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Landwirtschaft & Umwelt

EU-Parlament: Pestizidverordnung gescheitert – Kniefall vor Agrarchemie-Konzernen

Die EU-Abgeordneten haben heute (22.11.2023) die Verordnung über den nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln abgelehnt. Eine Allianz aus Konservativen, Rechten und Liberalen blockierte den Kompromiss und verhinderte eine Rückverweisung. Der Schutz vor Umweltgiften wurde geopfert, was die Interessen von Agrar- und Chemiekonzernen begünstigt. Die Entscheidung geht zu Lasten der Umwelt und der Gesundheit.

Die Mehrheit der EU-Abgeordneten hat heute gegen die Verordnung über den nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (SUR) gestimmt. Eine Koalition aus Konservativen, Rechten und Liberalen hatte zuvor den eigentlich tragfähigen Kompromiss durchlöchert und schlussendlich sogar die Rückverweisung an den Ausschuss verhindert. Damit kann im EU-Parlament auch nicht weiter an einem mehrheitsfähigen Text gearbeitet werden.

SPÖ kritisiert Zusammenarbeit zugunsten von Agrar- und Chemiekonzernen

SPÖ-EU-Abgeordneter Günther Sidl, Mitglied im Umweltausschuss, sagt: „Die Europäische Volkspartei hat heute mit Schützenhilfe von rechter und liberaler Seite einen pragmatischen Kompromiss zur dringend notwendigen Begrenzung von Umweltgiften zu Fall gebracht. Das ist ein Kniefall vor den Interessen der großen Agrar- und Chemiekonzerne und lässt tief blicken, für wen die EVP eigentlich Politik macht. Dass auch die Rückverweisung an den Ausschuss und damit die weitere Arbeit an einem Kompromisstext verhindert wurde, wiegt besonders schwer. Das ist quasi Arbeitsverweigerung und einfach unverantwortlich. Schlimm, wofür sich manche Abgeordnete hier instrumentalisieren lassen.“

Sidl weiter: „Der ungehemmte Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft ist einer der Hauptgründe für das Artensterben und bedroht die menschliche Gesundheit; aber dank des sich immer weiter radikalisierenden Populismus der Konservativen kann es damit jetzt ungebremst weiter gehen. In so mancher Vorstandsetage werden sich einige heute die Hände reiben. Für die Umwelt, die Landwirtschaft und die Menschen in der EU ist heute ein schwarzer Tag. Profite zählen aktuell mehr als der Schutz unserer Gesundheit und Lebensgrundlagen.“

NGOs fechten Wiederzulassung von Glyphosat vor EU-Gericht an

Das Pestizid-Aktions-Netzwerk PAN Europe, GLOBAL 2000 und weitere PAN Europe-Mitgliedsorganisationen werden die Zulassung von Glyphosat vor dem EU-Gericht anfechten.

“Die Wiederzulassung steht im direkten Widerspruch zu den Erkenntnissen zahlreicher unabhängiger Wissenschaftler:innen, die die Auswirkungen von Glyphosat erforscht haben. Sie widerspricht dem Willen der großen Mehrheit der Europäer:innen und ignoriert die dringende Notwendigkeit und das politische Engagement, den Pestizideinsatz zu reduzieren. Vor allem aber verstößt sie gegen die EU-Pestizidverordnung, die dem Schutz der Gesundheit und der biologischen Vielfalt Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einräumt. Unser Einspruch gegen die Zulassung von Glyphosat stützt sich auf zwingende rechtliche und wissenschaftliche Kriterien”, erklären die internationalen Organisationen.

Direkt nach der Abstimmung im Berufungsausschuss der EU-Mitgliedstaaten hat die EU-Kommission im Alleingang angekündigt, Glyphosat für weitere 10 Jahre zuzulassen. Bei der Abstimmung war es der Kommission nicht gelungen, eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten für eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung zu gewinnen.

Österreich, Kroatien und Luxemburg gegen Zulassung

Gegen die Wiederzulassung stimmten Österreich, Kroatien und Luxemburg. Große Länder wie Frankreich, Deutschland und beim Berufungsausschuss auch Italien enthielten sich der Stimme, ebenso wie Belgien, Bulgarien, Malta und die Niederlande. Für die Verlängerung stimmten Länder, die tatsächlich lediglich 42 % der EU-Bürger:innen repräsentieren.

“Mit der erneuten Zulassung von Glyphosat zeigt die Europäische Kommission, dass sie auf der Seite der Agrarindustrie steht. Die Wissenschaft ist sich über die Gefahren dieses Pestizidwirkstoffs im Klaren: Glyphosat muss verboten werden, wie es das EU-Recht verlangt. Jüngste Urteile des Europäischen Gerichtshofs bestätigen, dass die menschliche Gesundheit und die Umwelt Vorrang haben müssen und das Vorsorgeprinzip die Grundlage der Pestizidgesetzgebung ist. Die Europäische Kommission hat genau das Gegenteil getan”, kritisiert Martin Dermine von PAN Europe.

“Jahrzehntelang konnten nur die Hersteller Einspruch gegen Zulassungsentscheidungen vor Gericht erheben. Sie haben dieses Recht oft ausgenutzt, um für sie ungünstige Entscheidungen anzufechten. Durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2021 haben nun aber auch Umwelt-NGOs und Bürger:innen die Möglichkeit, ihre Umweltrechte vor dem Gerichtshof der EU geltend zu machen. Der aktuelle Fall bietet die Gelegenheit zu beweisen, dass die Wiederzulassung von Glyphosat nicht mit der EU-Pestizidverordnung in Einklang steht”, fügt Helmut Burtscher-Schaden, GLOBAL 2000 Biochemiker hinzu.

Glyphosat-Wiederzulassung trotz Bedenken: NGOs kündigen Klage an

“Auf den ersten Blick scheint die Bewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gründlich zu sein, da sie zahlreiche Studien umfasst. Von den 1.628 von Expert:innen begutachteten Glyphosat-Studien der letzten zehn Jahre – von denen viele negative Auswirkungen auf die Gesundheit oder die Umwelt aufzeigen – wurden jedoch nur 30 (1,8 %) als relevant und zuverlässig für die Bewertung der Behörde angesehen”, kritisiert Pauline Cervan, Toxikologin bei Générations Futures (Frankreich). Vor dem Hintergrund der Ablehnung unabhängiger Studien haben kürzlich 300 Wissenschaftler:innen aus Belgien und den Niederlanden, darunter mehr als 100 Universitätsprofessor:innen, ihre Regierungen aufgefordert, die Zulassung von Glyphosat abzulehnen.

Probleme mit der Einhaltung von Daten und Bewertungen

Peter Clausing, Toxikologe bei PAN Germany, weist auf die Vernachlässigung der eigenen Richtlinien und Vorgaben durch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) bei der Bewertung von Glyphosat als krebserregend hin: “Nicht nur, dass die ECHA eindeutige Beweise für krebserregende Wirkungen aufgrund von Verstößen gegen geltende Richtlinien und Anforderungen unter den Tisch kehrte, sie tat auch neue, überzeugende wissenschaftliche Erkenntnisse, wie z.B. die Auswirkungen auf das Mikrobiom, von der EFSA mit der Begründung ab, dass international vereinbarte Leitlinien für die Risikobewertung fehlten.”

Margriet Mantingh, Präsidentin von PAN Netherlands, sagte: “Dieses Gerichtsverfahren ist von entscheidender Bedeutung, weil das Versäumnis im Zulassungsprozess wichtige Gesundheitsfragen angemessen zu behandeln, den Menschen direkt schaden könnte. Zahlreiche epidemiologische Studien deuten auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs, Totgeburten, Missbildungen, Autismus-Spektrum-Störungen, Parkinson und andere Krankheiten hin.”

Einsatz von Glyphosat kann verheerende Auswirkungen auf die Umwelt haben

Angeliki Lysimachou, Leiterin der Abteilung Wissenschaft und Politik bei PAN Europe, betont: “Der weit verbreitete Einsatz von Glyphosat kann verheerende Auswirkungen auf die Umwelt haben: Glyphosat kann aquatische und terrestrische Arten schädigen, Ökosysteme und die biologische Vielfalt bedrohen und seine Rückstände sowie sein Abbauprodukt AMPA verseuchen Wasserquellen in ganz Europa. Doch trotz Hunderter neuerer wissenschaftlicher Studien, die auf Umweltschäden hinweisen, haben die EU-Behörden diese Hinweise offenbar nicht berücksichtigt und fälschlicherweise den Schluss gezogen, dass Glyphosat sicher sei.”

SPAR ist entsetzt über die Information der Zulassung des Umweltgiftes „Glyphosat“.

Die Entscheidung der EU-Kommission, Glyphosat auf weitere 10 Jahre zuzulassen ist aus unserer Sicht inhaltlich skandalös und inakzeptabel.

Mag. Markus Kaser, SPAR-Vorstand: „Die Entscheidung der EU-Kommission, Glyphosat auf weitere 10 Jahre zuzulassen ist aus unserer Sicht inhaltlich skandalös und inakzeptabel.“ Glyphosat steht im Verdacht krebserregend zu sein. SPAR setzt sich seit 2017 massiv für ein Verbot des Pestizids ein und hat alle Lieferanten von SPAR-Eigenmarken im In- und Ausland ersucht, auf Glyphosat zu verzichten.

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