Was steigende Lebensmittelpreise wirklich bedeuten

Was steigende Lebensmittelpreise wirklich bedeuten
Jeder spürt es, jeder weiß es, und alle Fakten belegen es. Die Inflation hat Österreich fest im Griff. Die aktuellen Zahlen: Die Preise in Restaurants und Hotels stiegen im August durchschnittlich um 6,1 Prozent, bei Nahrungsmitteln und alkoholfreien Getränken betrug die Inflation 5,2 Prozent (Vergleich: August 2024; Quelle: Statistik Austria).
Dass die Inflation in Österreich im Vergleich etwa zu Deutschland besonders bei Nahrungsmitteln knallhart durchschlägt, wird in Medien und in der Bevölkerung seit Monaten leidenschaftlich diskutiert. Von „Abzocke“ der Lebensmittelkonzerne ist die Rede. Nicht zuletzt wollen sich Bundeskanzler Stocker sowie Finanzminister Marterbauer des Themas annehmen. Die Ursachen und Lösungen freilich seien vielfältig, wie bei der Diskussionsveranstaltung der Nachhaltigkeitsplattform Gaumen Hoch in der Labstelle ausgiebig erörtert wurde, und könnten nur gemeinsam bewältigt werden.
Apropos Politik. Sie nimmt Barbara Holzer-Rappoldt von Enkeltaugliches Österreich hier in die Pflicht: „Die öffentliche Beschaffung ist ein riesengroßer Abnehmer von Lebensmitteln. Wir reden hier von 1,5 Milliarden Euro jährlich. Lebensmitteleinkäufe, die wir mit unserem Steuergeld tätigen: in der öffentlichen Beschaffung, das heißt für Krankenhäuser, Kasernen, Schulen, Pflegeheime und Justizanstalten. Laut dem ambitionierten Aktionsplan Nachhaltige Beschaffung soll hier bis 2030 55 Prozent Bio eingekauft werden. Wir stehen momnetan bei 4 Prozent.”
Warum Lebensmittel in Österreich teurer sind als in Deutschland
Bei einer Veranstaltung der Nachhaltigkeitsplattform Gaumen Hoch wurde den Gründen und Ursachen für die Teuerung nachgespürt. Erstens beträgt die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel in Österreich zehn Prozent, in Deutschland hingegen nur sieben Prozent. Zweitens gilt Österreich als Land der Rabatte. Die Zahlen: 30 bis 40 Prozent machen Rabattierungen aus. Bei unseren Nachbarn sind es rund 20 Prozent. Wer mehr kauft, zahlt weniger. Der deutsche Markt ist zehnmal so groß wie der heimische.
Nicht zuletzt treibt der Bioanteil die Preise: Laut Experten liegt dieser in Österreich insgesamt bei 27 Prozent, ist also in Europa „Weltmeister“. Doch: Bio ist (kurzfristig!) teurer. In Deutschland liegt der Bioanteil bei zehn Prozent. Schließlich spielen höhere Lager- sowie Logistikkosten in die Inflation und den Vergleich hinein. Und: Herr und Frau Österreicher sind qualitätsbewusster. Die Discounter-Mentalität sei hier weniger ausgeprägt, weist das Dossier des Handelsverbandes aus. Die Bereitschaft der Österreicher, mehr für das gleiche Produkt zu zahlen, spielt auch eine Rolle. Echte, längerfristige und nachhaltige Lösungen machten die Diskutantinnen unter der Moderation von Gaumen-Hoch-Gründerin Alexandra Seyer-Gmeinbauer an Kostenwahrheit, Bio-Shift, sozialer Gerechtigkeit und last, but not least am Konsumverhalten der Konsumenten fest.
Billig essen, teuer bezahlen?
33 Prozent der österreichischen Bevölkerung kennen zwar den Begriff der Kostenwahrheit, doch ist die Industrie, sei es Nahrung-, Fashion- oder sonstige Konsum- und Gebrauchsgüter, von einer echten Preisgestaltung (Stichwort: Transparenz) noch weit entfernt. Fast Fashion gilt hier als Extrembeispiel, das Mensch und Umwelt nachhaltig schädigt. Auch beim Fleisch zeigt sich das Problem deutlich: Während in Österreich strenge Tierwohl– und Nachhaltigkeitskriterien gelten, gelangt weiterhin Billigleisch aus Ländern ohne vergleichbare Standards in die Regale – hier braucht es ein Umdenken und mehr Wertschätzung für das Lebensmittel selbst.
Billig kommt uns allen also in Wahrheit teuer zu stehen, doch: „Bei den Konsumenten kommt genau das Gegenteil an: nämlich, dass Bio-Produkte teuer sind und konventionell produzierte Produkte billig. Weil ein Teil der Kosten nicht bei den Nutzern ankommt. Die Kosten tragen zukünftige Generationen“, so Sigrid Stagl, Ökonomin und Wissenschafterin des Jahres 2024.
In dieselbe Kerbe schlägt auch Barbara Holzer-Rappoldt: „Wir können uns den billigen Einkauf nicht mehr leisten, denn die Folgekosten übersteigen den Mehrpreis für Bio um ein Vielfaches“, so die strategische Leiterin von Enkeltaugliches Österreich. Das oft gebrachte Argument, dass Bio nur im Kleinen und in Europa möglich sei, lässt Elisabeth Zoubek vom Biohof Adamah nicht gelten: „Bio kann die Welt durchaus ernähren, wir müssen weniger Fleisch essen und weniger Lebensmittel in den Müll werfen.“ Auch sei frisches, nachhaltig produziertes Essen kein Privileg der Eliten und Besserverdiener.
Soziale Gerechtigkeit
„Die ärmsten Haushalte in Österreich müssen laut einer Studie des Gesundheitsministeriums im schlimmsten Fall abwägen, ob sie ihr Geld für die Miete, für die Heizung oder für das Essen ausgeben“, meinte Marianne Penker. Um diese vulnerable Gruppe zu stützen, bräuchten wir laut Stagl „Systeme, die das Wirtschaften mit der Natur, also das systemisch effiziente Wirtschaften, zum Massenphänomen werden lassen“. Nachhaltiges Wirtschaften dürfe nicht nur punktuell oder in einzelnen Pilotprojekten erfolgen, sondern muss als umfassendes, ganzheitliches System etabliert werden, das langfristig Ressourcen schont, Umweltschäden minimiert und soziale Gerechtigkeit fördert.
„Jeder Kassenzettel ist ein Stimmzettel!“ so Marianne Penker Professorin für Landsoziologie und Ländliche Entwicklung an der Boku
Gemeinsam ist besser als einsam – und der Konsument bestimmt
Die Diskussion machte klar, die Herausforderung steigender Lebensmittelpreise sind nur gemeinsam zu meistern. Politik, Produzenten, Händler und Verbraucher, alle sind gefragt, neue Wege zu gehen. Bio und Kostenwahrheit sind dabei kein Luxus, sondern ein wichtiger Pfeiler für ökologische und soziale Nachhaltigkeit, meint Marianne Penker abschließend. „Das Problem der Ernährungsarmut, der ernährungsbedingten Gesundheit, kann man weder über den Markt noch durch verantwortungsvolles Kundenverhalten allein lösen, doch: „Jeder Kassenzettel ist ein Stimmzettel“, betont die Boku-Professorin die Macht der Konsumenten.
Nachhaltige Lebensmittelbeschaffung des Bundes
Lebensmittelpreise & Preisvergleiche
Autor: Marko Locatin