Robert Weishuber kommt gerade vom Kroatien-Urlaub zurück, als Fleisch & Co ihn in der Wiener Kettenbrückengasse trifft. Doch selbst in den Ferien ging es um Feldforschung zur Akzeptanz von „XO Beef“. Beim Grillen unter südlicher Sonne fanden „von zehn Leuten vielleicht drei den Geschmack richtig geil“, hielt Weishuber aufmerksam fest. Er hatte bewusst das 100 Tage lang abgehangene Fleisch seiner alten Milchkühe mitgenommen: „Denn diesen Geschmack muss man als Konsument mögen.“ Nicht zuletzt aufgrund Erfahrungen wie dieser ist Robert Weishuber ebenso wie sein Gründerkollege Benjamin Hofer überzeugt davon, „dass es sich um ein sehr erklärungsbedürftiges Produkt handelt“. Denn neben dem sehr „fleischigen“ Geschmack ist das „XO Beef“ eben auch nie standardisiert.
Durch den Ankauf in der Milchwirtschaft „verdienter“ Rinder kommen die Tiere aus ganz Österreich. „Das kann aus dem alpinen Raum sein oder der Ebene – die Unterschiede aber sind da“, hebt man sich bewusst von einem uniformen Geschmacksbild ab. Eine Seltenheit in Österreich, aber auch nicht unbedingt ein Marketing-Vorteil. Der allerdings ergibt sich bei einem genauen Blick auf dieses Fleisch: Im Unterschied zum Durchschnittsalter, das ein Rind in Österreich aufweist (das sind 18 Monate), liegt dieser Wert bei Milchkühen bei 76 Monaten. „XO Beef“ geht darüber noch hinaus und verwertet auch 15 Jahre oder noch ältere Kühe.
Via London zum OÖ-Rinder-Start-up
Der Weg zu dieser ungewöhnlichen Vorliebe, die allen Unternehmungen von Hofer und Weishuber den Namen gibt (XO steht u.a. bei Spirituosen für „extra old“, also besonders alt), war kein gerader. Benjamin Hofer arbeitete im berühmten Londoner Luxushotel „Claridge’s“ an der Seite von Sternekoch Simon Rogan. Im Restaurant „Fera“ lernte der Österreicher auch das Rind im reiferen Alter schätzen –, „allerdings kam das alles aus Spanien oder Frankreich“. Es war jenes Fleisch, das etwa José Gordón von der „Bodega El Capricho“ als eines der besten Steaks der Welt bekannt gemacht hatte. Der bärtige Spanier war einer der Stars im Fleischtiger-Kultfilm „Steak Revolution“. Parallel suchten Spitzköche auch außerhalb Spaniens nach dem baskischen „Txogitxu“-Fleisch, das als Maß aller Ribeye-Dinge galt.
Genaue Gespräche mit dem Küchenchef ergaben aber schnell, dass ein Großteil der Kühe hinter den begehrten Steaks eigentlich von österreichischen Weiden stammte. Denn während Spaniens Gourmets die Qualität schätzten war hierzulande das Fleisch weit jüngerer Tiere gefragt. Die logische Frage Hofers lautete: Warum exportieren wir denn derart gutes Fleisch? Sein Jugendfreund Robert kam da gerade recht, denn er hatte in Oberösterreich eine Art „rollenden Bio-Supermarkt“ entwickelt. Basis dafür waren die Erzeugnisse eines befreundeten Landwirts mit Schwerpunkt Schweinehaltung. Aus einem klassischen „Ins Gai-Fahrer“ erwuchs über die Monate allmählich eine Produktpalette, die von Milchprodukten bis zu fertigen Suppen reichte. Womit Weishuber in Hofers Augen quasi der Agrar-Fachmann war. „Allerdings hatte der Hof keine einzige Kuh“, begann damals der Lernweg für das Duo erst so richtig.
Almtaler Know-how für den Start
Wie der Handel mit den auch ökologisch wertvollen Rindern funktionieren könnte, erfuhr man schließlich bei der Bio-Produktion von „Alpenrind“ in Salzburg. Anfangs war die Mini-Produktion – gestartet wurde mit einer Kuh – auch dort eingemietet. Doch schnell ging die Hobby-Dimension von „XO Beef“ in dem großen Betrieb unter. „Als wir den Markt im Linzer Steaklokal ,Pauls‘ sondierten und gleich einen ganz Englischen verkaufen, fühlten wir uns wie die Weltmeister“. Dass diese vermeintliche Riesenmenge im Restaurant für keine zwei Tage vorhalten würde, erklärte ihnen der Wirt kurz darauf.
Es ging also um andere Dimensionen, um die Gastronomie zu beliefern. Denn dieser Vertriebsweg stand nach wie vor im Fokus des Start-ups, das im oberösterreichischen Peuerbach gegründet wurde. Als dritter Partner wurde ebenfalls ein Landsmann gefunden: Im Schlachthof von Karl und Günther Pöll im idyllischen St. Konrad im Almtal bei Gmunden werden die „XO Beef“-Rinder bis heute zerlegt. Die „Almtalerfleisch GmbH“ kümmert sich dabei auch um den Ankauf und die Qualitätskontrolle der „verdienten“ Milchkühe.
Burger-Macher durch Lockdown
Die Partnerschaft der drei Oberösterreicher funktionierte gut. Der schulungsintensive Verkauf in der Gastronomie befand sich gerade so richtig im Aufwind, als 2020 der Lockdown zuschlug. Spitzenköche wie Philip Rachinger (Neufelden), Lukas Mraz oder Walter Leidenfrost (Wien) konnten die bisherige Menge an Rindfleisch über Nacht nicht mehr abnehmen. Woraus sich ein zweites Standbein ergab: „XO Grill“ startete als Pop-up in der Wiener Gumpendorfer Straße mit einem klaren Ziel, nämlich als Burger-Lokal möglichst viel Fleisch des jungen Unternehmens zu verwerten. Erneut hatte man Glück; die flach geklopften „Smash Burger“ mit hochwertigen Saucen dazu entwickelten sich schnell zu einem Hit in der Abhol-Gastronomie der ersten Pandemie-Monate. Auf diesen Erfolg beim Publikum baute der mittlerweile fixe Lokal-Standort in der Kettenbrückengasse auf. Im Jänner 2022 eröffnet, hat sich der „XO Grill“ nicht nur unter Streetfood-Fans der Umgebung etabliert. Spezielle Zubereitungen wie das „Philly Cheese Steak“ oder der „Reuben Sandwich“ – natürlich mit „XO Beef“-Pastrami – haben eine echte Fangemeinde erworben. Sie folgte auch zu einem weiteren Pop-up, das diesen Sommer mit den Pizza-Experten von „Sette“ in der Praterstraße für Furore sorgte. Tartar vom Rind als Pizza-Belag wurde bei „Moon Crust“ von einer Bresaola-Variante flankiert, die der Lackenbacher Fleischermeister Othmar Tschürtz eigens für die „Beef-Buben“ kreiert hatte.
Weshalb dieser Tage auch mit einer weiteren Burger-Filiale in den Bezirk Neubau mit seiner jungen Bevölkerung expandiert wird. „Anfang Oktober ist es hoffentlich so weit“, schätzt Benjamin Hofer, der direkt von der Baustelle zum Interview stößt. Während bei diesem „Baby“ des Duos vor allem die Personalsuche Sorgen bereitet, soll es beim Handelsunternehmen in eine andere Richtung weitergehen.
Neue Filiale & Produkt-Offensive
Der Anspruch der ganzheitlichen Verwertung der Tiere („nose to tail“) ist beiden Geschäftsführern ein Anliegen, das spätestens 2024 noch mehr Aufmerksamkeit erfahren soll. „Faschiertes hat in den letzten Jahren an Wertigkeit gewonnen“, sieht man die Entwicklung zu höherer Qualität auch abseits der Edelteile als positives Zeichen. „Der nächste logische Schritt ist sicher der Fokus auf verarbeitete Produkte“, so Benjamin Hofer zum geplanten Angebot für den Delikatessenhandel. Versuche mit Leberkäse gab es bereits, auch eine „XO Beef“-Wurst wäre eine Traum des New-York-Fans Benjamin Hofer – „dort sind ja alle Hot Dogs mit Rinderwürsteln befüllt“. Doch gut Ding will auch Weile haben. „Wir machen im Kern ja alles zu zweit und müssen mit den Kräften haushalten“, überlegt das Duo alle Schritte sorgfältig. Und das ist nicht nur bei den ökonomischen Entscheidungen so. „An der Sauce für unser ,Philly Cheese Steak‘ haben wir über Wochen getüftelt und jede Menge Käse ausprobiert“. Aber was sind ein paar Tage schon gegen das Lebensalter einer Kuh, das dank Hofer/Weishuber endlich Wertschätzung erfährt?
„Oid is Goid“: alte Kühe als Klimaschützer
Ein Kernsatz lautet: „Je älter eine Milchkuh werden darf, desto positiver sind die Auswirkungen auf das Klima und die Gewinneder Höfe“. „XO Beef“ hat mit Agrarwissenschaftern die Fakten zu den alten Kühen erarbeitet. „Eine österreichische Milchkuh wird im Schnitt sechs Jahre und vier Monate alt“, zeigte sich unter anderem. Die Simmentaler Rinder als Zweinutzungsrasse (Milch und Fleisch) ermöglichen dieses vergleichsweise hohe Alter. Die noch älteren Tiere für „XO Beef“ bringen mit dem 47-%-Anteil von Weiden und Almen an Österreichs Fläche auch einen wichtigen Klimaschutz-Vorteil mit: Grünland ist neben Feuchtgebieten und Mooren weltweit der größte Kohlenstoffspeicher. Mit Verweis auf Ergebnisse der ETH Zürich führen die Experten die Effekte älterer Kühe abseits der Intensiv-Tierhaltung für das Klima aus: „Durch eine Erhöhung der Lebensdauer müssen weniger neue Milchkühe nachfolgen und damit auch weniger Rinder zur Fleischgewinnung aufgezogen werden. Dadurch entstehen nicht nur weniger Treibhausgasemissionen, sondern auch geringere Kosten für die Milchviehbetriebe.“
Autor: Roland Graf