Führende Unternehmen des europäischen Lebensmittelhandels (LEH), darunter große Internationale Marken und zahlreiche nationale Händler und Biomärkte fordern in der heute veröffentlichten „Retailers‘ Resolution: European Retailers Take a Strong Stand Against Deregulating New GMOs“, die bewährte Regulierung aller gentechnisch veränderter Organismen (GVOs) auf dem europäischen Markt beizubehalten. Dies gelte für Produkte der „Alten Gentechnik“ (primär Soja, Mais, Raps) genauso wie für solche, die mit Verfahren der „Neuen Gentechnik“ wie z.B. CRISPR/Cas oder Talen hergestellt werden.
„Als Vertreter führender europäischer Einzelhändler bestehen wir darauf, dass die aktuell gültige EU-Gentechnikgesetzgebung – mit Vorsorgeprinzip, Risikobewertung und klaren Anforderungen an Transparenz als wesentlichen Eckpfeilern – auch weiterhin für neue GVOs angewendet wird. Neue GVOs müssen genauso reguliert bleiben wie alte GVOs“, so eine der Kernforderungen der Resolution, die sich damit auch auf das entsprechende Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 25. Juli 2018 bezieht.
Druck durch Lobby?
Die Lebensmittelhändler geben damit ihrer großen Besorgnis Ausdruck, dass die EU-Kommission dem jahrelangen massiven Druck der Biotech- und Saatgut-Lobby nachgeben und umgehend eine Deregulierung für einige oder alle Verfahren der Neuen Gentechnik einleiten könnte. Die von der EU-Kommission am 29. April 2021 vorgelegte Veröffentlichung zur Stakeholder-Befragung weckt die Sorge, dass die bestehende Gesetzgebung aufgeweicht werden könnte und dadurch Produkte der Neuen Gentechnik ungetestet und unsichtbar in den europäischen Markt gelangen können.
Österreich: Gesamter LEH und führender Großhandel gegen Deregulierung
Besonders deutlich wird eine Aufweichung der bislang strengen, für Transparenz und klar geregelte Koexistenz von Gentechnik-freien und mit Gentechnik kontaminierten Produkten auf dem europäischen Markt sorgenden EU-Gentechnikgesetzgebung in Österreich abgelehnt: Mit denn’s, Hofer, Lidl Österreich, MPreis, Rewe (mit Billa & Penny), Spar, Top Team Zentraleinkauf und Unimarkt sowie mit den Großhändlern Metro und Transgourmet setzt sich der komplette österreichische Lebensmittelhandel für die Beibehaltung der EU-Gentechnikgesetze und für die Einbindung der Neuen Gentechnik in die Regulierung ein; als essenzielle Rahmenbedingung für die langfristige Absicherung der Gentechnik-freien bzw. der Bio-Produktion. Nicht verwunderlich: Ist doch der Anteil Gentechnik-freier bzw. Bio-Produkte am österreichischen Lebensmittelmarkt so hoch wie in keinem anderen EU-Mitgliedsstaat.
Europaweit boomende „Ohne Gentechnik“-Produktion und Bio-Produkte in Gefahr
„Neue GVOs müssen auf die gleiche Weise reguliert werden wie alte GVOs. Jedes andere Ergebnis der aktuell laufenden politischen und wissenschaftlichen Diskussionen würde unser Geschäft sowie das Geschäft zahlreicher Landwirte und Saatgut-, Futtermittel- bzw. Lebensmittelhersteller stark beeinträchtigen, auch im sehr erfolgreichen Bio-Sektor“, heißt es dazu in der Retailers‘ Resolution.
Deregulierung würde Transparenz und Rückverfolgbarkeit unmöglich machen
Bei einer Deregulierung würden Produkte aus den Verfahren der Neuen Gentechnik ohne Risikobewertung, ungeprüft und ohne Kennzeichnung auf den Markt kommen – mit hoch-problematischen Folgen für die derzeit europaweit expandierende „Ohne Gentechnik“- und Bio-Wirtschaft. Das von Konsument*innen seit vielen Jahren als besonders glaubwürdig und verlässlich eingestufte Qualitätszeichen „Ohne Gentechnik hergestellt“ muss halten können, was es verspricht, und daher alte GVOs ebenso wie neue zuverlässig ausschließen. Dies ist nur mit verbindlichen Zulassungsverfahren und einer Kennzeichnung entlang der gesamten Wertschöpfungskette möglich.
Green Deal und Deregulierung Neuer Gentechnik sind unvereinbar
Auch der Bio-Sektor wäre von einer Deregulierung der Neuen Gentechnik massiv betroffen: In der EU-Bioverordnung ist das Verbot für jeglichen Einsatz der Gentechnik explizit verankert – als wichtiges Verkaufsargument für Bio-Produkte. Damit wäre nicht nur der europäische Bio-Sektor in Gefahr: Auch die im ambitionierten Green Deal der EU-Kommission angestrebte europaweite Ausweitung des Biolandbaus auf 25 Prozent bis 2030 stünde auf dem Spiel. Generell sei eine Deregulierung von Gentechnik mit dem Green Deal und mit der Stärkung des EU-Lebensmittelsystems in Richtung Resilienz und Nachhaltigkeit unvereinbar, so die Lebensmittelhändler.
Aus Verantwortung gegenüber Konsumentinnen und Konsumenten
Das Risiko, ungeprüfte und nicht gekennzeichnete GVOs aus den Verfahren der Neuen Gentechnik ungewollt und unwissentlich zu verkaufen, sei für die LEH-Unternehmen inakzeptabel: „Als Einzelhändler sind wir voll verantwortlich und haftbar für die Sicherheit aller Produkte, die wir verkaufen“, so die Retailers‘ Resolution. „Volle Transparenz und Wahlfreiheit für unsere Kunden ist einer unserer wichtigsten Werte.“ Und die Kunden haben eindeutige Wünsche: „Als Einzelhändler müssen wir höchste Sensibilität in Bezug auf soziale, verhaltens- und produktbezogene Einstellungen unserer Kund*innen an den Tag legen: Europaweit belegen Studien, dass eine erhebliche Mehrheit der Konsument*innen keinerlei Bedarf an GVO in ihren Lebensmitteln hat.“
Rückverfolgbarkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette etabliere sich in sämtlichen Produktionsbereichen als zentrale Messlatte für Qualität und Transparenz. Die EU-Kommission müsse alles daransetzen, dass dies insbesondere bei einem gesellschafts-politisch hochsensiblen Thema wie Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmitteln auch langfristig gewährleistet werden könne.
Das sagt Österreich: Zitate
(Stand: 25. Mai 2021)
Mag. Markus Kaser, Vorstand SPAR Österreich
„Die vorbildliche Landwirtschaft in Österreich produziert seit Generationen hochwertige Lebensmittel ohne Gentechnik. Das ist ein Qualitätsmerkmal heimischer Lebensmittel, um das wir weltweit beneidet werden. Deshalb brauchen wir auch weiterhin keine gentechnisch- veränderten Lebensmittel, weder in der bisherigen noch in einer neuen Form. Jeglicher Einsatz dieser neuen Methoden in Landwirtschaft oder Lebensmittelproduktion muss denselben Maßnahmen für Vorsorge und Transparenz unterzogen werden, wie die bisherigen Methoden der Gentechnik. Eine Deregulierung der Gentechnikgesetzgebung wäre definitiv der falsche Weg. Ganz im Gegenteil: Die österreichische bzw. die europäische Politik müssen die regulatorischen Weichen so stellen, dass die hohen österreichischen Lebensmittelstandards geschützt werden. Also: Vorsorgeprinzip, Rückverfolgbarkeit, Kennzeichnung und Entwicklung von Nachweismethoden.“
Marcel Haraszti, Vorstand REWE International AG
„Jeder Fortschritt bringt Chancen aber auch Risiken mit sich und bedeutet, sich seiner Verantwortung bewusst zu sein. Gentechnik bei Lebensmitteln ist ein höchst sensibles Thema und unsere Kundinnen und Kunden verlassen sich darauf, umfassend über Herkunft und Produktionsweise informiert zu werden. Nur Transparenz und Klarheit können hier Vertrauen schaffen. Dabei ist uns als REWE International AG wichtig, dass neue Technologien hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft größtmögliche Sicherheit bieten.”
Horst Leitner, CEO HOFER S/E
„Hofer ist einer der bekanntesten Lebensmittelhändler in Österreich. Wir sehen es als unsere Verpflichtung, unseren Kundinnen und Kunden Lebensmittel von höchster Qualität anzubieten, deren Herkunft zu 100% rückverfolgbar und nachvollziehbar ist. Wir stimmen daher uneingeschränkt zu, die bestehende EU GVO auch bei neuen Verordnungen anzuwenden. Denn auch für HOFER zählen Transparenz und Produktsicherheit zu den Kernelemente der Unternehmensphilosophie.”
Alessandro Wolf, Vorsitzender der Geschäftsleitung Lidl Österreich
„Transparenz ist den Konsumenten gerade bei Lebensmitteln sehr wichtig. Dabei sind vertrauenswürdige Siegel eine gute Unterstützung. Unsere Kundinnen und Kunden sollen sich daher wie bisher auf das „Ohne Gentechnik“ Siegel verlassen und wählen können. Wo „Ohne Gentechnik“ draufsteht, da soll auch keine Gentechnik drinnen sein dürfen.”
Andreas Haider, Eigentümer und Geschäftsführer Unimarkt Gruppe
„Als regionaler Lebensmittelhändler legen wir großen Wert auf eine nachhaltige Produktion der Lebensmittel, Qualität und Transparenz. Unsere Kunden haben das Recht zu wissen, woher die Lebensmittel kommen, die sie kaufen und essen. Wir setzen uns daher ein für eine transparente Kommunikation entlang der Wertschöpfungskette, überhaupt bei so sensiblen Themen, wie gentechnisch veränderte Lebensmittel – jetzt und auch in Zukunft!”
Heike Moldenhauer, Generalsekretärin European Non-GMO Industry Association (ENGA)
Die EU-Kommission erwägt allen Ernstes für 95 Prozent aller mit neuer Gentechnik erzeugten GVO die aktuell vorgeschriebene umfassende Risikobewertung und Kennzeichnung als gentechnisch veränderte Produkte zu schleifen. Damit untergräbt die Kommission das Vorsorgeprinzip und die Wahlfreiheit, zwei Grundprinzipien der Europäischen Union. Und sie setzt aufs Spiel, was nach geltender Rechtslage eine Selbstverständlichkeit ist: Gentechnik- freie Produktion und Ernährung. Wir fordern daher die EU-Kommission auf, von ihrem Kurs der Deregulierung abzurücken und bei den Verfahren der neuen Gentechnik auch weiterhin Zulassungsverfahren, Rückverfolgbarkeit, Kennzeichnung und damit Transparenz für Konsument*innen und Lebensmittelwirtschaft zu garantieren.