Unterschlagung durch fingierte Lieferantenrechnungen, manipulierte Reiseabrechnungen, falsche Bonierungen, Zwischenrechnungen ohne QR-Code, fiktive Anmeldung von Mitarbeitern oder einfach der Griff in die Barkassa: Es gibt leider viele Möglichkeiten für Mitarbeiter in einem Betrieb zu betrügen, egal ob in Gastronomie oder Hotellerie. Und das oft über einen langen Zeitraum, ohne dass es jemandem auffällt. „Das sind oft nur kleine Beträge“, sagt Roland Beranek vom Systemhaus BMD in Wien. „Aber das summiert sich. Viele Mitarbeiter stufen das unter Kavaliersdelikte ein oder reden sich mit einer Notlage heraus.“ Dann zitiert er den alten Gastrospruch: „Ein guter Kellner betrügt dich, ein schlechter vergrault dir deine Gäste.“
Das Benford’sche Gesetz
Aber diese Zeiten sind vorbei. Die Digitalisierung macht es möglich, Unregelmäßigkeiten rasch auf die Spur zu kommen. Der Schlüssel dazu ist eine mathematische Formel, die der Physiker Frank Benford 1938 publizierte. Er hatte entdeckt, dass in vielen Zahlenbeständen, die aus natürlichen Zahlen bestehen und einen gewissen Umfang nicht unterschreiten, rund ein Drittel aller Einträge mit der Ziffer 1 beginnen, jedoch nur rund 4,5 % mit der Ziffer 9. Auch die zweite Ziffer einer Zahl unterliegt einer gewissen Häufung, die statistisch immer gleich ist. Daraus lässt sich eine Kurve ableiten, die von links nach rechts stetig abfällt (siehe Grafik). Diese statistische Wahrscheinlichkeit trifft auf die Einwohnerzahl von Städten zu, auf die Einkaufssumme im Supermarkt und eben auch auf Eingangsrechnungen in der Buchhaltung oder der Menge an gezapften und bonierten Bieren.
Strukturelle Schwachstellen
BMD beliefert mehr als jeden zweiten Steuerberater in Österreich mit der Betriebsprüfungssoftware ARS. Und die analysiert anhand des Benford’schen Gesetzes Steuerunterlagen und Abrechnungen. Das macht das Finanzamt nach Aussage von Roland Beranek auch. Er führt mir das vor: 10.824 echte Datensätze aus einem gastronomischen Betrieb werden analysiert: Heraus kommt ein Kurvenverlauf, der dem Benford’schen Gesetz entspricht. „Also ist alles okay“, sagt Beranek. Wenn die Kurve nicht so verläuft und Ausschläge bei bestimmten Ziffern hat, dann stimmt etwas nicht, dann ist irgendwo manipuliert worden.
Denn wenn man einfach 1.000 Zahlen erfindet (oder ein paar wenige), dann reihen die sich eben nicht nach Benford. Mithilfe des Analysetools von BMD kann man auch herausfinden, welche Datensätze nicht stimmen. Weil sie nachträglich verändert wurden, weil bestimmte Ziffern überdurchschnittlich häufig vorkommen, weil einzelne Werte mehrfach vorkommen. Zum Beispiel zwei Rechnungen mit der gleichen Summe, im gleichen Zeitraum, mit dem gleichen Buchungstext, aber mit einer unterschiedlichen Belegnummer. Man kann analysieren, welcher Kellner welche Produktgruppen am häufigsten verkauft. Gibt es da manchmal Abweichungen?
Mit solchen Analysen kann man vor allem auch strukturellen Schwachpunkten im Unternehmen auf die Spur kommen. Es könnte sich ja auch um ein Versehen gehandelt haben. Oder um ein technisches Problem. „Als ich unsere Software bei einem Wirtestammtisch im Mostviertel vorgestellt habe, sind die ziemlich blass geworden. Mein Ratschlag: Einfach öfter selbst prüfen. Und niemals die gleiche Person das Einbuchen und Überweisen von Rechnungen machen lassen. Das ist immer ein struktureller Schwachpunkt.“
Vertrauen und Kontrolle
Wir haben Wirte und Hoteliers gefragt, ob sie so etwas einsetzen oder einsetzen würden. Und wir möchten eine Antwort aus dem Burgenland zitieren. Bernd Karoly von der Mole West in Neusiedl am See schreibt uns: „Sicher – es gibt immer schwarze Schafe –,
aber wenn ich als Chef meine Mitarbeiter überwachen muss, dann bin entweder ich als Chef falsch am Platz oder die Mitarbeiter. Statt in eine Überwachungssoftware zu investieren, halte ich es für sinnvoller, an einer vertrauensvollen Arbeitsatmosphäre zu arbeiten. In der Gastronomie muss man sich aufeinander verlassen können, sonst funktioniert es nicht. Überwachung ist sicher keine Lösung.“