Von Pia Moik
Anfang des Jahres erschien der Fleischatlas – eine Zusammenfassung von Untersuchungen und Studienergebnissen, herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung, dem deutschen Bund für Umwelt- und Naturschutz und der Monatszeitung Le Monde diplomatique. Diese gut geschriebene und sehr anschauliche rund 50-seitige Dokumentation geht mit der Erzeugung von Fleisch und mit dessen Konsum sehr hart ins Gericht. Ein Bericht, den die Konsumenten lesen und der die Krise rund um dieses Nahrungsmittel verdeutlicht. Wie man in der tagtäglichen Kundenkommunikation mit diesen Fragen und Argumenten umgeht, erklärt Marketingexperte und Fleischermeister Fritz Gempel im ÖFZ-Interview.
ÖFZ: Wie beurteilen Sie als Unternehmensberater und Marketingexperte im Fleischbereich die Veröffentlichung des Fleischatlas für die Branche?
Fritz Gempel: Der Fleischatlas sammelt fleischkritische Argumente, die jedoch immer wieder in der Gesellschaft aufgeworfen werden. Und durch Verschweigen kann man die damit verbundenen Fragen nicht lösen. Daher ist für alle, die für das Fleischerhandwerk tätig sind, von großer Bedeutung, sich mit dem Fleischatlas auseinanderzusetzen. Zum Glück wird innerhalb der Branche die Gruppe, die sagt, dass sie solche Diskussionen eh nichts angeht, immer kleiner. Und das ist auch gut so, da wir nur durch eine Auseinandersetzung mit kritischen Fragen Lösungen bieten können. Die Fragen sind nämlich schon da. Wir müssen jetzt die Antworten finden.
In der Untersuchung werden Umwelt- und Tierschutzaspekte genauso aufgeworfen wie Gesundheitsthemen. Wie ist es für einen kleinen Betrieb möglich, für diese breite Palette an Fragen Gegenargumente zu finden?
Gempel: Eine Möglichkeit gilt hier für alle gleichermaßen. Überlegen Sie sich, wie die besonderen Vorteile des eigenen Betriebes und zwar in Zusammenhang mit den einzelnen Punkten, die der Fleischatlas anspricht, heißen. Nehmen wir zum Beispiel den Tierschutz. Wenn ich Fleisch verkaufe, muss ich zumindest einmal auf den Bauernhöfen gewesen sein, von denen ich die Tiere beziehe, und zumindest einmal im Schlachthof, wo diese geschlachtet werden. Ich muss mir ein Bild machen, wie es dort abläuft. Wenn ich mit dem, was ich dort sehe, nicht zufrieden bin, muss ich mir etwas überlegen. Zum Beispiel kann ich bei einem Markenprogramm mitmachen, wo sichergestellt ist, dass Tiere nach bestimmten Kriterien gehalten werden. Oder ich kann dem Bauern eine bestimmte Menge an Absatz garantieren und bekomme dafür Fleisch, das von Tieren stammt, die nach vereinbarten Bedingungen gehalten wurden.
Und wie kommuniziere ich diese Benefits dem Kunden?
Gempel: Zunächst muss ich als Chef selbst einmal über meine Vorteile wissen. Dann beginnt die Informationsarbeit. Denn auch den Mitarbeitern müssen die Pluspunkte des eigenen Betriebes erklärt werden. Es empfiehlt sich, Kunden und Angestellten gegenüber mit einfachen Formeln und Argumenten zu arbeiten.
Bekommen die Angestellten selbst durch die tägliche Arbeit die Stärken des Betriebes denn nicht von selbst mit?
Gempel: Bei den Mitarbeiterseminaren, die ich abhalte, stellt sich immer wieder heraus, dass die Beteiligten zu wenig darüber wissen. Die waren zum Beispiel auch noch nie auf dem Bauernhof, von dem das Fleisch kommt. Viele haben sogar nie gesehen, wie und womit Tiere überhaupt gefüttert werden. Sie kennen oft auch die Schlachtbedingungen nicht.
Das ist ein Problem. Denn nur mit diesen Kenntnissen können sie hinter den Produkten stehen. Sie bekämen Argumente geliefert und könnten von sich aus sagen: „Lieber Kunde, es stimmt, dass für ein Schnitzel ein Schwein geschlachtet werden muss. Aber so wie das bei uns passiert, müssen sie sich keine Gedanken um das Tier und die Qualität machen.“ Und wenn der Kunde dann zweifelnd dreinschaut, können sie nachsetzen: „Das stimmt, denn ich war schon einmal auf dem Bauernhof und im Schlachthof. Ich habe das selbst gesehen.“
Sie sprechen sich dagegen aus, unkritische Plädoyers für den Fleischkonsum abzugeben. Wie sieht Ihrer Meinung nach eine zeitgemäße Argumentation für einen Fleischkonsum heute konkret aus?
Gempel: Die Parole „Esst mehr Fleisch“ war gestern. Heute muss man sagen: „Bitte esst weniger Fleisch und dafür aber gutes. Esst welches, von dem ihr wisst, dass es euch guttut und wo die Produktion der Umwelt nicht schadet.“ Gerade in Österreich tun sie sich mit diesen Argumenten viel leichter als bei uns in Deutschland. Denn durch die kleingliedrige Struktur, die von der EU ja so kritisiert wird und bei uns kaputtgemacht worden ist, ist es viel leichter, solche Argumente zu finden und aufrechtzuerhalten. In Niedersachsen, wo es mehr Schweine als Menschen gibt, tu ich mir schon viel schwerer. Denn Handwerk, Qualität und Regionalität haben schon immer zusammengehört.
Warum fällt es dann den Fleischern so schwer, mit dem Handwerk zu punkten?
Gempel: Das ist richtig, das Handwerk macht zu wenig aus seinen Argumenten. Wir sehen, wie der Handel und die Industrie mit unseren Themen werben, und wir machen nichts daraus. Ich mache mir zum Beispiel auch keine Sorgen, wenn Aldi oder bei euch Hofer uns Fleischer auf der Billigschiene überholen. Denn der Fleischer punktet mit Qualität. Dinge wie Otto Gourmet (Anm.: ein deutscher Online-Fleischversand) machen mir Sorgen. Denn die argumentieren damit, dass sie in der Qualität die Besten sind. Da werde ich hellhörig.
Finden Sie es bedenklich, wenn eine bayerische Versicherung oder ein Konzern wie Siemens in ihrer Betriebskantine fleischfreie Tage einführen, wie im Fleischatlas angegeben?
Gempel: Nein, das finde ich überhaupt nicht bedenklich. Wenn von sieben Tagen in der Woche sechs für den Fleischkonsum übrigbleiben, ist das schon in Ordnung. Es darf allerdings nicht schick werden, kein Fleisch zu essen. Es darf bei den Reichen, Klugen und Schönen nicht Mode werden, auf Fleisch zu verzichten. Deswegen müssen wir Trends, die Fleisch als ein wertvolles Lebensmittel positionieren, aufgreifen und besetzten. Themen wie Dry Aged Beef eignen sich dafür zum Beispiel sehr gut. Denn diese Lifestyle-Produkte geben dem Kunden einen Zusatznutzen. Da kann er dann punkten damit und vor seinen Freunden angeben. Das ist heute wie ein Auto oder ein schöner Urlaub, mit dem man gesellschaftlich punktet. Und da müssen wir Fleischer aufstehen und sagen: Jawohl, das gibt es, und bei uns bekommt ihr das Beste davon!
Auch globale Themen werden in der besagten Untersuchung angesprochen – zum Beispiel die Abholzung des Regenwaldes für Sojaanbauflächen, die in Europa zur Tierfütterung gebraucht werden. Was kann der einzelne kleine KMU-Betrieb in Österreich oder Deutschland tun, um sich von dieser Globalisierungskritik abzuheben?
Gempel: Die größte Chance für kleine Betriebe ist es gerade heute, sich eine Nische zu suchen. Wenn ich alleine am freien Feld stehe, werde ich leicht umgepustet. Diese Nische kann sehr unterschiedlich sein und ist von Betrieb zu Betrieb verschieden.
Ich empfehle den Leuten immer, sich einmal zu Hause hinzusetzen und sich die zehn wichtigsten Punkte zu überlegen, die ihren Betrieb so besonders machen.
Es geht dabei um die Frage, in welchem Bereich ich denn so gut bin, dass kein anderer genau hier an mich rankommt. Das können spezielle Produkte sein, regionale Erzeugung, besonders gute Beratung oder Ernährungsthemen, weil ich keine Zusatzstoffe verwende.
Wie erkenne ich, dass ich eine geeignete Nische gefunden habe?
Gempel: So lange mein Geschäft austauschbar ist, ist es gefährlich. Wenn die Kunden meinen, dass sie ihre Produkte auch woanders mit demselben Zusatznutzen bekommen, werden sie auch leicht abwandern. Wenn es heißt: „Ach, da geh ich nicht zum Fleischer Muster, sondern in den Supermarkt bei mir bei der Arbeit“, sollten Sie sich etwas überlegen.
Welche Themen gibt es neben dem Fleischatlas noch, auf die Fleischer im Moment besonders achten müssen?
Gempel: Die Themen Ökologie und Demografie werden in Zukunft noch stärker von Bedeutung sein. Das eine bedeutet einen schonenden Umgang mit den Ressourcen im gesamten Herstellungsprozess. Was die Demografie anbelangt, spielen hier vor allem die Ein-Personen-Haushalte eine große Rolle. Für sich selbst kocht man nicht gerne alleine. Was biete ich den Leuten da an, um mit den Fertigwaren im Supermarkt mithalten zu können