Der heimische Handel unterstützt freiwillige Initiativen wie “Lebensmittel sind kostbar” des BMNT, um die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung und die Weitergabe an Sozialorganisationen aktiv zu fördern. Supermärkte in ganz Österreich geben nicht mehr verkäufliche, aber noch genießbare Lebensmittel an Tafeln und andere Sozialeinrichtungen weiter. Maßnahmen, die in anderen europäischen Ländern gesetzlich vorgeschrieben werden mussten, sind in Österreich seit vielen Jahren gelebte Realität.
“Für uns Händler sind Lebensmittel nicht nur kostbar, sie sind zentraler Kernbestandteil unserer Geschäftstätigkeit und Lebensgrundlage für uns alle. Als Gesicht hin zum Konsumenten fühlen wir uns verpflichtet, die höchsten Qualitätsansprüche zu erfüllen. Wir haben im Branchenvergleich sehr geringe Margen und daher überhaupt kein Interesse daran, Lebensmittel wegzuwerfen. Ein entscheidender Faktor im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung ist die Weitergabe an Sozialeinrichtungen. Mittlerweile werden in Österreich pro Jahr 12.250 Tonnen Lebensmittel vom Handel an Sozialorganisationen gespendet. Darüber hinaus werden 10.000 Tonnen an nicht mehr verkäuflichen Lebensmitteln zur Futtermittelherstellung verwertet. Österreich ist damit im internationalen Vergleich ein absolutes Vorzeigeland”, bestätigt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will.
Haftungsfrage bei italienischem Modell gut gelöst
Heimische Lebensmittelgeschäfte, in deren Umgebung es eine Tafel, einen Sozialmarkt oder eine andere entsprechende Initiative gibt, arbeiten mit diesen zusammen – freiwillig, effizient und ohne gesetzlichen Zwang. Aus rechtlicher Sicht sind in Österreich Tafeln und Sozialmärkte als Inverkehrbringer zum Endkonsumenten zu sehen – mit allen lebensmittelrechtlichen Pflichten. Die Möglichkeiten dieser Sozialorganisationen, die entsprechenden Vorgaben insbesondere hinsichtlich Qualitätskontrollen und Lebensmittelsicherheit einzuhalten, sind jedoch nicht mit jenen von Lebensmittelhändlern zu vergleichen.
In Italien gibt es daher die gesetzliche Regelung, dass Sozialorganisationen nicht für Mängel von Produkten haftbar gemacht werden können, die sich nach bestem Wissen weitergegeben haben. Da die erforderlichen Rahmenbedingungen für Sicherheit und Hygiene durch die Sozialorganisationen bei Erhalt der Spenden gewährleistet sind, bietet das italienische Gesetz den Spendern eine zusätzliche Rückversicherung. Damit werden Schenkungen gefördert, ohne die notwendigen Schutzmaßnahmen in Frage zu stellen.”Die Sozialorganisation haben also mehr Rechtssicherheit und sind vor Haftungsklagen geschützt. Die Händler wiederum müssen weniger Bedenken bei der Weitergabe von Produkten haben”, erklärt Will die Vorzüge der italienischen Regelung.
Steuer- und lebensmittelrechtliche Graubereiche bei Abnahme auflösen
In Österreich ist der Handel hingegen Steuer- und lebensmittelrechtlich gezwungen, bei der Weitergabe von Lebensmitteln in einem Graubereich zu agieren. So müssen Lebensmittel vor der Weitergabe im Bewegungsjournal als Verderb deklariert werden, um die Vorsteuer anwenden zu können. Bedingung dafür wäre allerdings, dass die Waren nicht mehr verkäuflich bzw. nicht mehr verkehrstauglich sind. Damit dürften sie aber auch nicht mehr über Sozialeinrichtungen in Verkehr gebracht werden. Dieser rechtliche Graubereich sollte künftig klarer geregelt werden.
Stärkere öffentliche Unterstützung der Tafel-Infrastruktur sinnvoll
Darüber hinaus wird in Staaten wie Italien ein Teil der Tafel-Infrastruktur durch öffentliche Mittel gestützt. In Österreich passiert dies – abgesehen von der Stadt Wien – nur in minimalem Ausmaß, der Großteil der Infrastruktur kommt von privaten Spendern. Die größten vier heimischen Lebensmitteleinzelhändler (Rewe, Spar, Hofer, Lidl) steuern beispielsweise jährlich insgesamt 100.000 Euro für den Verband der Österreichischen Tafeln bei und spenden regelmäßig Ausstattung für Sozialmärkte.”Die Verteilung von unverkäuflichen Lebensmitteln an einkommensschwache Menschen liegt auch im öffentlichen Interesse und sollte von staatlicher Seite stärker unterstützt werden”, fordert Will.
Gesetzliche Verpflichtungen á la Frankreich kontraproduktiv
Gesetzliche Regelungen wie in Frankreich und Tschechien, wo Lebensmitteleinzelhändler unter bestimmten Rahmenbedingungen gesetzlich verpflichtet wurden, überlagerte Lebensmittel an karitative Organisationen abzugeben, haben sich hingegen als weitgehend ineffizient und kontraproduktiv herausgestellt. Vielfach fallen große Mengen an Warenspenden in teils fragwürdiger Qualität an, welche von den Sozialeinrichtungen trotzdem übernommen und verteilt werden müssen. Fehlen den karitativen Einrichtungen die erforderlichen Lager und Transportmittel, ergeben sich in der Praxis weitere Probleme.
“Eine neue gesetzliche Regelung analog zu Frankreich würde keinen Mehrwert für Armutsbetroffene oder die Umwelt bringen, sondern eine reine Überbürokratisierung, deren Abbau von der letzten Bundesregierung versprochen wurde. Stattdessen brauchen wir zusätzliche Anreizmodelle, eine Vereinfachung der Lebensmittelweitergabe und Logistik sowie eine Verbesserung des in Österreich bewährten Fünf-Stufen-Prinzips”, so Rainer Will.
Entscheidend ist aber, die Lebensmittelverschwendung dort zu bekämpfen, wo sie tatsächlich passiert. Eine deutliche Reduktion wäre vor allem in den privaten Haushalten möglich. Laut Greenpeace stammen 42% der heimischen Lebensmittelabfälle im Rest- und Bio-Müll aus Haushalten, aber nur 5% aus dem Handel. Hierzu braucht es entsprechende Anreize und Sensibilisierungsmaßnahmen beim Endverbraucher. Der Kampf gegen Lebensmittelabfälle muss ein integraler Bestandteil des Schullebens werden. Nur so kann das Ausmaß der Lebensmittelabfälle bis 2025 um 30% reduziert werden. Der Handelsverband steht als Branchenvertretung für weitere Gespräche mit den Stakeholdern gerne zur Verfügung.