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Nahversorger in Not: Studie warnt vor weiterem Sterben kleiner Lebensmittelhändler im ländlichen Raum

Die neue Nahversorgerstudie der KMU Forschung Austria zeigt: Immer mehr ländliche Gemeinden in Österreich verlieren ihre Lebensmitteleinzelhändler. Fachverbandsobmann Christian Prauchner warnt vor einem weiteren Nahversorgersterben und fordert Entlastung, weniger Bürokratie und gezielte Unterstützung für kleine Betriebe.

Die neue Nahversorgerstudie der KMU Forschung Austria zeigt: Immer mehr ländliche Gemeinden in Österreich verlieren ihre Lebensmitteleinzelhändler. Fachverbandsobmann Christian Prauchner warnt vor einem weiteren Nahversorgersterben und fordert Entlastung, weniger Bürokratie und gezielte Unterstützung für kleine Betriebe.
GF Dipl. TA Mag. Christoph Atzmüller (WKO), KR Christian Prauchner (Fachverbandsobmann Lebensmittelhandel und Spar-Kaufmann), MMag. Dr. Wolfgang Ziniel (KMU Forschung Austria) Bild: WKO

Nahversorger in Not: Studie warnt vor weiterem Sterben kleiner Lebensmittelhändler im ländlichen Raum

Die ländliche Nahversorgung ist in Bewegung – und vielerorts in Gefahr. Laut der neuen Nahversorgerstudie der KMU Forschung Austria, erstellt im Auftrag des Bundesgremiums Lebensmittelhandel in der WKÖ, zeigt sich deutlich: Besonders kleine Gemeinden verlieren ihre Lebensmitteleinzelhändler.
Bereits 69 Prozent aller Gemeinden mit weniger als 500 Einwohnern verfügen über keinen Nahversorger mehr. In Gemeinden mit bis zu 1.000 Einwohnern sind es 43 Prozent ohne Lebensmittelgeschäft im Ort. Seit 2011 ist die Zahl der Gemeinden ohne LEH-Standort um 6,2 Prozent gestiegen – im ländlichen Raum sogar um 6,9 Prozent.
Insgesamt leben damit 411.000 Menschen – rund 4,5 Prozent der Bevölkerung – in Gemeinden ohne lokalen Nahversorger. Besonders betroffen sind das Burgenland (30 %), Tirol (22 %) und Oberösterreich (22 %).

Strukturelle Verschiebungen und regionale Unterschiede

Während in Städten und größeren Gemeinden teilweise neue Standorte entstehen, schrumpft das Angebot am Land weiter. Von 2022 auf 2023 ging die Zahl der LEH-Nahversorgerstandorte im ländlichen Raum um 6,2 Prozent zurück.
Gleichzeitig zeigt die Studie, dass 62,4 Prozent aller Standorte auf Mehrstandortunternehmen (MSU) entfallen, während 37,6 Prozent von Einstandortunternehmen (ESU) betrieben werden. Interessant: Der geringe Zuwachs an Nahversorgern im Jahr 2023 stammt überwiegend von selbstständigen Kaufleuten und Dorfläden, die lokale Versorgungskonzepte wiederbeleben – meist mit großem persönlichem Engagement und regionaler Verankerung.

Kostenexplosion und Regulierungsdruck

„Anhaltend hohe Energie-, Lohn- und Rohstoffkosten, steigende Gebühren und immer mehr Bürokratie belasten viele LEH-Nahversorgungsbetriebe massiv“, warnt Christian Prauchner, Obmann des Bundesgremiums Lebensmittelhandel in der Wirtschaftskammer Österreich.
„Wie die Studie zeigt, wird die Situation für die meist selbstständigen Kaufleute auf dem Land zunehmend existenzbedrohend – ohne Entlastung bei Energie, Abgaben und Auflagen droht immer mehr Betrieben das Aus.“
Neben dem finanziellen Druck sorgt vor allem der Bürokratieaufwand für Frust: Aufzeichnungspflichten, Dokumentationsauflagen, Etikettierungs- und Rückverfolgbarkeitssysteme rauben den Betrieben wertvolle Zeit. Viele Unternehmer:innen berichten, dass sie mehr Stunden im Büro verbringen als in der Verkaufsfläche.

Marktkonzentration verschärft die Lage

Hinzu kommt die hohe Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel: Die vier großen Ketten – Spar, Rewe, Hofer und Lidl – halten über 90 Prozent Marktanteil. Für unabhängige Nahversorger wird es zunehmend schwierig, mit Preisstrategien und Einkaufsbedingungen mitzuhalten.
Das geänderte Konsumverhalten verschärft die Situation weiter. Immer mehr Kund:innen kaufen zentralisiert oder online ein – der spontane Einkauf im Dorfmarkt wird seltener. Für viele kleine Händler bedeutet das sinkende Frequenz, bei gleichzeitig steigenden Fixkosten.

Mehr als nur Einkauf – soziale Bedeutung wächst

Der Nahversorger ist mehr als eine Einkaufsmöglichkeit: Er ist sozialer Treffpunkt, Arbeitgeber und Stabilisator regionaler Wertschöpfung. Wo der letzte Laden schließt, verliert das Dorf nicht nur ein Geschäft, sondern auch einen Teil seiner Lebensqualität.
Gerade ältere Menschen und Familien ohne Auto sind auf wohnortnahe Einkaufsmöglichkeiten angewiesen. „Die Ergebnisse sind ein Weckruf“, betont Prauchner. „Gerade im ländlichen Raum wird die wohnortnahe Versorgung mit Lebensmitteln zunehmend zur Herausforderung. Ohne gezielte Unterstützung droht die Nahversorgung in vielen Gemeinden weiter auszudünnen.“

Ab etwa 2.000 Einwohnern gilt Österreich laut Studie als weitgehend versorgt, ab 5.000 Einwohnern als flächendeckend. Doch diese Durchschnittszahlen verschleiern, dass die Lücken im Land deutlich wachsen – besonders dort, wo keine strukturellen Förderungen greifen.

Lösungsansätze und politische Verantwortung

Die KMU-Forschung verweist in ihrem Bericht auf mehrere Handlungsfelder: Neben gezielten Förderprogrammen könnten hybride Selbstbedienungskonzepte – etwa 24-Stunden-Shops oder kooperative Dorfläden – helfen, Versorgungslücken zu schließen. Auch eine bessere Vernetzung mit regionalen Produzenten könne neue Chancen bieten.
Prauchner fordert jedoch vor allem konkrete Entlastungen: „Was wir brauchen, sind praxistaugliche Maßnahmen, die den Betrieben das wirtschaftliche Überleben sichern – etwa Entlastungen bei Energie und Abgaben sowie weniger bürokratische Hürden.“ Gleichzeitig appelliert er an die Konsument:innen, bewusster einzukaufen und die Nahversorger im eigenen Ort zu unterstützen.

Ohne Gegensteuern droht struktureller Verlust

Die Studie macht deutlich, wie verletzlich die Lebensmittelversorgung im ländlichen Raum geworden ist. Ohne politische Gegensteuerung, faire Rahmenbedingungen und das Bewusstsein der Bevölkerung droht Österreichs Nahversorgung weiter zu erodieren – mit Folgen, die weit über den Einkauf hinausgehen.
Denn wenn der letzte Nahversorger schließt, verliert eine Gemeinde nicht nur einen Händler, sondern auch ein Stück Identität.

Nahverorgung – Oktober 2025