Wenn sich zwei Mal in der Woche die Türen zum „Gissinger“-Detailgeschäft in der Ottakringer Straße öffnen, fällt sofort auf, was es in dieser Fleischerei nicht gibt: keine Fliesen, kein altes Holz. Dafür bietet man eine helle Wohnzimmeratmosphäre, zu der ab und zu ein Glas Sekt von Elisabeth Fröhlich ebenso beiträgt wie der Schmäh des Chefs. Josef Fröhlich, für Stammkunden „der Pepi“, legt aber auch beim Sortiment Wert auf Dinge, die man nicht gemeinhin mit einer Fleischerei verbindet. Eine Kühlvitrine voller Gerichte zum Mitnehmen erzählt von einem wichtigen Standbein des Betriebs.
Ungewöhnlich sind allerdings die Rezepte. Rotes Curry und der koreanische Street-Food-Hit „Bulgogi Beef“ finden sich neben Kalbsbutterschnitzel oder Gulasch mit Nockerln. „Wir sprechen Gourmets an die auch bereit sind, Geld dafür auszugeben“, reicht das Einzugsgebiet Gissingers weit über den 16. Bezirk hinaus. „Wir generieren unser Publikum relativ wenig aus der näheren Umgebung – zu 60 bis 70 % kommen sie von anderswo.“ Selbst Badener und Klosterneuburger nehmen den Weg für Rares wie Kobe Beef oder Iberico-Schwein auf sich. „Mitunter schaut es am Freitag vorm Geschäft aus wie bei einem Autokorso“, so Fröhlich augenzwinkernd. Sein schönes Eigenschaftswort für diese Arbeitsweise lautet „essens-kreativ“.
Gissinger: Die Essenskreativen im „16ten“
Dann wäre da noch die Käseauswahl in der Ottakringer Straße zu erwähnen, bei der Kenner hellhörig werden. Ein „Selles-sur-Cher“ wird am Punkt gereift angeboten, dazu weitere französische Klassiker wie Saint-Félicien. Sie sind die Lieblinge von Tochter Julia Fröhlich – „auch die Verhandlungen beim Einkauf führe meist ich“. Die 21-Jährige verstärkt das Familienunternehmen seit einigen Jahren. Geplanterweise soll die ältere von zwei Fröhlich-Töchtern in einigen Jahren als vierte Generation das Ottakringer Traditionsgeschäft führen. Die geschmackliche Vorliebe („Mein Lieblingsgemüse ist Fleisch“!) bringt sie ebenso mit wie die Ausbildung, für die es neben der HTL in Hollabrunn auch zum Praktikum zu Berger Schinken ging. Tabu blieb nur die Schinken-Produktion – wie Rudolf Berger seinem Kollegen Fröhlich mitteilte.
Die zweite Fröhlich-Firma, ein Cateringunternehmen, gehört bereits jetzt anteiligauch Tochter Julia, um dort schon Verantwortungzu übernehmen. „Laufen lassen“ ist dabei das Motto von Fröhlich senior. „Fehler machen wir alle irgendwann, aber man muss den Jungen eine Chance geben.“ Mit der formellen Übernahme wollen sich beide Generationen noch Zeit lassen. „Ich lerne immer noch neue Sachen von meinem Vater, auch weil wir so viele Spezialitäten im Haus haben. Aber ich glaube, wir machen das gut zusammen. Mittlerweile können meine Eltern sogar schon in Urlaub fahren“, lacht Julia Fröhlich.
Zwei Generationen, zwei Namen: Fröhlich & Gissinger
Ihr Vater bestätigt das gerne, präzisiert aber seine Idee von Ferien: „Meistens kommen wir dann mit neuen Ideen zurück. Denn irgendwie geht es immer ums Essen und Trinken bei uns. Bewusst –, denn wir versuchen nicht betriebsblind zu werden.“ Ein Beispiel dafür erfährt die Familie noch während des Interviews: Veganer Bärlauch-Leberkäse steht als Nächstes auf der Gissinger-Produktionsliste. Das Sortiment bleibt damit so ungewöhnlich wie die Namensgebung des Fleisch Unternehmens. Denn Gissinger heißt eigentlich seit Jahrzehnten niemand mehr im Ottakringer Traditionshaus. Seine Gattin Elisabeth hat sich längst daran gewöhnt, mitunter umgetauft zu werden. „Ich selbst hör’ aber auf Gissinger fast mehr wie auf Fröhlich“, lacht dazu der Fleischer. Dafür wird sogar seine Mutter, die eigentlich geborene Gissinger, für besonders „kenntnisreiche“ Kunden zur „Frau Fröhlich“.
Unverwechselbar ist aber die Fleisch-Qualität unter dem „JG“-Logo, das seit der Gründung einen Beinschinken zeigt. „Es wurde nur überarbeitet“, so die Fröhlichs, die im Archiv noch einige Schätze aus der Frühzeit aufbewahrt haben. Etwa die Etikettenmuster für „Dachsteiner“- oder „Alpini“-Wurst. Letztere
gibt es im umfangreichen Sortiment aus der Ottakringer Straße heute nicht mehr, „Salami machen wir keine mehr“, so „Pepi“ Fröhlich. Dafür schöpft der 57-Jährige für das Detailgeschäft aus dem Reichtum seines Großhandelsgeschäfts. Meinl am Graben, Rewe oder Spar Gourmet – „die Großen mit ihren spezialisierten Feinkost-Abteilungen beliefern wir alle“.
Top-Beratung „rettete“ Alsergrund
Von der Logistik, hinter der in Ottakring heute 15 Mitarbeiter stehen, profitieren auch die Privatkunden. Will jemand Bries oder Rinderwangerl kaufen, sind sie meist nur einen Gang in den Kühlraum entfernt. „Das schätzen unsere Kunden“, hat die Symbiose Vorteile für die beiden Detailgeschäfte. Denn neben dem Stammhaus, das kommendes Jahr 90 Jahre alt wird, verkauft man die Spezialitäten auch in Alsergrund. Dort finden sich die Kunden jeweils Donnerstag und Freitag ein, in Ottakring bedienen die Fröhlichs selbst immer Dienstag und Freitagvormittag. „Für ein gutes Produkt brauchst du auch einen guten Verkäufer“, legt man beim Gissinger seit jeher Wert auf Einkaufen als Erlebnis. Die Filiale in der Währinger Straße war daher auch über ein Jahr geschlossen, wie Elisabeth „Lisi“ Fröhlich erzählt. Erst dann habe wieder man einen perfekten Mitarbeiter mit Referenzen von „Piccini“ und „Meinl“ gefunden. „Für den Arbeitsmarkt galt er mit 56 Jahren als zu alt“, freut sich die Familie über diesen Glücksfall. Die Beratung sei wesentlich im Geschäft, gibt Josef Fröhlich ein konkretes „österliches“ Beispiel: „Viele wissen nicht einmal, dass das Kitz von der Ziege stammt und nicht vom Lamm.“ Oder es schneit wieder jemand herein, der mit einem Markknochen und einem halben Kilo Schulterscherzel einen Jus kochen will. „Der vom Gissinger wird selbst gemacht und dauert zwei Tage“, so Fröhlich. Es sind handwerkliche Produkte wie diese, die man in Ottakring schätzt. Denn die Klientel hat sich verjüngt, wie „Lisi“ Fröhlich bemerkt hat: „Es kommen junge Eltern, die für ihr Kind etwas Gescheites wollen, aber auch Single-Männer, die dann ein Stück vom Top-US-Ribeye kaufen.“
Gissinger ist der Pionier beim Vegan-Leberkäse
Mitunter sei man für die Experimentierfreude auch schon belächelt worden, etwa in den Anfängen der Beef-Tatar-Produktion. „Heute kauft die halbe Stadt das bei uns und sagt, sie machen es selber.“ Lediglich bei den veganen Produkten glaubte der Chef so gar nicht daran. „Bevor ich das mache, höre ich auf zu arbeiten“, sei die erste Reaktion gewesen, halten ihm Elisabeth und Julia Fröhlich lachend vor. 2019 begann er dann doch mit pflanzlichem Leberkäse – „für den Spittelberger Adventmarkt“ – und ist mit der Produktion fast nicht mehr nachgekommen.
„Wir sind Geschäftsleute und probieren alles aus“, ist daher das Credo der erfolgreichen Fleischerfamilie. Nicht nur aufgrund des Erfolgs mit dem Vegan Leberkäse, der sich auf vielen Märkten und Festivals durchgesetzt hat, will man im „16ten“ die vegetarischen Optionen im Menü-Angebot ausbauen. 30 Gerichte umfasst das in vakuumierten Aluschale angebotene Standard-Sortiment im Geschäft. Dazu kommen saisonale Angebote, die vom fünfköpfigen Team in der Gissinger-Küche gefertigt werden. Hunderte Grießnockerl oder 1000 gefüllte Paprika lauten hier die Dimensionen. Für die hausgemachten Frittaten wurde sogar eine eigene Schneidmaschine angeschafft.
Hausmannskost, aber nicht Tiefkühl
Der Großteil der Zutaten wird aber händisch zugeputzt: „Bei uns schneidet ein Fachmann, da gibt es keine Sehnen, wo sie – wie bei Rindsrouladen – nicht hingehören“, ist dieser Unterschied zum Mitbewerb wichtig. Denn längst holen sich nicht nur die Singles und Senioren der Umgebung ihre Gerichte ab. Dank des bekannten Namens und des Qualitätsanspruchs gehört auch der Vertrieb über Einzelhändler oder den Online- Handel von „gurkerl.at“ zum Gissinger. Die Küche liegt dabei in der Obhut von Lisi Fröhlich, die ursprünglich auch aus der Gastronomie kommt. Dass man keine Tiefkühlware anbietet, sei dabei wesentlich, ist sie
überzeugt: „Wer gewohnt ist, Hausmannskost zu essen, mag in Wahrheit kein Tiefkühl- Essen haben.“ Und ein frisches Beuschel oder einen Grenadiermarsch bekäme man eben nicht an jeder Ecke Wiens. Selbst beim Bestseller der Gourmetfleischerei, dem Wiener Beinschinken, folgt man dem Kundenwunsch. „Vor rund zwanzig Jahren“, erinnert sich „Pepi“ Fröhlich, kam der „Sissi Beinschinken“ als neue Variante hinzu. In Zeiten allgegenwärtiger Aufschnittmaschinen in den Haushalten wollte man es den Kunden nicht mit dem traditionellen Bein schwer machen. „Nicht jeder weiß, wo er da schneiden muss“, so der Kenner, der seinen Klassiker ohne chemische Zusätze im eigenen Saft gart und nach Familienrezept danach im Kessel kocht. Der ausausgelöste, kleine Schlögel gilt auch als Renner für alle, die ihren Schinken im Brotteig zubereiten wollen. Heikel wird es nur beim Schneiden des Produkts, über das Meister Fröhlich lange reden kann. Seine Quintessenz: „Ein Beinschinken muss mit Liebe geschnitten werden. Diese ,Gruben‘, die man oft wo sieht, gehören definitiv nicht zum Schinken!“ Weshalb die stattliche Berkel auch das Herzstück in der Fleischerei Gissinger ist. Doch es geht nicht nur um die Hardware, wenn man sich gegen das Fleischersterben stellt. Das wahre Geheimnis trägt die Familie schon im Namen, wie Elisabeth Fröhlich zum Abschluss meint: „Die Leute lieben es, dass wir freundlich und immer lustig sind.“ Damit werde der Einkauf eben nie fad. Sondern fröhlich – mit großem „F“.
Autor: Roland Graf