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Sich immer wieder neu erfinden

Das Fleischerhandwerk war schon immer schwierig und musste sich zu jeder Zeit und jeder Generation speziellen und besonderen Aufgaben stellen.

Das Fleischerhandwerk befindet sich seit einiger Zeit in einer Krise, das ist Tatsache. Gründe dafür gibt es viele, einige sind hausgemacht, andere gesellschaftlicher Art und wieder andere werden seitens der Politik und der Behörden herangetragen. Andererseits muss man aber gleich einleitend auch festhalten, dass das Fleischerhandwerk schon immer schwierig war und sich zu jeder Zeit und Generation speziellen und besonderen Aufgaben stellen musste – von den Problemen der Verarbeitung und Lagerung, über Personalpolitik und behördlichen oder veterinärmedizinischen Auflagen bis hin zu Produktentwicklungen und Marketing war und ist das Fleischerhandwerk eine Gilde für sich.

Was sich verändert hat

Doch drei Dinge scheinen heute anders zu sein als früher. Da ist zum einen die Selbstständigkeit, da das selbständige Unternehmertum von der Politik und vor allem von den Finanzbehörden nicht mehr so gerne gesehen wird und auch das Kreditwesen mit Auflagen bedacht wurde, die Finanzierungen schwieriger machen (aber gerade bei Betriebsübernahmen sind diese zum Teil zwingend notwendig!).

Zum zweiten befinden wir uns in einem gesellschaftlichen Wandel – das Fleischerhandwerk leidet unter Image-Problemen, nicht nur was den Fleischkonsum an sich betrifft, sondern auch personell; es fehlt an engagiertem Nachwuchs, weil kaum jemand das Fleischerhandwerk so wirklich gerne erlernen möchte – die jungen Menschen glauben mehrheitlich, dass sie immer in nasser Kälte arbeiten müssen oder hinter einer klammen Ladentheke zu stehen haben oder sie scheuen das „frühe“ aufstehen.

Und drittens hat das Fleischerhandwerk mit einem massivem Strukturwandel zu kämpfen, und das gleich auf mehreren Fronten – große Supermarktketten nehmen immer mehr Marktanteile für sich in Anspruch, die traditionellen Kunden wie z.B. die Gastronomie (weil ebenfalls in einer Umstrukturierung befindlich) gehen immer mehr verloren und schließlich wird das Beschaffen von Rohstoffen immer teurer, aufwendiger und schwieriger.

Hinzu kommt, dass traditionelle Strukturen der Zusammenarbeit – wie z.B. die des Bauern, der seine Sau vom Orts-Fleischer abstechen und verarbeiten lässt – immer mehr verloren gehen.

Und schließlich hat es das Fleischerhandwerk heute mit Kunden zu tun, die weit informierter und mündiger sind als früher – das Internet erleichtert Preis- und Qualitätsvergleiche ungemein; zudem müssen sich Fleischer der „Selbstoptimierung“ des Kunden stellen und sich immer mehr nach deren „neuem Wissen“ richten, egal, ob in Sachen Fleisch-Qualität, Preis, Herkunftsnachweis usw. – der Kunde meint heute, sich besser auszukennen, als der Experte (er hat ja alles bereits im Internet gelesen…).

Mit all diesen Problemen musste man sich früher nicht derart intensiv auseinandersetzen wie heute, das ist wohl richtig. Doch welche Wege gibt es aus der Misere und wie könnte das Fleischerhandwerk der Zukunft aussehen? Hier einige Gedankenansätze:

Personal

Die Personal- und Nachwuchsfrage ist schon jetzt wohl eines der eklatantesten Branchen-Probleme und in Zukunft wohl noch verstärkt. Ist das Erlernen eines Berufes an sich schon für viele Jugendliche unattraktiv, so rangieren Gastronomie und Fleischerhandwerk nochmals am unteren Ende der Beliebtheits-Skala. Die Gründe dafür sind vielschichtig: zu wenig Selbstverwirklichung, schlechte Bezahlung, schlechtes Image, familienfeindliche Arbeitszeiten, unattraktiver Arbeitsplatz und vieles anderes mehr.

Es gilt also, das Fleischerhandwerk für den Nachwuchs interessanter zu machen. Das geht im einzelnen Betrieb kaum, das muss Branchenübergreifend angegangen werden – denn auch andere Berufe wie Bäcker haben damit zu kämpfen; hier sind auch Kammer, Politik und Medien in die Pflicht zu nehmen.

Wenn das nicht weiterhilft, dann werden Alleingänge notwendig sein – und man wird auf Personal aus anderen Ländern zurückgreifen müssen. Die Edelfleischer von Paris leben es beispielsweise bereits heute vor: jeweils ein Franzose ist da in den Verarbeitungsräumen Vorarbeiter, ansonsten sieht man nur Personen mit Migrationshintergrund arbeiten (hauptsächlich afrikanischer Herkunft, aber auch gut ausgebildete Libanesen – im Libanon ist das Fleischerhandwerk hoch angesehen).

Image

Das Image-Problem gilt sowohl für die Personalfrage als auch in gesellschaftlicher Hinsicht. Und gerade hier ist vieles hausgemacht, denn es ist auch Aufgabe eines Unternehmers, seinen Mitarbeitern einen lebenswerten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen – immerhin verbringen die Mitarbeiter einen Großteil ihrer Zeit hier. Und zufriedene Mitarbeiter bringen Umsätze – alleine schon das Lächeln hinter der Ladentheke wirkt beim Kunden Wunder.

Kundenkritik wie „zu teuer für das was geboten wird“, „uninteressantes Sortiment“, „auch nicht besser als im Supermarkt“ und Ähnliches ist zuweilen nicht unberechtigt, wenn man ehrlich ist. Ein vergleichender Blick unter dem Motto „wie würde ich selbst entscheiden“, „würde ich bei mir selbst einkaufen“ kann da helfen.

Hinzu kommt der gesellschaftliche Wandel. Es gibt immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund, die kein Schweinefleisch essen, vegetarisch oder auch vegan leben oder genau über die Herkunft der Lebensmittel informiert sein wollen. Dass dies überhaupt zu einer Problematik werden konnte, liegt sicherlich auch daran, dass sich die Fleischer-Branche zu langsam (oder manchmal auch überhaupt nicht) auf den neuen Zeitgeist einstellen wollte und nach wie vor will. Ein wenig Toleranz und Flexibilität gehören zum Unternehmertum aber dazu – man muss sich deswegen nicht gleich verbiegen!

Produkte

Ganz ehrlich – was bringt es dem Konsumenten, wenn er seine Extrawurst heute beim Fleischer kauft? Im Supermarkt ist sie nicht schlechter und zudem kann er hier gleich alles andere beziehen was er braucht. Was damit gemeint ist: es fehlt den meisten Fleischereien an einem Alleinstellungsmerkmal, das den Kunden anlockt. Die Produktpalette ist fast überall standardisiert mit den gleichen Rezepturen und ähnlichem Geschmack – fad, um es einmal ganz hart auszudrücken!

Der Konsument wünscht sich doch, wenn er in ein Spezialgeschäft geht, etwas Besonderes, etwas Anderes, etwas Wunderbares – kurz, etwas was er woanders nicht bekommt und womit er zu Hause oder vor Freunden reüssieren kann. Wenn man an die berühmtesten Fleischer der Welt denkt, so verbindet man mit den meisten von ihnen ein spezielles Produkt.

Zur Sortimentsbildung gehört auch das Einbeziehen der „neuen Konsumentenwünsche“. Herkunft der Tiere, Top-Qualität (die ihr Geld wert ist), Interessante Produkt-Ideen (die wunderbar schmecken), hochwertige Imbisse für zwischendurch oder auch Convenience und Halbfertiggerichte für zu Hause sind die Themen, an denen gearbeitet werden muss – es bringt nichts, wenn alle dasselbe Sortiment haben, denn es käme einer Modulation von C-Dur nach A-Moll gleich, mit der wir uns bekanntlich im Kreis drehen.

Erfolgsbeispiele gibt es genug: Konzentration auf ein, zwei besondere Leitprodukte oder Spezialitäten (funktioniert fast immer und überall, wenn die Produkte besonders gut sind), vegetarisches Hühner-Curry aus Austernpilzen (Holland), vegane „Blutwurst“ oder Tofu mit Beuschelsaft (Österreich); das Rückbesinnen auf alte Speck- und Schinken-Rezepturen und handwerkliches Verarbeiten derselben (Österreich), das feinste dry-aged-beef von speziellen Rindern (Frankreich, England), kreative Wurstwaren mit unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen (Deutschland), traditionelle Wurstwaren neu und modern interpretiert (Italien), besonders alte Kühe für Steaks (Spanien/Deutschland) oder kreatives Design und überraschende Geschmacks-Kombinationen (Spanien). All diese kleinen Beispiele zeigen, dass man mit Kreativität und Eigeninitiative zum Erfolg gelangen kann!

Bei aller Experimentierfreude sollte man aber eines immer im Auge behalten: schmecken muss das Produkt. Soll heißen: nicht dem Fleischer muss das Produkt gefallen, sondern den Kunden.

Marketing und Verkauf

Puncto Marketing und Ladengestaltung ist viel Nachholbedarf notwendig. Das beginnt beim Service und der Beratung, die oftmals lückenhaft sind – nicht selten wissen Verkäuferinnen und Verkäufer an der Ladentheke zu wenig über die Produkte, die sie verkaufen und auch die Beratung, welches Fleisch das Beste für welches Rezept ist, funktioniert nicht immer gut. Von den besten internationalen Steak-Cuts (immerhin ist das Grillen so „in“ wie selten zuvor) wollen wir an dieser Stelle gar nicht sprechen.

Auch bei der Inneneinrichtung kann viel getan werden – eine Kühlvitrine und „Rotlicht“ für appetitliches Fleisch reichen heute einfach nicht mehr aus. Der Kunde muss sich wohlfühlen, wenn er dazu bereit sein soll, mehr Geld auszugeben. Das Einkaufen sollte einem Event-Erlebnis gleichkommen.

Und es reicht auch nicht aus, einfach nur einen Online-Shop zu machen oder eine Internetseite basteln zu lassen – wer soll die in den Tiefen des World Wide Web so einfach finden? Und warum soll man dann da einkaufen, wenn das Sortiment auch nicht anders ist als woanders?

Werbung war schon immer ein Stiefkind der Fleischer. Plakate mit Preiskampf sind meist kontraproduktiv, weil man gegen den Supermarkt ohnedies auf verlorenem Posten steht. Nur wenige Betriebe werben mit Qualität und Spezialangeboten. Kein Wunder, es gibt auch zu wenig davon.

Und immer wieder hört man das Heraufbeschwören von Schuldigen: die bösen Direktvermarkter nehmen das Geschäft weg, die billigen Supermärkte erschweren das Leben, die preisbewussten Konsumenten kommen nicht, die Gastronomie kauft woanders, und überhaupt die EU – alle haben Schuld am schlechten Geschäft. Doch das Jammern bringt nur wenig, denn es ist noch niemand dadurch besser geworden, wenn er über andere schimpft.

Das beste Marketingrezept ist im Verkauf immer noch das Positive: tolle qualitativ hochwertige Produkte in angenehmer und freundlicher Atmosphäre – dann klappt‘s auch mit den Kunden. Und warum es nicht einmal so versuchen wie die Kollegen am Markt: kleine Kostproben und nettes Zureden kosten kaum Geld und haben noch niemals geschadet.

Die Fleischerei bzw. das Fleischfachgeschäft der Zukunft kann und muss keine eierlegende Wollmilchsau sein. Aber es ist ein umfassendes Umdenken in der Branche notwendig und es Bedarf gewisser Anstrengungen, die eigenen Wünsche auch nach außen zu kommunizieren – egal ob in Richtung Politik, Behörden oder Konsumenten. Es reicht in den meisten Fällen nicht, nur an einem der oben genannten Punkte zu schrauben. Bei einzelnen Betrieben wird es vielleicht genügen, wenn man das Sortiment oder die Produktpalette überarbeitet oder sich und seinen Laden modernisiert; doch meistens ist es sinnvoller, gleich ein ganzheitlich neues Konzept zu entwickeln, das zugleich zeitgerecht modern und zukunftsorientiert visionär ist. Ein einheitliches Konzept gibt es da nicht, jede Region und Stadt hat andere Gegebenheiten. Mit den Leuten reden kann aber von ganz allein zu neuen Lösungsideen führen. Der größte Fehler, den man als selbstständiger Unternehmer machen kann, ist sich auf andere zu verlassen oder nichts zu „unternehmen“; das gilt für alle Unternehmer gleichermaßen, für die Fleischer aber ganz besonders.

Das Wesentliche im Gewerbe bleibt der Kunde, das wird heute allzu oft vergessen. Weder Politik noch EU sind schuldig, wenn dieser ausbleibt. Der Kunde ist König, hat es früher geheißen – es wird Zeit, dass sich die Branche dessen wieder besinnt.

Fleisch & Co – die österreichische Fleischerzeitung

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