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EU-Bioverordnung: Phytotherapie und Homöopathie in der Nutztierhaltung

Eine homöopathische oder phytotherapeutische Behandlung ist nach aktueller tierärztlicher Entscheidung und der neuen EU-Bio-Verordnung als primäre Behandlungsform bei Bio-Nutztieren anzuwenden.

Der Stellenwert der Komplementärmedizin ist in den letzten Jahren gestiegen – sowohl im Humanbereich als auch in der Haus- und Nutztierhaltung werden homöopathische Arznei- mittel oft und gern eingesetzt. Dass dieser Weg häufig auch der richtige für die Gesundheit ist, zeigen die Erfahrungen der komplementärmedizinisch arbeitenden Tierärzte. Michael Ridler, Fachtierarzt für Homöopathie: „Es hat sich herumgesprochen, dass wir uns auf diese komplementärmedizinische Behandlungsmethode spezialisiert haben. In der Kleintierordination ersuchen uns oft Patientenbesitzer, ihr Tier, das schulmedizinisch oft lange ohne Besserung in Behandlung war, homöopathisch zu behandeln. Im Kuhstall höre ich sehr oft die Bitte: „Behandelst aber eh mit den Kugerln!“

Homöopathie statt Antibiotika

In Bio-Betrieben sind Tierärzte aufgrund der „EU-Bio-Verordnung“ gesetzlich angehalten, unter bestimmten Umständen Tiere primär homöopathisch oder phytotherapeutisch zu behandeln. Denn hier dürfen nach tierärztlicher Diagnose zwar alle konventionellen Medikamente verschrieben werden, die gesetzliche Wartezeit ist jedoch zu verdoppeln. Michael Ridler: „Für Landwirte ist Homöopathie infolge der Rückstandsproblematik und der damit verbundenen finanziellen Einbußen interessant. Bei lebensmittelliefernden Tieren fallen bei homöopathischer Behandlung keine Wartezeiten an. Zudem limitiert die EU-Bio-Verordnung die Anzahl der erlaubten Anwendungen von konventioneller Medikation wie Antibiotika. Landwirten ist auch die Diskussion bezüglich Antibiotikaresistenzen in der Humanmedizin bekannt und sie sehen es gern, wenn auf ihrem Betrieb weniger Antibiotika zum Einsatz kommen.“

Es gibt etliche evidenzbasierte Studien, die zeigen, dass homöopathische Arzneien bei der Behandlung von bakteriellen Infektionen sowohl im Zusammenspiel mit Antibiotika als auch als alleinige Therapie wirksam sind – nicht nur in der Humanmedizin. Eine randomisierte, Placebo-kontrollierte, doppelblinde Studie zur homöopathischen Behandlung von durch das Bakterium Escherichia coli hervorgerufenem Durchfall bei Ferkeln zeigte, dass in der homöopathisch behandelten Gruppe signifikant weniger Tiere an durch E. coli bedingtem Durchfall erkrankten. Zudem war der Schweregrad der Erkrankung geringer und der Durchfall, sofern er auftrat, von weitaus kürzerer Dauer.

Gerade in Bezug auf die weltweite Problematik der Antibiotikaresistenz gibt es auch internationale Forderungen nach Komplementärmedizin. Im „European One Health Action Plan“ der EU-Kommission wird die Minimierung des Antibiotikaeinsatzes gefordert und die Komplementärmedizin als potenziellen Ansatz zur Abwehr der globalen Bedrohung durch die Antibiotikaresistenz angeführt. Auch die WHO fordert in ihrem Strategiepapier „Traditional Medicine Strategy 2014–2023“ ihre Mitgliedsstaaten auf, die Komplementärmedizin in die jeweiligen nationalen Gesundheitssysteme aufzunehmen. Zudem warnte auch die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA) jüngst vor zunehmenden Antibiotikaresistenzen nach der Auswertung von Daten aus dem Jahr 2017. „Die Alarmglocken läuten“, erklärte EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis bezüglich der jüngsten Studie der EFSA. Nach diesem Bericht sind Resistenzen im Schweinestall in Deutschland und Spanien besonders hoch ausgeprägt. Die Antibiotika Ampicillin, Tetracyclin und Sulfamethoxazol würden dort in mehr als 70 Prozent der Proben Resistenzen aufweisen, berichtet die Behörde in Parma.

Die jüngste Diskussion

Dennoch sind der komplementärmedizinische Ansatz und die Homöopathie in letzter Zeit in Diskussion gekommen. Obwohl es weltweitrund 4000 Studien zur Human- und Veterinärhomöopathie gibt – darunter hochqualitative Studien der Evidenzklasse 1a und 1b, die dem sogenannten Goldstandard der Evidenzbasierten Medizin entsprechen. Diese belegen,so sind sich alle ausgebildeten Experten einig,die Wirksamkeit der Homöopathie sowohl beim Tier als auch beim Menschen. Vor allem die Unkenrufe, dass Homöopathie nur auf Placeboeffekte beruhen würde, kann gerade mit den großen Erfolgen in der (Nutz-)Tiermedizin widerlegt werden. Denn, so Dr. Petra Weiermayer, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Veterinärmedizinische Homöopathie: „Placeboeffekte sind per definitionem alle positiven psychischen und körperlichen Reaktionen, die nicht auf die spezifische Wirksamkeit einer Behandlung zurückzuführen sind, sondern auf den psychosozialen Kontext der Behandlung. Allerdings ist gerade bei Verabreichung der homöopathischen Arznei über das Trinkwasser – wie es in der Nutztierpraxis üblich ist – die Aussage, die Wirkung der Homöopathie beruhe auf der Zuwendung zum Patienten, definitiv nicht haltbar.“ Und die Tierärztin weiter: „Homöopathika gelten als Arzneimittel, die Anwendung und Abgabe durch Tierärzte ist gesetzlich geregelt. Die homöopathischen Arzneimittel – mit denen wir täglich arbeiten – unterliegen wie alle anderen Medikamente dem Arzneimittelgesetz und sind gesundheitsbehördlich registriert oder zugelassen.“

NACHGEFRAGT

Fleisch & Co hat zu diesem Thema auch mit Mag. Kurt Frühwirth, Tierarzt und Präsident der Österreichischen Tierärztekammer (ÖTK) gesprochen. Die Tierärztekammer hat erst kürzlich in einem Positionspapier gefordert, dass der Einsatz der integrativen Veterinärmedizin als Ergänzung zur Schulmedizin und die Verankerung der Integrativmedizin in der akademischen Ausbildung an der Veterinärmedizinischen Universität Wien festgeschrieben werden soll.Das Interview wurde im Rahmen der Fachtagung Komplementärmedizin in Diskussion des Steirischen Tiergesundheitsdienst (TGD) Anfang März 2019 in der Landwirtschaftlichen Fachschule Hatzendorf geführt.

Mag. Kurt Frühwirth, Tierarzt und Präsident der Österreichischen Tierärztekammer (ÖTK) im Interview:„In der Praxis müssen wir einfach den Patienten helfen!“

Warum ist integrative Medizin so wichtig?

Die Schulmedizin stößt teilweise an ihre Grenzen. Und natürlich fragen dann die Tierhalter immer öfter, ob es nicht noch etwas anderes gibt. Das ist eine grundsätzliche Frage, die wir uns auch selbst stellen müssen.Der Begriff Gesundheit ist definiert und fordert damit quasi die ganzheitliche Betrachtung des Menschen aber auch unserer tierischen Patienten ein. Gerade in der Veterinärmedizin muss man sehr genau und analytisch vorgehen, damit man zu einem Ergebnis kommt, hier sind ganzheitliche Betrachtungen schon in der Diagnostik sehr wichtig.

Die Homöopathie wird derzeit sehr angefeindet, verstehen Sie diese Kritik?

Ich verstehe die Aufregung nicht, denn es gibt Studien, die die Wirksamkeit der Homöopathie belegen. Den Gegnern wird man es aber offenbar nie recht machen können. Sie sind einfach fundamentalistisch dagegen eingestellt, da sie oft selbst nicht in der kurativen Praxis tätig sind. Damit nicht wissen und auch keine Erfahrung haben, was in der Praxis, der Human- und der Tiermedizin mit verschiedenen Methoden für Heilungserfolge möglich sind. Denn in der Praxis müssen wir einfach den Patienten – Menschen und Tieren – helfen. Und das bedeutet auf Basis der Schulmedizin mit einer integrierten Methodik aus anderen Bereichen, wie etwa der Homöopathie.

Was müssen wir angesichts der zunehmenden Antibiotikaresistenzen tun?

Wir steuern aufgrund immer häufiger auftretender AB-Resistenzen auf einen Notstand zu. Durch die Homöopathie haben wir eine Option in der Hand, diese dort einzusetzen wo keine Antibiotikabehandlungen notwendig sind bzw. diese nicht mehr wirken. Wir verbrauchen jährlich etwa 45 Tonnen Antibiotika in der Nutztierhaltung, vor ein paar Jahren waren es sogar 53 Tonnen. Wir müssen eine Reduktion und ein Bewusstsein schaffen, dass die Homöopathie in vielen Fällen eine weitere Möglichkeit bietet, um diesen Verbrauch eventuell weiter zu senken.

Wie sehen sie die Zukunft der Homöopathie in der Tiermedizin?

Die derzeit homöopathisch tätigen Tierärzte sind gute Keimzellen, die bereit sind ihr Wissen weiterzugeben und auch andere Kolleginnen zu motivieren. Wir als Tierärzte würden einen Fehler begehen, wenn wir das nicht pflegen und ausbauen, natürlich auf Basis der schulmedizinischen, klassischen Diagnostik und Lehre, integrative Methoden, wie die Homöopathie zu fördern.

Haben Sie einen Wunsch an die Politik?

Es braucht Fürsprecher, im Gesundheitsbereich ist bereits einiges passiert. Man sieht es in anderen Ländern wie der Schweiz, wo diese integrativmedizinischen Methoden bereist gut verankert sind. Ich glaube die Politik muss ein Signal wie etwa die Europäische Kommission mit ihrem One Health Action Plan setzen. Jetzt braucht es unbedingt noch einen zusätzlichen Anstoß, damit auch hierzulande die Entwicklung vorangetrieben wird.

Wo soll Ihrer Meinung nach die Ausbildung in Punkto Homöopathie stattfinden?

Es wäre sehr schön, diese komplementärmedizinischen Methoden in der universitären Ausbildung zu etablieren. Noch liegt sie fast ausschließlich in privater Hand oder in Händen von privaten Akademien. Es ist für uns schwer begreiflich, dass es für viele kein Miteinander gibt, denn die Homöopathie will die Schulmedizin nicht abschaffen, sondern als integrierter Bestandteil wirken. Sehr erstaunlich ist, dass dieses Thema sehr emotional diskutiert wird.

Wie sind Ihre praktischen Erfahrungen mit Homöopathie?

Eine professionelle Auseinandersetzung ist wichtig, wenn diese nicht gegeben ist, sollte man an eine Fachexpertin, einen Fachexperten überweisen. Ich bin zur Entscheidung gekommen, wenn man sich damit nicht intensiv auseinandersetzt, dann sollte man eher die Finger davon lassen. Ich selbst besitze leider keine homöopathische Ausbildung.

Mein Credo ist: Es gibt immer mehrere Methoden, die man bei der Behandlung in Erwägung ziehen kann. Wenn es angebracht ist, dann verweise ich die Tierbesitzer zur homöopathischen Behandlung auf kompetente Kollegen. Auch wenn Tiere sozusagen austherapiert sind. Denn oftmals geht es leider nicht mehr um Heilung, sondern um Linderung und um eine verbesserte Lebensqualität.

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