Als zweiten Teil zum vielfach von Medien veröffentlichten und aufgegriffenen offenen Brief „Unsere Lebensmittel in Gefahr – Insolvenzwelle der familiengeführten Fleischverarbeiter droht“ möchte ich hier aus meiner Sicht einen tieferen Einblick in die teils problematischen Dynamiken zwischen Handelsketten und deren Lieferanten, den Produzenten sowie den Landwirten geben.
Problem 1: Die unfaire Preisschere
Die Einkaufspreise, die der Handel den Lieferanten zahlt, werden nach dem Rohstoff (z.B. Notierung von Schwein in der Schweinebörse) bemessen. Erhöhungen bei Energie- und Materialkosten, Inflation und allein die Lohnkostensteigerungen von ca. 15 % in den letzten zwei Jahren werden nicht berücksichtigt und auch nicht bezahlt.
Andererseits werden vom Handel bei Senkung der Rohstoffkosten sofort Preisreduktionen gefordert und in vielen Fällen auch umgesetzt. Aus Sicht des Einkäufers ist dies eine nachvollziehbare Vorgehensweise. Leider bedeutet dies, dass die Schere zwischen den Preisaufschlägen des Handels und der vorgelagerten Produktion inklusive Landwirte immer weiter auseinandergeht.
In meiner Zeit als Einkäufer und Geschäftsführer einer Handelskette habe ich mit Aufschlägen von 45–50 % im Frischebereich kalkuliert, mittlerweile sind wir teilweise schon bei Handelsaufschlägen von 100 % und mehr bei den Herstellermarken-Artikeln angelangt.
Problem 2: Der Produzent im Anforderungs-Dschungel
Im Jahr 2000 musste man als Lebensmittelhersteller neben dem Hauptgeschäft nur wenige unterstützende Prozesse steuern, wie z.B. Buchhaltung, Kundenbetreuung und HACCP (ein Qualitätskontroll-System).
Mittlerweile gibt es eine kaum noch überschaubare Anzahl an Lebensmittelsicherheitsvorschriften, Zertifizierungen und Gütesiegeln wie z.B. IFS, Food Defense, FSSC 22000, BRC, Bio, GVO-frei, AMA etc. – die Liste wird immer länger. Durch diese massiv gestiegene Zahl an Anforderungen sind so viele zusätzliche Prozesse zu lenken, dass zur Kontrolle der Einhaltung zwischen 40 und 80 Audittage pro Jahr anfallen. Auf den damit verbundenen Aufwänden und Kosten bleiben die Familienbetriebe meistens allein sitzen.
Problem 3: Der Handel ist auch Mitbewerber
Viele Handelsketten in Österreich sind gleichzeitig auch Produzenten. Beispiele hierfür sind die TANN-Werke der Spar Handelskette oder die REWE Austria Fleischwaren Erzeugung für z.B. Billa in Österreich. Hier werden Marken wie z.B. Tann oder Hofstädter hergestellt, welche von den Handelsketten natürlich auch vermarktet werden. Mit deren Marketingbudgets kann es ein familiengeführter Produzent unmöglich aufnehmen.
Dabei sind gerade mittelständische Produzenten der eigentliche Innovationsmotor der Lebensmittelbranche, ein Umstand, auf den auch Spar-Vorstand Mag. Markus Kaser in der Septemberausgabe von „Regal“ hinweist.
Das Fazit: Ungleichgewicht in der Marktmacht
All diese Beispiele haben eines gemeinsam – im Vergleich zu den familiengeführten Produzenten verfügt der Handel in Österreich über eine ungleich höhere Marktmacht, welche dieser oft nachdrücklich ausspielt.
Wenn der Handel argumentiert, dass er durch harte Verhandlungen mit dem Lieferanten die Konsumenten schützen will, weil sonst die Regalpreise noch weiter steigen würden, ist dies absolut gerechtfertigt – sofern der Lieferant ein Weltkonzern ist, der seine Preise z.B. strategisch erhöht. Doch nicht bei einem Familienbetrieb, der um sein finanzielles Überleben kämpft.
Es sind am Ende die Konsumenten, die in einer freien Marktwirtschaft am Regal selbst entscheiden sollen und dürfen – nach Marke, Qualität und eben fairen Preisen.
Die Forderung: Mehr Fairness entlang der Wertschöpfungskette!
Es muss eine transparente Preisverhandlung zwischen Handel und Produzenten stattfinden, die nicht nur auf dem Rohstoffpreis beruht. Kosten wie Preiserhöhungen und Zusatzkosten für z.B. Audits müssen ihren Weg in den Einkaufspreis der Handelsketten finden. Auch der Landwirt gehört in dieser fairen Kalkulation mitberücksichtigt.
Wenn die Handelskette ihren Preis um 5 % erhöht, sollen dahinter auch Produzent und Landwirt um 5 % erhöhen dürfen. Denn wie unlängst von Herrn Mag. Gerald Hackl, Vorstandsvorsitzender der Vivatis Holding AG, im Branchenmagazin „Regal“ bestätigt, werden mind. 5 % Rendite benötigt, um reinvestieren und somit den Betrieb am Laufen halten zu können – wovon wir in der Praxis weit entfernt sind.
Die österreichische Fleisch- und Wurstwarenbranche punktet im internationalen Vergleich nicht durch den billigsten Preis, sondern durch höchste Qualität, innovative Produkte und einzigartige Spezialitäten. Ich bitte die Handelsvertreter, diese Mehrwerte auch in den Preisverhandlungen zu berücksichtigen. Weiters bitte ich die Politik in dieser Thematik um Unterstützung.
Ansonsten ist die beginnende Insolvenzwelle der familiengeführten Fleischverarbeiter nicht mehr aufzuhalten, und der internationalen Fleischindustrie mitsamt deren oft negativen Auswirkungen auf Qualität, Tierwohl und Umwelt ist endgültig Tür und Tor geöffnet.
August Staudinger