Thermobil
Am Wort!Insta

Raimund Plautz – Aus der Innung: „Ich habe den Brüsseler Beamten den Spiegel vorgehalten!”

Kommentar des Bundesinnungsmeisters der Fleischer & Fleischermeister.

Im vergangenen Monat bin ich nach Brüssel gereist, um vor rund 25 Zuhörern – darunter etlichen Lobbyisten und mehreren hochrangigen EU-Beamten der Kommission – zu sprechen. Sie alle sind zuständig für Lebensmittelsicherheit, Lebensmittelkennzeichnung und verwandte Themen.

Mein Ziel war klar: Ich wollte ihnen zeigen, wie die tägliche Realität in kleinen, gewerblichen Lebensmittelbetrieben Österreichs aussieht. Und zwar nicht theoretisch, sondern ganz praktisch – anhand unseres eigenen Familienbetriebs, den es seit 132 Jahren gibt. Ich habe ihnen unsere Geschichte erzählt, unsere Produkte vorgestellt, erklärt, was Regionalität in Kärnten bedeutet – und wie diese Strukturen gerade dabei sind zu verschwinden. Mit PowerPoint-Folien habe ich sie in unsere Arbeitswelt mitgenommen und ihnen aufgezeigt, was es heißt, in einem kleinen Betrieb unter der Last der Bürokratie zu arbeiten.

Bürokratie als Existenzbedrohung

Ich habe ihnen berichtet, dass mein Sohn und ich etwa drei Tage pro Woche ausschließlich mit Büroarbeit beschäftigt sind. Zwölf Mitarbeiter beschäftigen wir – aber wir kämpfen jeden Tag, um den Papierkram zu bewältigen. Was passiert, wenn ich irgendwann in Pension gehe? Allein wird mein Sohn diese Last nicht schultern können – neben der eigentlichen Arbeit ist das nicht machbar. Ich habe den Beamten versucht klarzumachen: Ihr sprecht vom Europa der Regionen.

Aber wir sind so eine Region – eine kleine, und wir stehen kurz davor, unterzugehen. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette! Ebenso habe ich deutlich gemacht: In Kärnten beträgt die durchschnittliche Betriebsgröße in der Landwirtschaft 22 Hektar. Auch hier ist die nächste Generation längst nicht mehr bereit, diese Belastung auf sich zu nehmen – oft als Nebenerwerbslandwirte, mit Doppelbelastung. Und dennoch müssen auch sie sich mit einer Fülle von Vorschriften auseinandersetzen, die zunehmend absurd erscheinen. Da muss dokumentiert werden, ob auf einer Wiese ein Rind stand, ob ein Waldstück gerodet wurde – und das in einem Land wie Österreich, das unter Verwaldung leidet, nicht unter Entwaldung. Die Preise – gerade für Rindfleisch – steigen, gleichzeitig hören immer mehr Bauern auf zu produzieren.

Die großen Betriebe übernehmen zwar die Mengen, aber nicht die Vielfalt. Da wird produziert, was am nationalen Markt gefragt ist – standardisiert, effizient, billig. Die regionalen Spezialitäten bleiben auf der Strecke.

An dieser Stelle war es im Saal ganz still.

Gleiche Regeln – unterschiedliche Wirkung

Die Beamten haben mir recht gegeben. Sie sehen die Problematik. Gleichzeitig haben sie erklärt, dass gerade aus Österreich immer wieder Forderungen kommen, die noch mehr Bürokratie nach sich ziehen (würden). Ein Beispiel ist die verpflichtende Herkunftskennzeichnung, die derzeit massiv gefordert wird: theoretisch ein gutes Vorhaben, in der Praxis aber eine neue Lawine an Aufwand.

Wäre die freiwillige Kennzeichnung, wie wir sie derzeit ohnehin haben, die durchaus ein Wettbewerbsvorteil ist und so oder so korrekt und überprüfbar sein muss, nicht ausreichend?
Wir sind bereits über dem Limit, die derzeitig Fülle der Auflagen und der bürokratische Druck zerstören unsere Strukturen. Immer mehr Gemeinden haben keinen Nahversorger mehr – keinen Kaufmann, keinen Fleischer, keinen Bäcker, kein Gasthaus – gar nichts. Und das, obwohl viele Kleinbetriebe eng mit dem Lebensmitteleinzelhandel zusammenarbeiten – wie wir etwa Regionallieferanten für Spar und Rewe sind.
Aber auch das ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits ist die Zusammenarbeit mit dem Lebensmittelhandel ein wichtiges Standbein für viele Betriebe, auf der anderen Seite: Sobald man an den Handel liefert, muss man automatisch all seine zusätzlichen Auflagen erfüllen. Auch dann, wenn sie gesetzlich gar nicht für Kleinbetriebe verpflichtend wären. Wieder trifft es die Kleinen – und spielt den Großen in die Karten.
In Brüssel wird nun – auch auf unserem massiven Druck hin – diskutiert, kleine Betriebe künftig von gewissen Maßnahmen auszunehmen. Wir haben diese Gelegenheit gleich genutzt und unsere Forderungen konkretisiert: Betriebe bis etwa 50 Mitarbeiter müssen massiv entlastet werden.

Zu viele Einzelmaßnahmen – zu wenig Überblick

Was ich in Brüssel erfahren habe: Jeder Beamte, jede Arbeitsgruppe ist für einen bestimmten, oft auch sehr kleinen Bereich zuständig. Herkunftskennzeichnung, Entwaldungsverordnung, Green Deal …
Für diese Personen ist deren Thema das wichtigste. Für uns Unternehmer aber ist jede einzelne Maßnahme nur eine von hundert, die wir erfüllen müssen. Und jede davon kostet Zeit, Ressourcen und Nerven.

Ich muss es deutlich sagen: Meine Generation steigt aus. Der Umgang mit EDV, mit neuen Systemen, mit digitaler Bürokratie – es überfordert viele. Auch wenn die Jungen besser damit umgehen können – wann sollen sie das alles neben der Arbeit machen?

Gut gemeint – und doch ein Systemfehler

All diese Maßnahmen sind gut gemeint und grundsätzlich nicht abzulehnen. Das Problem ist: Großbetriebe haben es hier etwas leichter. Denn die haben eigene Büros, Personal, Abteilungen. Kleine Gewerbebetriebe haben das nicht. Darum geht es längst nicht mehr um einzelne unpraktische Vorschriften. Es geht um ein System, das dabei ist, sich selbst zu blockieren. Wenn wir die kleinen Betriebe nicht entlasten, wird es bald keine mehr geben. Und mit ihnen verschwinden nicht nur einzige Produkte, sondern auch Kultur, Versorgungssicherheit und gelebte Regionalität.

Ich möchte es einmal grundsätzlich auf den Punkt bringen: All diese Gesetze sind Anlassgesetzgebung – sie wurden geschaffen, weil internationale Konzerne das System ausgenutzt haben. Denken wir an den Pferdefleischskandal, an Gammelfleisch bei Kebab etc. All diese Vorgänge haben zu immer schärferen Gesetzen geführt – und getroffen hat es am Ende alle in der Branche. Auch jene, die nie ein Problem waren, jene, die aufgrund ihrer „Kleinheit“ gar keinen Zugang zu diesen Märkten haben, wo sich solche Geschäftsgebarungen überhaupt auszahlen würden.
Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen werde ich weiterhin alles versuchen, dem entgegenzuwirken und unsere wunderbare Branche zu retten.

Schreiben Sie uns Ihre Meinung an: office@fleischundco.at

Fleisch & Co – die österreichische Fleischerzeitung

Das Fachmagazin für Fleischer, Fleischindustrie und fleischverarbeitende Direktvermarkter bietet Fachinformationen von der Erzeugung über die Verarbeitung bis zur Vermarktung von Fleisch und Fleischprodukten. Haben Sie interessante Themen für die Branche? Wollen Sie Kooperationspartner werden? Dann melden Sie sich bei uns.

Ähnliche Artikel

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Bettcher

Adblock erkannt

Bitte deaktiviere den Adblocker, um unsere Website zu besuchen