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Der Blutwurstritter

Eine Berliner Institution in Sachen Fleischereihandwerkskunst ist der Betrieb von Marcus Benser in Rixdorf, einem geschichtsträchtiges Viertel von Neukölln.

Text: Gerd W. Sievers

Wann wird man in puncto Fleischereien sicher etwas wehmütig werden, denn es gibt mittlerweile sehr wenige von ihnen – viel zu wenige, um genau zu sein. Aber einige wenige sind verblieben und diese bieten dann zuweilen wirklich bemerkenswert Gutes. Einer der bekanntesten Protagonisten und so etwas wie eine Berliner Institution in Sachen Fleischereihandwerkskunst ist der Betrieb von Marcus Benser in Rixdorf, einem geschichtsträchtiges Viertel von Neukölln. Es ist keineswegs ein Zufall, dass der im späten 19. Jahrhundert gegründete Fleischerei-Betrieb gerade hier angesiedelt ist; handelt es sich bei Rixdorf doch einerseits um das alte „Böhmisch Rixdorf“ (und das Böhmerland war seit je her eine Hochburg der Wurstproduktion), andererseits um ein traditionelles Arbeiterviertel (und in diesen waren vor allem deftige Wurstwaren wie Blut- und Leberwürste, Sulzen & Co sehr beliebt). Heute ist Rixdorf – wie das gesamte Neukölln – ein wahrer Schmelztiegel der Kulturen und von der einst hier vorherrschenden Böhmisch-Jüdischen-Kultur ist nicht viel geblieben: nur der Böhmische Friedhof und die visà vis von diesem Friedhof liegende Fleischerei erinnern augenscheinlich daran.


Fleischermeisterdynastie
Es ist keineswegs übertrieben, Marcus Benser zu den besten Metzgern Deutschlands zu zählen – und das nicht nur wegen seiner geadelten Blutwurst, die weit über Berlins Stadtgrenzen hinaus bekannt ist.
Eigentlich stammt Marcus Benser aus Thüringen, wo er einer traditionsreichen Fleischermeisterdynastie entstammt: schon Vater, Großvater und Urgroßvater waren berühmte Metzger. Nach der Meisterprüfung übernahm Marcus Benser dann den heutigen Betrieb am Karl-Marx-Platz mitten in Neukölln; besagter Standort war von Anbeginn an speziell für die Anforderungen einer Fleischerei gebaut worden – und das bereits vor mehr als hundert Jahren. Marcus Benser musste den Betrieb also nur mehr für die Anforderungen der Neuzeit adaptieren.

Hier produziert Benser nun fernab von Industrieware mehr als 60 Wurstwaren nach altem, traditionellem Handwerk und mit ganz persönlicher Geschmacksnote – ganz so, wie man eben früher Wurst produziert hat. Weit über Berlins Grenzen hinaus bekannt ist er für seine Blutwurst.

In der Umgebung liebt man aber auch seine edlen Buletten – er nimmt hierfür 70% Fleisch (Schweineschulter, Rinderschulter und Rinderkamm), dazu eine Grobeinlage aus Schweinekamm und Schweinebauch, frische Zwiebeln, etwas Wasser, fein geriebene Schrippen (eine Semmelsorte), Salz und Naturgewürze wie Pfeffer, Macis und Kümmel.

Eine weitere Spezialität des Hauses sind die unglaublich guten Spanferkel. Allerdings gefallen gerade diese knusprig-zarten Ferkel nicht jedem Neuköllner Bürger, denn in diesem Stadtteil ist der Anteil von Menschen, die kein Schweinefleisch essen besonders groß. „Früher gab es deswegen nicht selten Konflikte“, weiß Benser zu berichten, „doch heute hat sich das gewandelt. Nahezu vorbei sind die Zeiten, als Nicht-Schweinefleischesser nicht nur nicht wussten, wie wunderbar Schweinefleisch mundet, sondern offenbar auch noch nie etwas von Toleranz gehört haben. Heute lebt man friedlich miteinander – ja mehr noch, man arbeitet zusammen. Weil wir in unseren Spanferkelöfen auch problemlos Lämmer braten können, kommen auch die Moslems zu uns: sie bestellen für ihre Familienfeste nicht selten 20 Lämmer und mehr bei uns, die wir dann ausliefern.“ Dieser Umstand ist sicher nicht zuletzt ein Verdienst des streitbaren Ex-Bürgermeisters Heinz Buschkowsky, der sich Zeit seines Amtes für Toleranz und friedliches Zusammenleben der Kulturen eingesetzt hatte.

Berliner Blutwurst

„Etwa die Hälfte unserer Kunden stammt aus Neukölln, der Rest kommt aus der gesamten Stadt und nimmt zum Teil weite Wege auf sich. Und mittlerweile floriert auch das Online-Geschäft, insbesondere, was unsere beliebte Blutwurst betrifft – die liefern wir mittlerweile bis nach München“, freut sich Benser über den Erfolg seines Fabrikates. In der Tat sind Liebhaber der Blutwurst an dieser Adresse genau richtig, denn die Blutwurst von Marcus Benser gehört unbestritten zu den besten der Welt. Beim jährlichen Blutwurst-Wettbewerb in Martagne-au-Perche, der als die (inoffizielle) Blutwurst-Weltmeisterschaft gilt, hat Marcus Benser mit seiner „Berliner Blutwurst“ (eine Blutwurst aus der Kategorie der klassischen „schwarzen Blutwürste“ (frz. Boudin noir) einfach einmal mitgemacht und unter immerhin 600 Mitbewerbern den ersten Preis gemacht. Da ihm das Kunststück danach noch zweimal gelungen ist, wurde er 2004 von der „Confrérie des Chevaliers du Goûte Boudin“ (Bruderschaft der Blutwurst-Ritter) für seine herausragenden Leistungen zum „Ritter der Blutwurst“ geschlagen – eine Ehre, die unter anderem auch Paul Bocuse zu Teil wurde.

Das Rezept für diese Wunder-Blutwurst stammt aber nicht von ihm, wie er ehrlich zugibt, sondern noch aus den 1930er Jahren von seinem Großvater (der übrigens ein umfassendes Buch über die traditionelle Wurstküche hinterlassen hat). Marcus Benser macht kein großes Geheimnis daraus, was in die Wurst hineinkommt: frisches Schweineblut, frischer Schweinespeck, Zwiebeln, trockene Schrippen und gekochte Schwarten für den Biss, dann brasilianischer Pfeffer, Nelken aus Sansibar, Piment aus der Karibik und echter Thüringer Majoran – ohne dem Thüringer Majoran geht nichts, weil er den höchsten Anteil an ätherischen Ölen hat, ist er unverzichtbar. Eine echte conditio sine qua non ist auch die traditionelle Handwerkskunst, denn ohne dieser lässt sich die Blutwurst-Delikatesse unmöglich produzieren.


Standardisiertes Rezept

Und das obwohl er das Rezept mittlerweile fast „standardisiert“ hat – aus gutem Grund: Bensers Blutwurst ist so gerfertigt, dass sie sich gut grillen und braten lässt und das gelingt nur mit einer speziellen ausgewogenen Textur. Und damit die Mitarbeiter keine Fehler machen, wurde das Rezept so ausgearbeitet, dass die abgewogenen Zutaten von den Mitarbeitern nur noch vermischt werden müssen. Geheim bleibt dabei die Gewürzmischung, die außer ihm nur eine kleine Gewürzmühle kennt, wo er sich die Mischung frisch mahlen und zusammenstellen lässt „Es ist wie ein kleines Ritual, alle 4 bis 6 Wochen fahre ich zu der Mühle und lasse mir die Mischung für meine Blutwurst mahlen – die einzelnen Zutaten sind nicht geheim, die genaue Gewichtung aber sehr wohl.“, schmunzelt Benser.

Man muss übrigens nicht unbedingt zu Marcus Benser fahren, um die Blutwurst zu erwerben – rund um den Gendarmenmarkt ist sie omnipräsent. Im Restaurant „Meisterstück“ wird sie klassisch mit Sauerkraut aufgetischt, Sternekoch Kolja Kleeberg bezieht speziell für ihn fabrizierte Mini-Blutwürste und serviert sie im „Vau“ mit Steinpilzen und Äpfeln. Der wahre Fan isst die Blutwurst am liebsten kalt zu einem kühlen Blonden oder auch in dicke Scheiben geschnitten und gebraten mit reichlich knusprigen Zwiebelringen und Kartoffelpüree.

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