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Untätig im Anblick des Klimawandels? EU-Agrarreform kommt nicht voran

Angesichts des Klimawandels fordern Grüne und Umweltschützer in der EU-Agrarpolitik ein Umdenken. Doch die geplante Reform kommt seit Monaten nicht voran.

Die Temperaturen steigen, Wetterextreme nehmen zu, Bauern verzeichnen wegen Trockenheit Ernteausfälle. Der Klimawandel ist nicht mehr graue Theorie, sondern längst Realität. Zunehmend rückt dabei die Rolle des Agrarsektors in den Fokus. Aber wie lässt sich in Europa eine nachhaltige Landwirtschaft betreiben, die die Ernährung des Kontinents sichert, ohne das Klima übermäßig zu belasten?

Die EU-Staaten verhandeln derzeit über eine Agrarreform. Doch der derzeitige Entwurf greift aus Sicht von Kritikern zu kurz – und droht zwischen Einzelinteressen zerrieben zu werden.

Die gemeinsame EU-Landwirtschaftspolitik spielt in Europa seit jeher eine herausragende Rolle. 1962 wurde sie ins Leben gerufen, um vor allem zwei Ziele zu erfüllen: sicherzustellen, dass Bauern ein „angemessenes“ Einkommen haben, und eine sichere Nahrungsmittelversorgung in Europa zu gewährleisten. Klima- und Umweltvorgaben kamen nach und nach im Laufe der Jahre hinzu.

Etwa 58 Milliarden Euro an Fördergeldern – rund 40 Prozent des EU-Budgets – fließen derzeit jedes Jahr in den Sektor. Dies ist mit Abstand der größte Posten im EU-Haushalt. Ein Großteil geht dabei als Direktzahlungen an die Bauern, diese Summe richtet sich in erster Linie nach der Größe der bewirtschafteten Fläche. Zudem gibt es Fördergelder für die Entwicklung des ländlichen Raums.

Nun soll alles anders werden. Die EU-Kommission hatte im vergangenen Jahr umfassende Änderungen vorgeschlagen. Die Staaten sollen mehr Freiheiten bekommen, wie sie eine Reihe von vorgegebenen Zielen erreichen wollen – etwa die Erhaltung der Natur, Klimaschutz und die Sicherung der Lebensmittelqualität. Dazu sollen sie jeweils nationale Pläne erstellen, die von der EU-Kommission genehmigt werden müssten. Außerdem ist vorgesehen, die Agrarfördergelder etwas zu reduzieren.

Der Teufel steckt im Detail. Standen die Staaten den nationalen Strategieplänen anfangs noch skeptisch gegenüber, zielen sie mittlerweile eher darauf ab, für sich jeweils Flexibilität bei der Erfüllung herauszuschlagen: Wie oft und detailliert muss im Rahmen der nationalen Strategien die EU-Kommission informiert werden? Welche Kriterien werden dabei genau berücksichtigt? Die Diskussion steckt mittlerweile sehr im Detail und auf Arbeitsgruppenebene fest.

Finnland, das derzeit den Vorsitz unter den EU-Staaten innehat, nahm dies gar zum Anlass, das am Montag geplante Treffen der EU-Agrarminister abzusagen. Zu wenig Fortschritte und zu wenig Substanz, über die man sprechen könne, hieß es. Wie viel Geld für den Agrarsektor letztlich abfällt, ist zudem nicht Sache der Landwirtschaftsminister, sondern wird im Rahmen der gesamten EU-Haushaltsverhandlungen für die Zeit von 2021 bis 2027 von den Regierungen und dem Europaparlament geklärt. Wegen des erwarteten EU-Austritts Großbritanniens wird weniger Geld zur Verfügung stehen.

Aus Sicht von Kritikern ist in der Agrarpolitik allerdings ein viel radikalerer Wandel nötig. „Landwirte sind bei der Umwelt- und Klimakrise an vorderster Front“, sagt Greenpeace-Agrarexperte Sebastien Snoeck. „Nationale Regierungen und die EU müssten ihnen helfen, von der industriellen Landwirtschaft wegzukommen hin zu nachhaltigerer, ökologischer Produktion. „Dafür ist eine radikale Abkehr von der industriellen Fleischproduktion nötig.“

Die EU müsse rasch ihre Emissionen in der Landwirtschaft reduzieren und in Naturschutz investieren, fordert auch der Direktor der Klimaschutzorganisation CAN (Climate Action Network). Es brauche weitreichende Änderungen im EU-Landwirtschaftssektor.

Der Weltklimarat IPCC hatte in einem Bericht dargelegt, dass der weltweite Temperaturanstieg über den Landflächen bereits 1,53 Grad erreicht habe. Unter Berücksichtigung der sich langsamer erwärmenden Meeresflächen liege das globale Temperaturplus gegenüber der vorindustriellen Zeit bei knapp 0,87 Grad. Verglichen wurden die Zeiträume 1850 bis 1900 und 2006 bis 2015. Der Weltklimarat hatte 2018 vor den Auswirkungen gewarnt, falls die globale Temperatur insgesamt über 1,5 Grad steigen sollte. Zugleich sieht der IPCC Gefahren für die sichereLebensmittel-Versorgung wegen zunehmender Extremwetter-Ereignisse. Die Land- und Forstwirtschaft steuert laut IPCC rund 23 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgase bei.

Die Grünen fordern angesichts dessen einen neuen Vorschlag der EU-Kommission für eine umfassende Agrarreform. „Die Landwirtschaftspolitik aus den fünfziger Jahren führt in die umwelt- und klimapolitische Sackgasse“, sagt der Grünen-Europaabgeordnete Martin Häusling. „Die Europäische Kommission muss einen neuen Vorschlag für die Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik vorlegen, um das Artensterben aufzuhalten und die Landwirtschaft zur europäischen Klimaschützerin zu machen.“

Bauernverbände warnen hingegen davor, Landwirten neue Umwelt- und Klimaschutzvorgaben aufzuerlegen und gleichzeitig die Fördergelder zu reduzieren. Die Bauern laufen gegen die Kürzungen ihrer Hilfen Sturm, weil viele von ihnen zu großen Teilen abhängig von den Zahlungen sind. Eine finanziell gut ausgestattete europäische Agrarpolitik „sorgt für wirtschaftliche Stabilität der Betriebe in offenen und volatilen Märkten, unterstützt deren Wettbewerbsfähigkeit, fördert eine nachhaltigere und flächendeckende Bewirtschaftung und stärkt die Attraktivität und Vitalität ländlicher Räume“, sagte der Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), Joachim Rukwied.

Die Bauern fordern rasche Klarheit über künftige Fördergelder. Damit ist kaum zu rechnen. Die Diskussionen über den EU-Haushaltsrahmen könnten sich bis weit ins Jahr 2020 ziehen. Ob die neue EU-Kommission unter der designierten Präsidentin Ursula von der Leyen, die am 1. November ihr Amt antreten soll, die Vorschläge zur Agrarreform zumindest noch überarbeitet oder ergänzt, ist ebenfalls offen.

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