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Fleischermeister Scheiterer: „Nenn ihn ruhig Leberkäse”

FleischermeisteNadina Ruedl traut sich was. Mit ihrem Unternehmen „Die Pflanzerei“ und gemeinsam mit Fleischermeister Josef Scheiterer sorgt sie mit dem „veganen Leverkas Gustl“ für Furore in der lukullischen Szene.

Der Leberkäse ist österreichische Esskultur par excellence. Tägliche heiße Mahlzeit für Hundertausende Menschen, geliebte Spezialität für Jung und Alt. Nicht einmal der Burger hat es geschafft, diesen rot-weiß-roten Klassiker von seinem obersten Stockerlplatz zu verdrängen. Ob normal oder mit verschiedensten Zutaten, jede Version findet hierzulande ihre Liebhaber:innen.

Wer sich traut, am Nimbus dieser Institution zu kratzen, riskiert viel. Zumindest Shitstorms in den Social Media. Trotzdem hat sich eine junge Frau aufgemacht, diese Ikone heimischer Fleischer- und Würstelstandkultur rundum zu erneuern und quasi neu zu erfinden. „Gustl“ nennt sich der „vegane Leverkas“, so bezeichnet die Erfinderin ihn, den es mittlerweile auch als „scharfen Gustl“ gibt. Nadina Ruedl heißt die mutige Unternehmerin, die sich, selbst seit einigen Jahren Veganerin, den Kampf für diese alternative Ernährungsweise auf die Fahnen geheftet hat und mit ihrer „Die Pflanzerei“ angetreten ist, eine „vegane Metzgerei“ zu betreiben. Seit Anfang des Jahres ist sie auch Fleisch & Co-Kolumnistin.

Den vermeintlichen Widerspruch lässt sie nicht gelten: „Mein Gustl und sein scharfer Zwilling werden in der Fleischerei Scheiterer hergestellt. Es handelt sich also um ein handwerkliches Produkt, das in einer Flei- scherei zubereitet wird. Der einzige Unterschied zum tierischen Leberkäse besteht in den Zutaten. Daher ist der ‚Gustl‘ ein veganes Fleischerprodukt.“

63 kg Fleisch pro Kopf und Jahr

Der Hintergrund ist ernst. Wir essen zu viel Fleisch. Das ist auch in Fleischerkreisen unbestritten. Rund 63 Kilogramm Fleisch verdrücken Herr und Frau Österreicher pro Kopf und Jahr. Zu viel und daher der Gesundheit abträglich, sagen viele Mediziner. Schlecht für das Klima, weil Massentierhaltung die Umwelt und das Klima schädigt, sagen andere Wissenschaftler. Das sehen immer mehr Menschen offenbar genauso, immerhin ernähren sich rund 800.000 Österreicher:innen heutzutage bereits vegetarisch oder vegan und bis zu 50 Prozent der Fleischesser:innen wollen ihren tierischen Konsum reduzieren und fühlen sich der großen Gruppe der Flexitarier zugehörig. All das hat aber gemein, dass es zu einer Art Ernährungsumwälzung kommt und teilweise liebgewonnene oder praktische Gewohnheiten über den Haufen geworfen werden müssen.

Problematische Alternativen

Doch wie sieht das Angebot an veganen oder vegetarischen Fleischersatzprodukten aus? Eher problematisch, muss man feststellen. Unpersönliche Produkte, abgepackt in viel Plastik, Einheitsgrößen und in den allermeisten Fällen elendslange und kryptische Zutatenlisten, so präsentieren sich überwiegend vegane Fleisch- und Wurstprodukte in den Kühlregalen. Informationen über die Herkun der Inhaltsstoffe, die Lieferkette oder die Verarbeitung sind meist nur im Rahmen des gesetzlich Erforderlichen angegeben. Und weil es keine Möglichkeit gibt, den als Kind lieb gewonnenen Leberkäse in seiner veganen Variante vorab zu kosten und Fragen zu stellen, entspricht das Geschmackserlebnis nur selten den Erwartungen. Zu allem Überfluss stellte erst kürzlich ein bekannter heimischer Hersteller die Produktion seiner etablierten Marke aus, laut Eigenangabe, Kostengründen ein.

Flexitarier:innen sind es außerdem gewohnt, dass ihnen ein umfangreiches Fleisch- und Wurstsortiment geboten wird, ansprechend in Vitrinen präsentiert von Fachverkäufer:innen, die ihre Kund:innen beraten und auf individuelle Vorlieben eingehen. Und genau dieses Erlebnis will „Die Pflanzerei“ auch für pflanzliche Fleisch- und Wurstspezialitäten schaffen: eine Vielfalt von Produkten, unverpackt und ansehnlich präsentiert, Fachverkäufer:innen, die beraten und Tipps zur Zubereitung geben.

Symphatische Werbelinie in Mundart. © HaRo

Die Entstehungsgeschichte

Entstanden ist das ganze Projekt vor einigen Jahren, als Nadina Ruedl begonnen hat, sich zunehmend mit veganen Ansätzen auseinanderzusetzen. Zunächst erfolgten die Umstellungen bei Kleidung und Kosmetik, dann schlussendlich und konsequent das Thema „Ernährung“. Für Nadina Ruedl nicht einfach, war doch gerade die Leberkäsesemmel ein seit der Kindheit lieb gewonnener Fixbestandteil des Speiseplans. Die Alternativen zum tierischen Produkt waren, wie gesagt, ausgesprochen industriell und mickrig. Was liegt also näher, als einen handwerklichen veganen Leberkäse herzustellen. „So entstand mein erstes Unternehmenskonzept für vegane Fleischersatzprodukte. E-Nummern-frei, geringer CO2-Fußabdruck und nachhaltig, so sollte es werden. Ich entdeckte auch noch Fördermöglichkeiten für nachhaltige Start-ups im Bereich des Klimaschutz-Ressorts. Das waren die Anfänge für ‚Die Pflanzerei‘“, schildert Nadina Ruedl den Beginn ihres Lebensprojekts. Was sie noch brauchte, war ein Lebensmitteltechnologe. Der näherte sich in Person eines Verkaufsleiters aus der Gewürzindustrie, einem Freund eines Tennispartners ihres Vaters, und der brachte das notwendige Know-how ein. Sehr rasch war auch ein Produktionspartner an Bord, den Nadina Ruedl durch Zufall kennengelernt hatte. Die ersten Produkte waren vielversprechend, trotzdem kristallisierte sich heraus, dass diese Zusammenarbeit nicht von langer Dauer sein würde. Daher machte sich Nadina Ruedl mithilfe eines Branchenkenners auf die Suche nach einem langfristigen Produktionspartner, den sie in Josef Scheiterer fand: „Die Fleischerei Scheiterer bietet mir die notwendige moderne technische Ausstattung, das hygienische Niveau, das handwerkliche Können und die geschäftliche Sicherheit, die ich als Unternehmen brauche“, bringt die Jungunternehmerin die Vorzüge der Partnerschaft kurz und bündig auf den Punkt. Eine Partnerschaft, die auch Josef Scheiterer absolut positiv einschätzt: „Natürlich waren wir anfangs in puncto veganer Fleischersatzprodukte skeptisch, im Familienrat prallten die Pro- und Kontra-Argumente aufeinander, aber schlussendlich haben die Vorteile der Zusammenarbeit eindeutig überwogen und wir haben uns dafür entschieden. Es ist eine Win-win-Situation für beide Seiten.“

Der „Gustl” am Teller.
© Die Pflanzerei

Was ist drinnen?

Die Inhaltsstoffe von „Gustl“ sind bunt und vielfältig. Er enthält Vitamine, Mineralstoffe, Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe und ist cholesterinfrei. Als pflanzliche Eiweißquelle kommt ein Grundprodukt zum Einsatz: Erbsen. Das Erbseneiweiß liefert essenzielle Aminosäuren, zusätzlich kommen hochwertige Pflanzenfette und -öle zum Einsatz. Die Produkte sind gluten- und laktosefrei bei der Zutatenauswahl, die Gemüsemischung enthält Rote Rüben, Erdäpfel, Zwiebeln und Karfiol, neben der Regionalität wird auch auf Saisonalität geachtet.

Wo erhält man den „Gustl“?

Den Gustl und seinen scharfen Bruder bekommt man mittlerweile in ausgewählten Feinkostläden und in Online-Shops, in der Event-Gastronomie und in einigen Filialen der Rewe in Wien. Nadina Ruedl ist unermüdlich in der Kundenakquise: „Laufend kommen neue Abnehmer dazu. Das Ganze hat eine Ei- gendynamik bekommen, deren Ende glücklicherweise noch nicht abzusehen ist.“ Genauso wenig wie der Einfallsreichtum der Unternehmerin: „Zusätzlich zum ‚Gustl‘ und zum ‚scharfen Gustl‘ gibt es jetzt auch den ,Gaudi Gustl – den veganen Kaas Leverkas’.“ Weitere Produkte im Würstelsegment sind sicher nicht ausgeschlossen. Und auch das ist – wenn man Nadina kennt – alles andere als eine Pflanzerei.

Autor: HaRo

 

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