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Österreich setzt sich durch: Traditionelle Wurstherstellung gerettet

Österreich konnte in enger Zusammenarbeit mit weiteren Mitgliedsverbänden verhindern, dass die EU den Einsatz von Nitritpökelsalz verbietet. Federführend war Anka Lorencz, Bundesgeschäftführerin der Lebensmittelgewerbe und Leiterin des Koordinationsbüros Fleischwirtschaft der WKO. Im Interview erzählt sie, wie zäh die Verhandlungen wirklich abgelaufen sind.

Ende 2023 wurde die Novelle der EU-Verordnung für Lebensmittelzusatzstoffe im Bezug auf Nitrite (E 249-250) und Nitrate (E 251-252) im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Diese sieht eine Absenkung der bisherigen Höchstmengen für Nitrat und Nitrit als Zusatzstoffe auch in Fleischzubereitungen und -erzeugnissen vor. Die Verordnung setzt für die Anpassung der Höchstwerte eine Übergangsfrist bis zum 9. Oktober 2025 an.

Soweit die Fakten – im Hintergrund brodelte es jedoch seit Jahren und es ist einmal mehr dem „kleinen Österreich“ zu verdanken, dass Nitrat und Nitrit nicht gänzlich verboten wurden. Die kämpferische „Rädelsführerin“ war DI Anka Lorencz. Sie hat als Bundesgeschäftsführerin des Lebensmittelgewerbes, Vizepräsidentin des Internationalen Metzgerverbands und Vorstandsmitglied des europäischen Verbandes der Fleischwarenindustrie in den letzten drei Jahren alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die traditionelle Produktion zu erhalten.
Wir haben bei Anka Lorencz nachgefragt:

Fleisch & Co: Wie ist es überhaupt zu diesem Thema in der EU gekommen?

Anka Lorencz: „Der Ausgangspunkt war ein Vorstoß aus Dänemark und Frankreich, die den Einsatz von Nitritpökelsalz verbieten wollten. Hier geht es nicht um das Nitritpökelsalz an sich, sondern um das Endprodukt des Verarbeitungsprozesses: Das sind die Nitrosamine, die einen genotoxischen Effekt haben. Natürlich haben auch Pflanzen einen hohen Nitrosamin-Anteil, aber diesen können wir nicht beeinflussen. In der Lebensmittelproduktion weisen vor allem Fleisch- und Milchwaren einen Anteil von Nitrosaminen auf – und diesen können und müssen wir natürlich beeinflussen.“

Fleisch & Co: Das Verbot für Pökelsalz wäre einem Verbot für traditionelle Produkte gleichgekommen …

Anka Lorencz: „Das ist richtig. Unsere traditionelle Wurstproduktion basiert auf der Zugabe von Nitritpökelsatz, sowohl zur Reifung als auch zur Haltbarmachung. Eine Produktion ohne Salz würde die Lebensmittelsicherheit gefährden. Wir mussten also Kompromisse finden. Im ersten Schritt habe ich mit dem Gesundheitsministerium und der AGES eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um das ,Problem Nitritpökelsalz‘ von allen wissenschaftlichen Seiten zu beleuchten. Mit diesen Daten haben wir die EU-Kommission dazu gebracht, von einem Verbot abzusehen. Auch unsere Behörde hat da absolut tolle Unterstützung eingebracht.“

Fleisch & Co: Wie haben die anderen EU-Staaten reagiert?

Anka Lorencz: „Ich habe dank unserer guten Kontakte als Erste von dem Vorhaben der EU-Kommission erfahren und habe natürlich sofort alle anderen Mitgliedsstaaten und Schwesternverbände informiert. Die sind aus allen Wolken gefallen. Gemeinsam haben wir dann alle Hebel in Bewegung gesetzt und perfekt zusammengearbeitet.“

Fleisch & Co: Wie wurden die Werte definiert?

Anka Lorencz: „Die ersten Werte, die uns die Kommission vorgeschlagen hat, waren technologischer Wahnsinn und wären wieder einem Verbot gleichgekommen. Es gab ein Hin und Her, zähe Verhandlungen: Vorschläge wurden gemacht und abgelehnt – das ging über Jahre so. Es war für Österreich schwierig, die Balance zu wahren: sich kompromissbereit zu zeigen, aber parallel auch damit zu drohen, im Ernstfall gegen die Kommission zu stimmen.“

Fleisch & Co: Und wie kam es dann zu diesen Ergebnissen?

Anka Lorencz: „Wir haben uns parallel damit beschäftigt, die technischen Möglichkeiten für Absenkungen zu prüfen, um sicherzustellen, dass wir attraktive Angebote machen können. Dabei stand natürlich die Lebensmittelsicherheit im Vordergrund, es galt, zu ermitteln, wie weit wir die Standards senken können, ohne diese zu gefährden. Dafür waren entsprechende Tests notwendig. Der deutsche Industrieverband hat sich in diesem Prozess besonders hervorgetan. Er hat zahlreiche Untersuchungen durchgeführt und wertvolle Erkenntnisse darüber geliefert, was machbar ist und was nicht. Letztendlich ist es uns gelungen, Standards auszuverhandeln, die bei sorgfältiger Hygienepraxis und dem Einsatz angemessener Technologien in jedem Betrieb realisierbar sein sollten.“

Fleisch & Co: Gibt es auch Ausnahmen?

Anka Lorencz: „Es gibt einige traditionelle Verfahren, wie etwa das Pökelbad, bei denen man keine dosierte Zugabe ermitteln kann. Hier konnten wir – mit großer Hilfe der Italiener – erreichen, dass für diese Produkte nur Endwerte festgelegt wurden, die dann in Stichproben überprüft werden.“

Fleisch & Co: Zusätzlich wurde eine Übergangsfrist bis Oktober 2025 erreicht?

Anka Lorencz: „Wir konnten die Übergangsfrist mehr als verdoppeln. Es war uns wichtig, dass die Gewürzfirmen die Möglichkeit haben, ihre Rezepturen anzupassen. Und natürlich auch, um zu verhindern, dass bereits vorhandene Gewürzmischungen weggeworfen werden müssen. Damit konnten wir dann die Kommission überzeugen, denn der Lebensmittelabfall ist in der EU ein Argument.“

Fleisch & Co: Wir gratulieren zum Meisterstück!

Anka Lorencz: „Es war eine Teamarbeit, alle EU-Verbände und auch unsere Behörden haben Hand in Hand gearbeitet und waren ständig im direkten Austausch. Ich habe nach 30 Jahren im Beruf natürlich ein nationales und internationales Netzwerk, auf das ich zählen kann und das schlagkräftig ist. Und ich sehe es als meine Pflicht an, mit all meinen Möglichkeiten für unsere Branche zu kämpfen!“

Lebensmittelrecht: Geänderte Höchstwerte für Nitrite und Nitrate

Hier fassen wir Ihnen die wichtigsten Informationen zusammen. Alle Werte bekommen Sie im Koordinationsbüro „Fleischwirtschaft“ der Wirtschaftskammer.

Neuer Umrechnungsfaktor für Nitrit und Nitrat

Es gilt, dass im Zuge der Novelle auch eine Neuformulierung der entsprechenden Konzentrationseinheiten vorgenommen wurde: Anstatt mg/kg bzw. mg/l, werden die Nitrit-/Nitratangaben nun innerhalb der Verordnung in Ioneneinheiten ausgedrückt.
Der Umrechnungsfaktor ist
• zwischen Natriumnitrit (NaNO2) und Nitrit-Ionen ist 0,67
• zwischen Natriumnitrat (NaNO3) und Nitrat-Ionen ist 0,73.

Weiters wurden die Höchstrestmengen an Nitriten und Nitraten aus allen Quellen beim verkaufsfertigen Produkt über die gesamte Haltbarkeitsdauer festgelegt. Für einige spezielle Produkte wurden außerdem die Lebensmittelproduzenten verpflichtet, im Falle von starken Überschreitungen von Höchstrestmengen entsprechende Ursachenuntersuchungen anzustellen.

Für bestimmte Produkte wurden aufgrund der speziellen Herstellungsweise (Nass- oder Trockenpökeln) keine Grenzwerte für die Zugabe von Nitriten und Nitraten und Nitrit-Restmengen erlassen. Aus Sicht der EU-Kommission kann nicht vorab garantiert werden, wie viel Nitrit/Nitrat exakt bei dieser Herstellung in die Produkte eindringt, daher wäre ein fixer Wert nicht sinnvoll. Das bedeutet nicht, dass die Herstellungsmethoden künftig untersagt werden, es wird lediglich die exakte Zugabe- menge für Nitrite und Nitrate nicht geregelt und die entsprechenden (bisherigen) Restmengen für Nitrite entfallen für spezielle Produkte (wie z. B. Rohschinken, Zunge, usw.). Siehe dazu S. 10 der Verordnung (08.3.4.1).

Nitrite und Nitrate in Fleischerzeugnissen – EU-Verordnung

Kategorie 08.3.1 (Nicht wärmebehandelte Fleischerzeugnisse)

  • E 249-250 Nitrite:
    • 150 mg/kg für Lomo de Cerdo Adobado, Pincho Moruno, Careta de Cerdo Adobada, Kasseler, Bräte, Surfleisch, Toorvorst (Gültig ab 9. Oktober 2025).
    • 80 mg/kg für die gleichen Produkte (mit Fußnoten XC, XD).
  • E 251-252 Nitrate:
    • 150 mg/kg für große Speckteile und Trockenwürste ohne Zusatz von Nitriten.
    • 90 mg/kg (mit Fußnoten XA, XE) und 110 mg/kg (mit Fußnoten XA, XF).

Kategorie 08.3.2 (Wärmebehandelte Fleischerzeugnisse)

  • E 249-250 Nitrite:
    • 100 mg/kg für sterilisierte Fleischerzeugnisse (Fo > 300).
    • 55 mg/kg für sterilisierte Fleischerzeugnisse (mit Fußnoten XC).
    • 150 mg/kg ausgenommen sterilisierte Fleischerzeugnisse.
    • 80 mg/kg ausgenommen sterilisierte Fleischerzeugnisse (mit Fußnoten XC, XD).

Kategorie 08.3.4.1 (Traditionelle nassgepökelte Erzeugnisse)

  • E 249-250 Nitrite:
    • 30 mg/kg für traditionell gepökelte Erzeugnisse.
    • 175 mg/kg und 105 mg/kg für Wiltshire Bacon und ähnliche Produkte.
  • E 251-252 Nitrate:
    • 250 mg/kg und 150 mg/kg für Wiltshire Bacon und ähnliche Produkte.

Kategorie 08.3.4.2 (Traditionelle trockengepökelte Erzeugnisse)

  • E 249-250 Nitrite:
    • 30 mg/kg für traditionell gepökelte Erzeugnisse.
    • 175 mg/kg und 105 mg/kg für Dry Cured Bacon und ähnliche Produkte.
  • E 251-252 Nitrate:
    • 250 mg/kg und 150 mg/kg für Dry Cured Bacon und ähnliche Produkte.

Kategorie 09.2 (Fisch und Fischereiprodukte)

  • E 251-252 Nitrate:
    • 500 mg/kg für eingelegte Heringe und Sprotten.

Hier finden Sie die Verordnungen mit allen Änderungen.

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