, sticht der Tiroler Speck nunmehr doch einzigartig aus der Gemeinschaft der rund 3.000 in Europa geschützten Produkte hervor.
Zehn Jahre Kampf
Exakter formuliert, handelt es sich bei dem am 24. Juni 2019 veröffentlichten Dokument um die Durchführungsverordnung der EU-Kommission „zur Genehmigung nicht geringfügiger Änderungen der Spezifikation eines im Register der geschützten Ursprungsbezeichnungen und der geschützten geografischen Angaben eingetragenen Namens „Tiroler Speck“ (g. g. A).“ Das amtsdeutsch vermag den Triumph nicht wirklich wiederzugeben, endet damit doch ein langer, mühsamer und teils auch bizarrer Kampf. Mit einem Sieg auf allen Linien.„Für die Spezifikationsänderung waren zehn Jahre notwendig“, weiß Christian Handl. Rund 2.000 Mails haben sich in seinem, dem Thema gewidmeten Mailordner angesammelt, mehr als 2.000 Stunden arbeitete er daran. „Doch das war es wert – diesen Kampf im Sinne von Tirol und im Sinne des geschützten Produktes zu führen“, sagt er. Christian Handl ist Geschäftsführer von Handl Tyrol und Obmann des Vereins „Konsortium Tiroler Speck g.g.A.“.
Neben der Handl Tyrol GmbH gehören dem Konsortium die Ager GmbH (Söll), die Firma Hörtnagl, die Metzgerei Josef Huber (Kitzbühel), die Metzgerei Gasser (Mayrhofen), die Metzgerei Pfluger sowie seit kurzem die Biometzgerei Juffinger (beide mit Sitz in Thiersee) an. Dass der Verein in nächster Zeit mit mehr Mitgliedern rechnen darf, liegt am neuen Herkunftsschutz, den damit verbundenen neuen Produktionsrichtlinien und unternehmerischen Möglichkeiten. Doch, der Reihe nach.
1997 wurde der Tiroler Speck als geschützte Angabe eingetragen.
Christian Handl
Karl Handl, dem Grandseigneur der heimischen Speckproduzenten und Vater von Christian Handl, ist es zu verdanken, dass dem Tiroler Speck das Schicksal des Frankfurter Würstels oder der Wiener Wurst erspart blieb. Das Frankfurter Würstel teilt mit Frankfurt nur den Namen. Es kann überall auf der Welt hergestellt werden, ohne dass ein Frankfurter Metzger je laut aufschreien und auf den Schutz „seiner“ Frankfurter pochen könnte.Ähnlich verhält es sich bei der Wiener Wurst, die Wien nie gesehen haben muss und durch die Herkunftsbrille betrachtet ebensowenig ein Mascherl trägt, wie die Extrawurst. Karl Handl hatte Anfang der 1990er-Jahre die Gefahr der Entlokalisierung des Tiroler Specks erkannt, die eben dazu geführt hätte, dass der g’schmackigste Botschafter des Landes überall produziert hätte werden dürfen – ob in Deutschland, Kanada oder der Steiermark.
Damals war der Tiroler Speck lediglich im Kodex, dem österreichischen Lebensmittelgesetzbuch verankert und theoretisch hätte er zumindest in ganz Österreich hergestellt und so genannt werden können. Unter Karl Handl wurde im damals vereinfachten Verfahren der Antrag für den Schutz des Tiroler Specks in Brüssel gestellt, was insofern nicht ganz einfach war, da Österreich noch kein Mitglied der EU war. „1997 wurde der Tiroler Speck dann als geschützte geografische Angabe eingetragen“, erzählt Christian Handl.
Der Tiroler Speckmeister
Was 1997 state of the art bei der Speckerzeugung gewesen und Grundlage des Herkunftsschutzes war, hat sich in den Folgejahren geändert. Verordnungen, Rohstoffanforderungen, Qualitäten, analytische Methoden oder strengere Kontrollen steckten die Rahmen neu. Auch waren einige Grenzwerte bei der Formulierung des Herkunftsschutzes teils so eng gesetzt worden, dass es für kleinere Gewerbebetriebe mühsam bis unmöglich war, sie einzuhalten.Vor dem Hintergrund entstand im Konsortium die Idee, einen Antrag auf Änderung der Spezifikationen zu stellen. „2009 haben wir damit begonnen“, blickt Christian Handl zurück zum Beginn eines bürokratischen Spießrutenlaufs: „Man kann sich gar nicht vorstellen, was da in Brüssel alles gefordert wird.“Ein entscheidendes Ziel der Tiroler war es, dass das Verpacken des Tiroler Specks in Tirol stattfinden sollte. „Das klingt einfach, doch musst du Brüssel einen Grund dafür nennen, warum das Verpacken nicht in Deutschland oder zum Beispiel in Südtirol passieren soll“, erklärt Handl. Österreich ist Teil der EU und damit Teil eines Wirtschaftsraums, in dem nationale Grenzen so wenige Hemmnisse wie möglich darstellen sollen.
Diesem Grundprinzip ein regionales Schnippchen im Zusammenhang mit einem vermeintlich simplen Produktionsschritt wie dem Verpacken schlagen zu wollen, ist eine enorme Herausforderung. Handl: „Wir legten beispielsweise Studien darüber vor, was nicht alles passiert, wenn der Speck lange transportiert wird. Entscheidend war aber, dass wir 2013 den Tiroler Speckmeister ins Leben gerufen haben.“
In Kooperation mit der Tiroler Wirtschaftskammer hat das Konsortium dafür die Tiroler Speckmeisterschulung implementiert. „Das ist Teil der ganzen Spezifikation. Nur Betriebe, deren Fachleute diese Ausbildung absolviert haben, dürfen ihren Speck ,Tiroler Speck’ nennen. Die Speckmeisterschulung findet jährlich statt, um die Qualitätsstandards entsprechend zu halten und weiterzuentwickeln“, berichtet Sonja Weber. Kontrolliert wird die Einhaltung der Standards durch die Biokontrollstelle Tirol.
Der Tiroler Speckmeister beziehungsweise diese Art der Qualifizierung war letztlich ein entscheidendes Argument für Brüssel, doch der Weg erwies sich als steinig. 2015 erfolgte der Antrag auf Änderung der Spezifikation, doch wurde er von Brüssel zurückgewiesen. Die Überarbeitung, die folgte, war so intensiv wie komplex. Der Obmann der steirischen Kernölleute und der SVGH, der Serviceverein für geschützte Herkunftsbezeichnungen für Lebensmittel, unterstützte die Tiroler mit Tipps für das Herkunftslabyrinth, schließlich war es notwendig, dass sowohl Patentamt und die zuständigen Ministerien Österreichs den Antrag absegnen.„Bevor irgendetwas nach Brüssel geschickt wird, prüfen sie es auf Herz und Nieren“, sagt Handl, der den Beamten in Wien und Brüssel nicht nur für die Einzigartigkeit des Tiroler Specks Beweise vorlegen, sondern sie zudem davon überzeugen musste, warum es notwendig ist, den Tiroler Speck in seinen fünf Teilen (Schinken, Bauch, Karree, Schopf, Schulter) zu schützen und dass der Tiroler Speck im Zillertal oder in Kitzbühel anders hergestellt wird und anders schmeckt, als etwa in Landeck.„Ich war schon immer ein Fan der Regionalität. Es ist mir gelungen, über die rund 500 Jahre alte Tradition, bäuerliche Erfahrungen und beispielsweise die Tatsache, dass sie im Unterland ein bissl anderes Holz zum Räuchern verwenden, als wir im Oberland und jedes Tal da ein eigenes Faible hat, die Unterschiede darzustellen“, so Christian Handl.
Ein Marken-Meilenstein
Der Berg an Unterlagen, Studien und Analysen wuchs über die Jahre ansehnlich, auf Erfolge folgten Rückschläge und nach der Einreichung des Antrages im Oktober 2018 begann das große Warten. Bis am 24. Juni 2019 die gute Nachricht im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde. Und einen Meilenstein setzte.„Der Tiroler Speck ist das einzige geschützte Produkt, das fünf Teilstücke hat und den Herstellern die Möglichkeit gibt, damit das gesamte Sortiment anzubieten. Und der Tiroler Speck ist das einzige geschützte Produkt, das auch den lokalen Zusatz erlaubt, wo exakt der Speck herkommt. Aus dem Zillertal beispielsweise oder aus Kitzbühel“, erklärt Handl. Dass angesichts dessen andere Konsortien blass werden, ist klar, bedeutet die geschützte Differenzierung und Lokalisierung der Tiroler doch einen enormen Vorteil bei der Vermarktung, die nun auch kleineren Gewerbebetrieben Chancen bietet. „Weil wir unsere Regionalität weiterhin unter einem Schutzmantel behalten können, ist das auch für das Land Tirol und für die Konsumenten ein schöner Erfolg“, sagt Christian Handl. Stimmt.