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Rewe und Spar zerlegen den Markt

Österreichs Fleischwirtschaft steuert auf einen tief greifenden Strukturwandel zu. „Feinzerlegungen“ der heimischen Fleisch-Lieferkette mit Verschiebungen der  Wertschöpfungsanteile sind angesagt. 2018 eröffnen neue Fleischzerlegewerke von Rewe in Eberstalzell (OÖ) und Spar/Tann in Wörgl in Tirol.

Im Fokus des sich abzeichnenden Wandels steht die auf Massenproduktion ausgerichtete Fleisch- und Wurstindustrie: Schlachthöfe mit angeschlossenen Zerlegebetrieben, Wurst- und Schinkenproduzenten mit nationaler Marktbedeutung – sie geraten durch die laufenden Kapazitätserweiterungen bei den Fleischwerken der großen Lebensmittelhändler unter massiven Konkurrenzdruck.

Die Rewe Austria Fleischwaren GesmbH errichtet zurzeit ein neues Fleischwerk im oberösterreichischen Eberstalzell. Der Standort liegt an der A1, nahe dem Zentrallager Ohlsdorf. Das Werk soll ab der Jahresmitte 2018 den Probebetrieb aufnehmen. Ab 2019 läuft es im Vollbetrieb mit einer jährlichen Verarbeitungsmenge von 20.000 Tonnen. Hauptmitbewerber Spar, so hat man den Eindruck, will diesem Expansionsschritt zuvorkommen und bereitet für 2018 einen Doppelschlag vor. In Wörgl wird derzeit ein neues Tann Fleischwerk mit 9.500 m2 errichtet, die Eröffnung ist für Ende Februar 2018 geplant. In Graz wird der bestehende Tann Fleischbetrieb generalsaniert und erhält einen 4.500m2 großen Zubau. Die Eröffnung wird für September 2018 erwartet.

In Oberösterreich, dem Hotspot der heimischen Schweinemast und Fleischproduktion mit Leitbetrieben wie Großfurtner, Handlbauer, Landhof, Hochreiter und Hütthaler, sorgt das Projekt Eberstalzell naturgemäß für Diskussion. Aber die Fleischbosse hüten sich, das heiße Eisen vor den Augen der Öffentlichkeit anzufassen. „Dazu sage ich nichts“ – mit diesen Worten zitierten die Oberösterreichischen Nachrichten einen Fleischproduzenten, dem sie ein Statement zum Großprojekt der Rewe entlocken wollten. Das Argument des Mister Anonym spricht Bände: „Die Handelsketten sind ja Großkunden“.

Wie stark Österreichs Fleisch- und Wurstindustrie mit den großen Filialketten des Lebensmittelhandels „verbandelt“ ist, lässt sich an folgenden Fakten ablesen:

Laut RollAMA flossen vom Geld, das Österreichs Haushalte im ersten Halbjahr 2017 für den Einkauf von Frischfleisch und Geflügel ausgaben, nicht weniger als 83,4% in den Lebensmitteleinzelhandel, bei Wurst & Schinken betrug dieser Marktanteil 88.7%.

Innerhalb des LEH tobt der Verdrängungswettbewerb zwischen Supermärkten und Diskontern. Letztere legen beim Marktanteil zu, während die Supermarktketten leicht verlieren.

Österreichs größter Wurstproduzent, die Firma Radatz, liefert laut „Presse“ vom 5. 1. 2017 80% ihrer Produktion an die Einzelhandelsformate der Rewe (Billa, Merkur und Adeg) und an den Diskonter Lidl.

Ein Dreiländervergleich Deutschland – Österreich – Schweiz zeigt, dass bei uns und bei den Eidgenossen der Lebensmittelhandel gegenüber der Fleischindustrie (Schlachthöfe, Zerlegebetriebe, Wurstfabriken) eine wesentlich stärkere Position einnimmt, als in Deutschland. Migros und Coop Genossenschaft (letztere als Mehrheitseigentümerin der Bell AG) haben im Schweizer Fleischgeschäft das Sagen.

In Österreich sieht sich die Spar-Tochter Tann mit sechs regional aufgestellten Betrieben als der größte Fleischverarbeiter und Wurstproduzent des Landes. Die Rewe, Marktführer im LEH, bläst bei der Eigenproduktion von Fleisch- und Wurstwaren mit dem Projekt Eberstalzell zur Aufholjagd. Im Vergleich dazu ist bei der Rewe Köln der Anteil der Eigenproduktion von Fleisch und Wurst wesentlich geringer. Deutschlands führende Diskonter Aldi und Lidl setzen bei Fleisch und Wurst auf ihren Heimmärkten nicht auf Eigenproduktion sondern auf die Zusammenarbeit mit leistungsstarken und preisgünstigen Großproduzenten wie Tönnies, Vion Food oder Westfleisch.

Aus diesen strukturellen Unterschieden erklärt sich die schwierige Position österreichischer Schlachthöfe und Fleischzerlegebetriebe im Vergleich zu ihren deutschen Branchenkollegen. Die Tönnies-Gruppe, Deutschlands größter Schweinefleisch-Produzent, schlachtet jährlich 5,5 Millionen Schweine, das ist die dreifache Menge der gesamten Schweinefleisch-Produktion in Österreich und das 15fache Volumen des größten heimischen Schweine-Schlachtunternehmens, der Firma Steirerfleisch-Jöbstl.

Wenn Rewe und Spar die eigenen Kapazitäten bei der Fleischzerlegung erweitern, wandert ein Teil der Wertschöpfung von den Betrieben, die Schlachtung und Zerlegung in Kombination betreiben (bei Tönnies spricht man von der „Biologischen Einheit“ von Schlachtung, Zerlegung und Verpackung) weg zu den Zerlegebetrieben der beiden Händler. Dieser Verlust an Wertschöpfung wird durch den Umstand verstärkt, dass es die heimische Fleischindustrie in der Vergangenheit verabsäumt hat, starke eigene Frischfleisch-Marken aufzubauen, die von Konsumenten nachgefragt werden. Diesen Job der Markenbildung und -pflege üben bei uns seit langem die Supermarkt- und Diskonter-Ketten aus, dazu gesellen sich regionale Markenfleisch-Programme der Landwirtschaft wie Gustino Stroh oder Almo.

Für vergleichsweise hohe Wertschöpfung steht auch die Kombination von Fleischzerlegung, Frischfleisch-Zuschnitt, Erzeugung von Wurst- und Schinken-Eigenmarken und den Exklusivvertrieb dieser Sortimente über die eigenen Einzelhandelsformate. Spar beschreitet diesen Weg schon seit Jahrzehnten mit der Fleischtochter Tann, über den hohen Marktanteil des Tann-Eigenmarkensortiments in den Wurst- und Feinkosten-Theken der Spar-, Eurospar-, Interspar- und Maximärkte, hält man sich in Salzburg bedeckt.

In den Wurstvitrinen von Billa, Merkur und Adeg sind die Produkte der Rewe-Eigenmarke Hofstädter im Vormarsch. Mit der Inbetriebnahme von Eberstalzell wird sich dieser Trend wohl noch verstärken. Wurst- und Schinkenerzeuger, die bisher für die Rewe Hofstädter-Ware erzeugten, müssen sich vermutlich warm anziehen, wollen sie dieser neuen Konkurrenz paroli bieten. Der Preisdruck steigt und ob man als Lieferant von Hofer- oder Lidl-Eigenmarken höhere Deckungsbeträge erwirtschaftet, bleibt dahingestellt.

Viele Wursthersteller fahren ja eine Doppelstrategie von Herstellermarke und Handelsmarken-Lohnproduktion. Diese Gratwanderung, im Markenartikler-Jargon „Sleeping with the Enemy“ genannt, wird noch schwieriger, wenn der Händler die eigene Eigenmarken-Produktion ausbaut. Kommen dazu noch Schwankungen bei den Rohstoffpreisen, werden die Nettomargen der Wursterzeuger einem noch härteren Stresstest unterzogen.

Der Sager eines namhaften Wurstproduzenten, wonach in seiner Branche zurzeit bestenfalls eine Umsatzrendite von ein bis eineinhalb Prozent zu erwirtschaften sei (nachzulesen im „Standard“ vom 11. 12. 2016), ist schon als ernstes Warnsignal zu werten. Da trennt sich, biblisch gesprochen, die Streu vom Weizen. Wenn einem Produzenten unter solchen Vorzeichen anhaltende Verluste oder gar die Pleite drohen, wächst die Versuchung, den Betrieb zu schließen oder, solang das noch möglich ist, an kaufwillige „Investoren“ zu verscherbeln.

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