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Frisch aus der Retorte

Faschiertes aus der Petrischale soll dereinst Ernährungsdefizite lösen – aber was sagen AMA und Codexkommission zu dem neuen Kunstprodukt?

Sechs Wochen lang hatte ein Forscherteam der Universität Maastricht, Niederlande, daran gearbeitet, ein Laborprodukt wie einen hausgemachten Burger frisch vom Grill aussehen zu lassen. Als Ausgangsbasis diente in einer Nährlösung gezüchtetes Muskelgewebe aus Rinderzellen.

Davon wurden 20.000 kleine Stückchen zu einem Burger gepresst, zusammen mit Salz, Eipulver und Semmelbröseln für den Geschmack sowie Rote-Beete-Saft und Safran für ein appetitanregendes Erscheinungsbild. Das Ergebnis: ein Gewicht von 140 Gramm mit Herstellungskosten von 250.000 Euro. Aufgrund dieser Eckdaten dürfte eine wirtschaftliche Erzeugung dieses Kunstproduktes noch etwas auf sich warten lassen.

Zwei Freiwillige, der US-Ernährungsautor Josh Schonwald und die österreichische Lebensmittelforscherin Hanni Rützler, bekamen die ersten Bissen serviert, als der Retortenburger Anfang August erstmals in London bei einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Rützler sagte, sie habe gedacht, das Leibchen sei weicher. Das fettfreie Produkt komme „nah an Fleisch heran“, es sei nur nicht ganz so saftig. Offensichtlich hatte man es auch nicht so mit dem Würzen: „Die Konsistenz ist perfekt, aber ich vermisse Salz und Pfeffer“, so Rützler.

„Forschung noch in den Kinderschuhen“
Und was sagt die österreichische Codexkommission dazu? „Tja“, entfährt es einmal vorab den Vorsitzenden Prof. Dr. Friedrich Bauer (Veterinärmedizinische Universität Wien). Und dann fährt er fort: Er kenne den Retortenburger zwar auch nur aus der Medienberichterstattung, es sei jedoch klar, dass es sich hier „um irgendwelche Eiweißstoffe handelt, die man in der Verarbeitung aromatisieren muss“, so der Biochemiker.

Von der Konsistenz ist dieses Produkt Faschiertem natürlich halbwegs ähnlich. „Fleisch ist schließlich auch nur Eiweiß, Fett und Wasser“, sagt Bauer und gibt auch zu bedenken, dass es bereits andere, weit kostengünstigere Möglichkeiten für Fleisch­ersatz gibt – in Form von Sojawürsten zum Beispiel.

Generell sei eine genaue Zuordnung dieses Produkts natürlich noch nicht relevant, da es ganz den Anschein hat, als würde diese Forschung „noch in den Kinderschuhen“ stecken. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde der Burger aus der Petrischale – sollte er jemals handelsreif werden – in die Novel-Food-Verordnung fallen. Und für diese Art von Produkten schreibt die EU eine umfassende Überprüfung vor – die lange dauert. Und gäbe es ein AMA-Gütesiegel für das Retortenprodukt? „Sicher nicht“, meint dazu DI Martin Greßl, Leiter des Qualitätsmanagements der AMA Marketing. Auch er will zwar generell nicht ausschließen, dass Waren dieser Art einmal marktreif werden. „Für mich fällt das jedoch unter Imitate. Wir stehen für Natürlichkeit, Authentizität und für Produkte mit Persönlichkeit“, so Greßl. Und was sei dann der Unterschied zum McDonald’s-Burger mit Gütesiegel? „Dieser Burger ist zu 100 Prozent aus reinem Rindfleisch ohne Zusatzstoffe. Nur zum Schluss kommt etwas Salz dazu“, so Greßl.

Fleischersatz gegen den Hunger
Mark Post von der Universität Maas­tricht, der das Experiment leitete, ist jedoch der Meinung, das Laborprodukt könne Millionen Menschen als Ersatz für normales Fleisch dienen und so zahlreiche Probleme der Welt lösen. Denn wegen der wachsenden Weltbevölkerung werde sich die Fleischnachfrage binnen 40 Jahren verdoppeln, mitsamt umweltschädlicher Nebeneffekte: Vieh muss gefüttert werden und produziert bei der Verdauung Methangas, das zur globalen Klimaerwärmung beiträgt.

Jetzt ist diese neue Variante des Fleischersatzes zwar noch viel zu teuer für den Massenindustrie, allerdings setzen Post und sein Team auf den technologischen Fortschritt: Sinkende Herstellungskosten sollen schon in zehn bis 20 Jahren eine breitangelegte Serienproduktion ermöglichen.

„Frankenstein-Burger“
Nach der Präsentation dieser neuen Fakten blieb natürlich ein dementsprechendes Medienecho nicht aus. Mehr oder minder alle Zeitungen im deutschsprachigen Raum berichteten darüber. Meistens wurden hier kritische Stimmen laut – ein Schweizer Blatt sprach sogar vom „Frankenstein-Burger“. Andere wiederum sahen darin die vermeintliche Lösung für die steigende Weltbevölkerung. Warum Umverteilung in zehn bis 20 Jahren mithilfe von Retortenprodukten besser funktionieren soll als heute, blieb jedoch nicht beantwortet.
PM/APA

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